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Ein dünner Kerl im Tutu und mit geschminkten Lippen stolziert wie ein gelenkkranker Kranich durch die Fußgängerzone, unter dem Arm trägt er ein kleines mit Pailletten verziertes Täschchen. Seine langen falschen Wimpern klimpern im Zehntel-Sekundentakt, und er hat eine Hand affektiert vom Körper abgespreizt, damit die langen blutroten Nägel recht gut zur Geltung kommen.
Jedem zweiten Mann sieht er kichernd hinterher, dann spricht er mit hoher Falsettstimme einen Verkehrspolizisten an. "Haaallo Wachtmeisterchen", gurrt er, "könnten Sie mir wohl den Weg zeigen?" Der Uniformierte tritt entsetzt einen Schritt zurück und sagt dann mit aasigem Unterton: "Ja, wohin wollense denn, mein Frollein?" Dann brüllt jemand: "Klappe!", und: "Ist drin, Jürgen. Schluss für heute."
Alle lachen, und der mit dem Täschchen nimmt schon mal die Perücke ab und meint, dass seine Frau froh sein wird, dass er früher kommt heute.
Im Bistro an der Kreuzung steht zwischen den anderen Gästen ein bulliger Kerl mit einer stolzen Kollektion gut trainierter Muskeln. Sein ärmelloses Shirt enthüllt eine Reihe von Tattoos im japanischen Stil, er trägt die Haare kurzgeschoren und unterhält sich mit seinem Nebenmann an der Bar. Der Mann hat eine wirklich einprägsame sonore Stimme, sein Lachen ist rau und laut. Seine sparsamen aber geschmeidigen Bewegungen verraten den Kampfsportler. Als er sich aufrichtet, um den Barkeeper nach der Rechnung zu fragen, überragt er alle anderen um einen Kopf. "Ich muss los", sagt er, "meinen Mann abholen."
Der erzieherische Wert dieser beiden geschilderten Szenen liegt im Aufzeigen der gängigen Klischees, was Homosexuelle betrifft. Leider haben sich bestimmte Vorstellungen in den Köpfen der Menschen dermaßen festgesetzt, dass es schon ein besonderes Ereignis braucht, um da ein Umdenken zu bewirken.
Jetzt kam aus einer Ecke, in der die meisten so etwas nie vermutet hätten, ein sensationelles Outing. Der berühmte walisische Rugbyspieler Gareth Thomas bekannte sich nämlich zu seiner Homosexualität. Das wäre weiter nicht besonders interessant, wäre da nicht ein Tabu gebrochen worden. Denn Rugby ist ein harter Sport, so richtig etwas für Männer. Und Schwule vermuten die meisten eher beim Ballett oder im Friseursalon. Gemeinhin wird diese Variante nämlich mit Schwäche und weibischen Verhaltensweisen assoziiert.
Einmal abgesehen von dem nicht unbedingt verständlichen Wort an sich kann nicht wirklich nachvollzogen werden, wieso ein Mann, der Männer liebt, nicht in der Lage sein sollte, sich wie ein Macho zu benehmen und Hanteln zu stemmen, oder eben American Football oder Rugby zu spielen. Es gibt jede Menge heterosexueller Männer, die kaum ein Bierglas stemmen können.
Die äußerst begrüßenswerte Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen konnte trotz allem keine wirkliche Bresche in die massive Wand der Vorurteile schlagen. So haben auch Lesben heute noch damit zu kämpfen, dass man sie sich eigentlich nur in Männerklamotten, mit rauchiger Stimme und kurzem Haar vorstellt. "Mannweiber" ist noch eine der freundlicheren Bezeichnungen, an die sie sich gewöhnen mussten. Je nach Geschmack der verständnislosen Mitmenschen kommt entweder vor oder nach den Beleidigungen die dümmliche Frage: "Wer von euch ist denn der Mann?" Im Fall der schwulen Männer wird natürlich nach der Frau gefragt.
Zugegebenermaßen ist die Toleranz weitaus höher geworden, und wenn gleichgeschlechtliche Paare Arm in Arm durch die Straßen gehen, wird das kaum noch wahrgenommen, jedenfalls in den meisten Ländern (anders in Malawi/Afrika, wo gerade ein schwules Paar direkt nach der Trauung zu Zwangsarbeit verurteilt wurde).
Die eigentliche Diskriminierung findet ganz woanders statt. Gareth Thomas berichtet von seinen heimlichen Kämpfen und von den langen Jahren des Versteckspielens. Wahrscheinlich wäre ein frühes Outing kein großes Problem gewesen, aber berufsmäßiger Rugbyspieler wäre er dann nicht geworden – das wäre wohl unmöglich gewesen.
Kein bekennender Homosexueller hat große Aussicht auf eine Karriere in Berufen, die ein extremes Machoimage haben. Wobei man sich vielleicht einmal ernsthaft fragen sollte, wieso eigentlich nicht. Die sexuelle Orientierung kann unmöglich etwas mit der körperlichen Leistungsfähigkeit zu tun haben. Wieso sollte ein Ringer oder Kranführer NICHT schwul sein, und wieso ist es zwingend jeder Ballett-Tänzer? Wobei gerade dieser Beruf ohne hervorragende Kondition und gut ausgebildeten Muskeln nicht auszuüben ist – es ist kein Broterwerb für Schwächlinge.
Gareth Thomas ist zu bewundern, denn sein Mut könnte dazu führen, dass sich noch weitere Spitzensportler outen und somit das Bild der Homosexuellen in den Köpfen der Menschen ändern. Von dem abgesehen braucht niemand wirklich eine Vorstellung davon, denn Homosexualität betrifft nur eines ... das Geschlecht des Ehe- oder Sexualpartners. Nicht die Intelligenz, nicht die Stärke, die Integrität oder sonst irgendetwas.
Bis jetzt konnte das eingestandene Schwulsein quasi zum Berufsverbot führen. Um das zu umgehen, nahmen viele Betroffene die Qual eines Doppellebens auf sich, was meist auch mehrere Menschen mit unglücklich macht. Viele gingen aus Alibigründen eine Ehe mit einem andersgeschlechtlichen Partner ein, was natürlich niemals gutgehen kann und auch nicht unbedingt fair ist. Meist weiß der Partner ja nichts von der Misere, was bedeutet, dass auch er irgendwann vor den Scherben seines Lebens steht, weil es auf einer Lüge aufgebaut ist. So etwas kann nur verhindert werden, wenn gewisse Wortverbindungen endlich aus unserer Wahrnehmung verschwinden.
Schwulsein mit gewissen Eigenschaften wie Zimperlichkeit, Schwäche oder Ähnlichem gleichzusetzen ist vielleicht bequem (mit Sicherheit dumm), aber es hat nichts mit der Realität zu tun. Es ist wie mit blauen Augen, man hat sie oder man hat sie nicht ... aber sie sagen nichts über den Menschen und schon gar nichts über seine Eignung als Sportler aus.
Gareth Thomas hat viel Stärke bewiesen und ist ein Beispiel für Zivilcourage. Es wird hoffentlich anderen in seiner Lage den Mut geben, um die letzte Bastion der Vorurteile gegenüber den Homosexuellen zu sprengen. Natürlich könnte man noch lange Zeit darüber philosophieren, wieso und warum wer mit wem Sex hat ... aber es ist leider so, dass unsere Gesellschaft wirkliche Probleme zu lösen hat. Und wenn geniale Köpfe die eine oder andere Lösung finden, werden wir doch den Teufel tun und nach ihrer sexuellen Orientierung fragen – oder?
© "Das Bild der Homosexuellen in unseren Köpfen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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