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Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben. Was aber, wenn die Schule unentrinnbar das Leben ist? Für den Lehrer Wolfgang Fink ist die Schule genau das. Sehr nahe an den Sechzig reflektiert der Pädagoge Fink über das, was das Bildungssystem in diesem Land bewirkt, angerichtet, verpasst und möglicherweise sogar geleistet hat.
Darüber hinaus typisiert er die Kollegen, so wie den "Kumpellehrer", der sich in seiner Offenheit und Annäherung an die Schüler schlimmer verstrickt, wie es Wolfgang Fink je könnte. Trotz der langweiligen Anzüge und dem unauffälligen Wesen. Von Vorstellungen heimgesucht, die seine Frau Ute als Witwe malen: wie sie pragmatisch und vernünftig auch da ist – so wie sonst immer, aufopfernd, aber nie aufmüpfig und völlig aufgehend in ihrer Rolle als korrekte Hausfrau und ebensolche Mutter.
Während aber Fink sich durch den Schulvormittag quält, gehen seine Gedanken zu den gut betuchten Bekannten, die in Frau Fink eine Sehnsucht wecken, der sie, so gut es geht, Raum gibt und Nahrung. Hitlerjunge war er noch gewesen, der Wolfgang Fink. Und er hat das Schulsystem von seiner übelsten und von seiner versöhnlichsten Seite erlebt. Und daran verzweifelt ist er über die Jahre, denn was gewollt und richtig gewesen wäre, ist so nie eingetreten.
"Meine Betroffenheit sollte ein ausgewogenes Maß nicht überschreiten." ... Das ist eine Maxime Wolfgang Finks, der den Schülern den Holocaust in Bildern zeigt und selber über das Nichtbetroffensein in Betroffenheit gerät. Oder besser gesagt, über das zeitlich begrenzte Betroffensein der Schüler.
Er hat viel von dem gesehen, das geschah, als das Schulsystem sich zu wandeln glaubte und es letztendlich doch nicht tat. Als es immer und immer wieder auf das hinauslief, was es immer gewesen war. Als die ersten Ansätze in sich zusammenfielen und das Bildungsschiff wieder die alten Häfen ansteuerte.
"Wie Blätter im Herbst fallen aber immer mehr lange Haare, fallen immer mehr Bärte der Schere zum Opfer. Glatt rasierte Jungensgesichter und militärischer Haarschnitt breiten sich aus, nicht nur unter den Schülern, auch im Kollegium." ... So sieht für einen älteren Lehrer das Ende eines Neubeginns aus. Fink lässt Gedanken zu, die ihn selber als plötzlichen Witwer sehen, der beim Tode seiner Frau anwesend ist. Todessehnsüchte oder Todesängste – es bleibt sich gleich.
Der Schulalltag frisst den Lehrer auf, der manche Schüler aber dennoch wahrnimmt, eine heimliche Kumpanei zu erkennen glaubt in seiner grenzenlosen Einsamkeit. Gewollte Schwäche und gewollte Unauffälligkeit haben ihn zu einem minderen Familienmitglied gemacht. Einem, das unter dem Sohn rangiert, der Liebe wegnehmen kann. Und Fink, der von diesem Jungen mit Liebesentzug erpresst wird, sieht nicht, dass es gar keine Liebe gibt. Nur die eigene, seine Liebe. Die nicht hoch im Kurs steht.
Die Autorin Rose Kleinknecht-Herrmann hat in ihrem 2016 erschienenen Buch "Frust, Revolte und Normalität – Die Leiden des Lehrers Wolfgang Fink" mit präziser und pointierter Sprache ein leises und überaus komplexes Drama inszeniert. Eines das nachwirkt, weil die verschiedenen Akte uns in so vielem bekannt sind. Ganz egal, wo wir diesen Szenen beigewohnt haben – im Lehrerzimmer, in den Klassenräumen als Schüler oder als Eltern zuhause, im Warten auf die Kinder begriffen.
Es ist nicht versöhnlich, zum Schluss – weil es nie kriegerisch war. Wolfgang Fink bricht letztendlich aus, kurz und fast irritierend gesetzt erlaubt er sich einen Traum, der eigentlich gar keiner ist. Eher eine Art Gedankenspiel. Und dann doch wieder nach Hause kommt – getrieben wird, weniger von einem drängenden Gefühl als von einer Notwendigkeit, die er wahrnimmt, aber nicht wirklich hinterfragt.
Nach Hause geht er, und in die Schule wird er wieder gehen. Und verändert hat sich nichts. Nicht einmal er.
Der sprachlich auf einem hohen Niveau gezeichnete Roman von Rose Kleinknecht-Herrmann "Frust, Revolte und Normalität – Die Leiden des Lehrers Wolfgang Fink" liegt als Taschenbuch und als E-Book vor (ISBN 978-1536905380).
© Rezension "Nicht für die Schule lernen wir": Winfried Brumma (Pressenet), 2016. Abbildung des Buchcovers: Autorin Rose Kleinknecht-Herrmann.
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