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"Ich bin nach 1945 geboren und ich schulde der Welt einen Scheiß." So oder ähnlich lauten Nachrichten auf großen Plattformen, geschrieben von Leuten, die sich nicht mehr entschuldigen möchten für Dinge, die lange vor ihrer Zeit geschehen sind.
Das sieht auf den ersten Blick richtig aus, denn tatsächlich sind die allermeisten Leute, die Deutschland in Schutt und Asche erlebt haben, längst tot. Diejenigen, die nach Kriegsende geboren sind, kennen den Krieg nur aus Erzählungen der Älteren. Sie sind weder mit der HJ ins Zeltlager gezogen, noch haben sie zugesehen, wie Menschen in die verschiedenen Höllen abtransportiert wurden. Sie wollen sich nicht schuldig fühlen für die Vergangenheit, möchten wieder stolz sein können auf ihre Nationalität.
Immer mehr Stimmen werden laut, die das fordern, was andere Länder so selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen: den Nationalstolz. Denn gerade in Deutschland ist dieses Wort nicht gut belegt – zu viel hängt daran, zu viele schlimme Bilder sind ganz selbstverständlich daran gekoppelt wie ein unlöschbarer Nachspann. Für die neue Generation verblassen die Assoziationen des Vergangenen zwar, doch ist die Gegenwart ebenso brisant in Hinsicht auf das Verständnis, was den Begriff der Nationalität angeht. Gerade weil das "alles schon so lange her ist" läuft die übliche Verklärung der Geschichte als unvermeidliches Programm in den Köpfen ab. Das, was während einem Krieg mit den Menschen geschieht, kann niemand nachvollziehen. Das ist das Gefährliche daran, das "sich zurechtdenken".
Ist der Stolz auf die Nationalität nun ein Bedürfnis der Menschen oder haben wir es mit einem Konstrukt zu tun? Was ist das nun genau: Nationalität? Um darauf zu antworten, muss man wieder die Geschichte bemühen. Seit es den Menschen gibt, ist er umhergezogen. In den meisten Fällen tat er das, weil er musste. Hunger, Naturkatastrophen oder andere Geschehnisse, die das Verbleiben in einem Gebiet unmöglich machten, waren die Gründe. Familienverbände, ganze Stämme und sogar Völker zogen fort, suchten Ackerland, Jagdgründe oder ein ruhiges Gebiet zum Leben.
Die verschiedenen Gruppen vermischten sich, was immer und grundsätzlich positive Veränderungen mit sich brachte. Nichts blieb konstant, die Menschen entwickelten Strategien für das Überleben und blieben – menschheitsgeschichtlich – in ständiger Bewegung.
Was heute Italien ist, war vor langer Zeit Etrurien – das Reich der Etrusker. Was wir heute als Deutschland verstehen, war ein riesiges Gebiet, das von verschiedenen Volksstämmen bewohnt war. Hätte man in der Antike einem Vandalen oder Langobarden etwas von Nationalstolz erzählt, so hätten diese Menschen wahrscheinlich nicht verstanden, was es damit auf sich hat.
Da wir wissen, wie oft Völker und Gebiete umstrukturiert, sich verändert und entwickelt haben, können wir kaum von Nationen als unveränderliche Größen sprechen. Zudem ist eine Nation ein Konstrukt – das Wort bezeichnet Gruppen von Menschen, die Gemeinsamkeiten haben. Oder von denen man annimmt, dass sie solche haben. Das kann sich allerdings schnell ändern – man denke an Jugoslawien, Afrika oder tatsächlich auch Preußen oder Amerika – nichts ist unveränderlich.
Es ging wohl eher um Sippe, Stamm und um das Überleben. Ehre war eine wichtige Angelegenheit, aber sie betraf eigentlich keine Nation – in den meisten Fällen nicht einmal ein Volk, sondern eher die Sippe oder den Stamm. Man war stolz, einer ehrenhaften Familie oder Sippe anzugehören – aber man tat auch etwas dafür. Und das ist der Punkt, auf den es ankommt.
Nationalstolz und der Auftrag der Generationen
Ein Mensch kann stolz sein auf eine Leistung, die er erbracht hat. Er kann stolz auf Erfolge sein oder auf etwas, das er besitzt oder zu besitzen glaubt. Die Zugehörigkeit zu einem Staat allerdings ist etwas, auf das man erst einmal keinen Einfluss hat – ebenso wenig wie auf die ethnische Zugehörigkeit oder das Erscheinungsbild. Dass man als Deutscher, Rumäne oder Bantu geboren wurde, ist eine Zufälligkeit. Es hat nichts mit der eigenen Persönlichkeit oder eigenen Verdiensten zu tun. Es ist einfach so, ob es einem nun gefällt oder nicht.
Staaten sind – betrachtet man die Historie – nicht immer sehr langlebig. So gesehen ist es reine Zeitverschwendung, sich in allem damit zu identifizieren. Als jüngstes Beispiel könnte die DDR gelten. Aber solche drastischen Veränderungen gab und gibt es viele.
Der Stolz auf die Nation, in die man geboren wurde, wäre somit eigentlich nicht nachvollziehbar. Deshalb – so könnte man einwenden – braucht man sich auch durchaus nicht schuldig zu fühlen für Taten, die andere zu anderen Zeiten begangen haben. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Aber gibt es nun trotzdem. Denn auch wenn ich nicht schuldig bin an Verbrechen gegen die Menschen, so habe ich doch ein Mandat von den Generationen, die nach mir kommen. Denn da ich weiß, was geschehen ist, muss ich mit aller Kraft verhindern, dass es wieder geschieht. Das Wissen um die Schrecken allein erlegt mir die Pflicht dazu auf.
Dies wäre die Botschaft an diejenigen, die das Glück der späten Geburt haben: "Ihr könnt nichts dafür und müsst euch nicht entschuldigen für das, was andere taten. Seht aber zu, dass ihr euch nicht dafür entschuldigen müsst, dass ihr nichts getan habt, um eine Wiederholung zu verhindern." Das wäre nämlich das mindeste, das jeder tun kann, um stolz zu sein. Das gilt für jeden Angehörigen eines jeden Volkes dieser Erde.
© "Nationalstolz und der Auftrag der Generationen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2014. Bildnachweis: Weltkarte Fahnen, CC0 (Public Domain Lizenz).
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