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Der alte Brauch des Totenbrettaufstellens ist in heutiger Zeit bis auf wenige Regionen – wie zum Beispiel dem bayerischen oder alamannischen Raum – verschwunden. In diesen Gegenden sieht man zuweilen noch die langen und schmalen Tafeln, die mit Namen, Schrift und oft auch mit Versen versehen am Wegrand oder in Gruppen an besonderen Plätzen stehen. Die oft sehr schönen Stücke sind mit einem kleinen Vordach ausgestattet, das die Inschrift vor den Witterungseinflüssen schützen soll.
Eigentlich sind diese langen Tafeln meist keine wirklichen "Totenbretter" mehr, sondern Gedenktafeln, die man zu Ehren des Verstorbenen aufstellte und die nie dem Zweck des Aufbahrens gedient hatten. Der eigentliche Brauch stammt aus der Zeit, in der die Sargbestattung noch nicht gebräuchlich war in unserem Kulturkreis. Der Leichnam wurde in dem Hause, in dem er verstorben war, aufgebahrt – das war meist sein Daheim. Der Tote wurde auf ein langes Brett gelegt, festgebunden und auf diesem auch zu seinem Grab getragen.
Oft wurde der Leichnam entweder mitsamt dem Brett vergraben, oder man hat ihn einfach in seine Grabstätte sanft hineinrutschen lassen. "Brettlrutschen" nannte man diesen Vorgang und nutzte es wohl auch als Umschreibung für Tod und Begräbnis. Das ehrwürdige Totenbrett wurde dazu passend auch "Rutschbrett" genannt. In alter Zeit war das nicht respektlos gemeint, denn der Tod war – anders als heute – mehr in das Leben integriert.
Dieses Brett, auf dem der Verstorbene gelegen hatte, wurde zu manchen Zeiten verbrannt, später aber entweder zu weiterem Gebrauch aufbewahrt oder als Gedenkzeichen aufgestellt. Das geschah entweder auf dem Hof des Verblichenen, oder aber an einem Weg, den er oft gegangen war. Das war in vielen Fällen der Weg zur Kirche, weswegen sich in deren unmittelbarer Nähe viele Totenbretter fanden. Anfänglich waren die Planken nicht beschriftet, man versah sie einfach mit drei Kreuzen. Doch im Laufe der Zeit kamen Namen, Datum und fromme Sprüche hinzu, was ein Totenbrett zu einem wertvollen "Datenträger" für die Ahnenforschung macht – ebenso wie Grabsteine. In späterer Zeit wurden die Holztafeln auch mit Malereien geschmückt.
Hat man das Glück, ein gut erhaltenes Toten- oder Gedenkbrett zu finden, muss man sich nicht auf die oft langwierige Suche in alten Archiven von Kirchen oder Ämtern machen. Gedenktafeln werden zwar heute nicht mehr viele aufgestellt, aber die, welche noch stehen, werden sorgsam gepflegt und die Inschriften gegebenenfalls erneuert. Bei den alten Totenbrettern, die tatsächlich in Gebrauch waren, hat man eher selten das Glück, sie in gutem Zustand zu finden. Das liegt vor allem daran, dass die Bretter absichtlich aus leicht vergänglichen Hölzern hergestellt wurden, denn um die letzte Ruhestätte der Toten, bevor sie in das Grab kamen, rankte sich mancher Aberglaube. So war man sich einig darüber, dass die Seele des Verstorbenen so lange im Fegefeuer bleiben musste, bis das Brett, auf dem er gelegen hatte, morsch oder mindestens die Schrift nicht mehr lesbar war.
Wem am Seelenfrieden des Toten gelegen war, der sorgte dafür, dass Wind und Wetter ihre Arbeit schnell und ungestört tun konnten. Es gibt Berichte von Totenbrettern, die als Steg oder Trittbrett benutzt wurden – nicht aus Respektlosigkeit, sondern eher um eine möglichst schnelle Abnutzung zu garantieren. Der Brauch geriet auch nicht in Vergessenheit, als die Sargbestattungen üblich wurden, denn das Totenbrett wurde als Bahrbrett verwendet, wenngleich der Tote nun nicht mehr darauf zu seinem Grab getragen wurde. Oft nun wurden schmalere und kürzere Bretter mit den Daten der Verstorbenen zum Gedenken aufgestellt, eine Art Hommage an den früheren Brauch.
Interessanterweise hatte man in der Zeit der Aufklärung das stark mit Aberglauben verbundene Aufstellen von Totenbrettern verboten, doch ungeachtet dessen hielt sich die Tradition des Bahrbrettes noch bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Die Inschriften auf den alten Gedenktafeln können so manche Lücke für den füllen, der sich der Ahnenforschung verschrieben hat und nach den Spuren seiner Vorfahren sucht. Zerbrechliche Archive in Holz haben lange Zeit die Wege gesäumt – jetzt werden sie seltener und das, was sie mitgeteilt haben, verwittert mit ihnen.
© "Regionales Brauchtum: Totenbretter": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bild: Totenbrettgruppe auf dem Kalvarienberg von Regen, Urheber/Fotograf: Papiermond aus der deutschsprachigen Wikipedia, Creative Commons-Lizenz.
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