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Im Licht der Lampe beugt sich der Künstler konzentriert über seine Arbeit, mit ruhiger Hand macht er die letzten Pinselstriche an einem schönen Blumenkranz. Dann legt er sein Werkzeug nieder und betrachtet ehrfurchtsvoll sein Werk. Vor ihm auf dem Holztisch liegt ein bleicher Schädel, dessen Decke und Stirn mit dem schönen Motiv verziert sind.
Die Szene hat durchaus nichts Unheimliches, denn der Maler behandelt das Artefakt mit allem gehörigen Respekt und ist sich des Wertes seiner Arbeit durchaus bewusst. Solche Szenen haben sich so oder ähnlich noch im zwanzigsten Jahrhundert abgespielt. Die Kunst des Schädelbemalens ist eine sehr respektable, wenn auch selten geübt. Zu bewundern sind die Werke im berühmten Beinhaus von Hallstatt in Österreich, das zum Weltkulturerbe zählt.
Beinhäuser sind Aufbewahrungsstätten für Schädel und Gebeine, meist bei Friedhofskapellen. Der Brauch, die Schädel der Verstorbenen an solchen Orten aufzubewahren, ist sehr alt, wie archäologische Funde zeigen. Aus dem zwölften Jahrhundert bis zur romanischen Zeit gibt es viele eindrucksvolle Beispiele dafür. Warum so verfahren wurde, hat wohl mehrere Gründe, wobei der augenscheinlichste das Platzproblem auf den Friedhöfen war.
Einige Jahre nach der Beerdigung wurden die Gräber wieder geöffnet und die Schädel, manchmal auch andere Knochen, entnommen. Die mit allem Respekt behandelten Überbleibsel wurden dann gereinigt und mehrere Wochen lang dem Sonnen- oder Mondlicht ausgesetzt. Das hatte einerseits eine Bleichung zur Folge, was den Knochen die Elfenbeinfarbe verlieh, es gab aber wohl auch spirituelle Gründe, wie eine Reinigung, die über das Materielle hinausging. Dann kamen die Schädel in das Beinhaus, auf einen bestimmten Platz, auf dem sich schon die Knochen verstorbener Angehöriger befanden.
Diese Beinhäuser oder "Karner" (von lateinisch Caro = Fleisch) fanden sich überall in Europa. Das bekannteste ist der Karner in Hallstatt, denn die Tradition der Bemalung kann als Besonderheit gelten. Es erinnert in gewisser Weise an die geschmückten und verzierten Gebeine von Heiligen, die als Reliquie verehrt und für die Gläubigen und Pilger ausgestellt waren. Es geht darum, die Wertschätzung für die Toten auszudrücken, denn wenn sie das Grab verlassen hatten, konnte man ihre letzte Ruhestatt nicht mehr ehren und schmücken, tat es also direkt auf den Knochen der Verstorbenen. Dieser rührende Brauch nimmt dem Begriff des "Beinhauses" jeden Schrecken, denn ein Karner ist ja nichts anderes als eine "allerletzte" Ruhestätte, wo die Familien wieder zusammenfanden – bemalt, beschriftet und geordnet.
Für uns Menschen der Moderne ist die Gegenwart des Todes eher eine abstrakte, wir begreifen ihn nicht als Teil des Lebens, wie es die Altvorderen wohl taten. Deshalb scheint uns diese Art des Gedenkens vielleicht etwas morbide, doch das ist es keineswegs. Das Hallstatter Beinhaus hat eher etwas Friedvolles als etwas Unheimliches, es zeugt von liebevollem Andenken. Rund 1.200 Schädel teilen sich diese Ruhestätte, davon sind 700 bemalt. Interessanterweise gab es verschiedene Motivperioden, was die Bemalung der Schädel betrifft. Blumenkränze, Kreuze und auch Schlangen in verschiedenen Ausführungen sind die Hauptmotive, die in ihrem Stil je nach Zeit variieren.
Nun ist das Beinhaus in Hallstatt keineswegs ein reines "Museum", denn es ist durchaus möglich zu verfügen, dass der eigene Schädel im Karner aufbewahrt werden soll. Der Besucher erfährt, dass der letzte Schädel im Jahre 1995 seine letzte Ruhe hier fand. Es handelt sich um die Überreste einer Frau, die 1985 verstarb, und es so gewünscht hatte.
Sieht man von den interessanten historischen Fakten einmal ab, ist ein Besuch des Hallstatter Karners ein Erlebnis, das lange nachklingt. Nach der ersten Bestattung gab es nach etwa zehn Jahren also eine zweite, eine endgültige. Lange Jahre nach dem Tod eines Angehörigen rückte die verstorbene Person wieder in den Fokus der Erinnerung, wurde wahrscheinlich noch einmal präsent für die Lebenden.
Ein Abschied, eine Versöhnung, oder der liebevolle Abschied von der Trauer – wie es auch immer jeweils gewesen war, der Umgang mit dem Tod war damals ein anderer als in der heutigen Zeit, die als Ära der Kurzlebigkeit bezeichnet wird. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass wir nicht unbedingt gerne an unsere Vergänglichkeit erinnert werden wollen. Doch dieser Ort könnte den Besucher eine andere Sicht der Dinge lehren – nämlich, dass der Tod neben der Unabänderlichkeit auch so etwas wie liebevolle Hoffnung bedeuten kann.
© "Ein Besuch im Beinhaus zu Hallstatt": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Foto aus dem Beinhaus zu Hallstadt von Gakuro, Creative Commons-Lizenz.
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