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(09.01.2011) "Die Angst ist weniger geworden, ich habe heute nur einmal gekotzt". Ein legendärer Ausspruch aus der Zeit des Vietnamkrieges, als eine Sängerin und Aktivistin sich gerade im Krisengebiet aufhielt, um ihre Solidarität zu bekunden.
Protestiert hat sie viel, die zierliche schöne Frau mit dem langen schwarzen Haar und der wundervollen Stimme. Sie war wohl eine Galionsfigur der 68er-Bewegung, eine Ikone der Flower-Power-Generation, und man kann sagen: die Muse des Protestes. Ihre Biografie, ihr Werdegang und ihre Kämpfe gegen den Krieg und das Establishment – das ist überall nachzulesen, davon soll hier nicht die Rede sein.
Joan Baez ist siebzig geworden. Immer noch schön, mit beeindruckender Präsenz und neuer, etwas weicherer Stimme zeigt sie sich mit kurzem grauem Haar auf der Bühne. Sie spricht über die sechziger und siebziger Jahre ohne Verklärung – es scheint, als betrachte sie das, was sie tat, als dem damaligen Mainstream angehörig. Das mag stimmen, denn riesige "Peace-Zeichen" auf ausgebleichten Jeansjacken und Hemden waren etwas, das einfach dazugehörte – etwas, das man trug, wenn man dazugehören wollte. Das war ebenso wenig verzichtbar wie lange Haare, Bärte, Hermann Hesse oder wallende indische Gewänder und Ledersohlen mit Zehenriemen.
Die Luft war von Patschuliduft geschwängert ebenso wie vom Geruch anderer Kräuter – man diskutierte die angesagten Schriftsteller und wandte sich gegen alles, was als althergebracht galt. Das war nicht nur Pflicht für einen Jugendlichen dieser Ära, es war unbedingt notwendig. Man muss die Protestbewegung vor dem historischen Hintergrund sehen, denn obwohl der Wiederaufbau zum Wirtschaftswunder mutierte, war klar, dass die alten Modelle versagt hatten.
Wohlanständige Angepasstheit hatte dem Aufkommen des Faschismus nicht gerade etwas entgegengesetzt, sondern war der Stabilisator, der den großen Rückhalt in der Bevölkerung auf dem nötigen Level hielt und praktisch die Basis stellte. Davon war noch sehr viel zu merken in den späten sechziger und den siebziger Jahren, in denen der Mief der angepassten Bürgerlichkeit und des anständigen Proletariats gegen die großgeblümten, schockierend bunten Tapeten und die neue Musik standen, die da aus dem Radio tönte.
Musik ist ein Träger und Vermittler von Emotionen, und wenn etwas ganz Neues auftaucht ... etwas, das die Gemüter erregt und Aufruhr verursacht, dann ist etwas Grundlegendes im Wandel begriffen. Die Beatles waren ein Jahrhundertereignis, aber mit ihnen kamen die Liedermacher mit ihren Gitarren, ihrer folklastigen Musik, die ihre Wurzeln nicht verleugnete – die Wurzeln, die tief im Blues verankert waren. Der war schon immer eine Art Protestmusik gewesen, wenngleich auch eher passiver, resignierter Natur. Die neuen Lieder prangerten an, riefen zum Widerstand auf oder machten sich lustig über die Dinge, die im Argen lagen.
Joan Baez war eine gewaltige Kraft für die Sache des Friedens, kaum ein anderer Interpret machte aus Traditionals oder Folksongs regelrechte Hymnen. "We shall overcome" ist so ein Song – er war der Wind, der die Segel des Aufbruchs blähte und diejenigen verband, die das "Peace-Zeichen" nicht nur an der Jacke oder um den Hals, sondern vor allem in der Seele trugen. Wenn Baez ihre glockenklare Stimme erhob, um diesen Song zu singen, standen die Zuhörer – so wie man aufsteht, wenn die Nationalhymne erklingt.
Baez sang Lieder wie "Joe Hill" oder "Carry it on" und man wusste, dass sie es genau so meinte, wie es geschrieben stand. Wenn man an die Musik dieser Ära denkt, fallen einem Namen wie Bob Dylan, Pete Seeger und viele andere ein – aber vor allem ist es Joan Baez. Auch ohne verklärende, verschönernde Erinnerung ist ihre Musik etwas wirklich Gutes, etwas tatsächlich Echtes gewesen. Und das ist es heute noch, auch wenn die "Lady des Protestes" ruhiger geworden ist und vor allem gute Lieder singen will, wie sie selber sagt. Das nämlich kann sie ohne jede Anstrengung immer noch – wirklich gute Musik machen.
© "Zum siebzigsten Geburtstag von Joan Baez": Beitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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