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Der Krieg geht zu Ende und der Gefreite Maier vom Stamm der Eroberer sitzt auf einem Fernsehturm. Dieser Fernsehturm ist aus taktischen Gründen vom Krieg verschont geblieben, und man hat den Gefreiten Maier dort hin gesetzt, um sich das Panorama der Stadt aufzunotieren. Die zivilisierte Welt wird hinterher keine Mühe haben, die Stadt in der alten Form wiederherzustellen.
Schade, denkt sich der Eroberer Maier, dass die Leute alle tot sind. Aber sie waren von einer unzivilisierten Sorte, einer niedrigen Lebensart. Und außerdem habe ich sie nie kennen gelernt.
Der Gefreite Maier hockt an seinem Personalcomputer und gibt ein. Radioaktive Wolken wabern um seinen Fernsehturmhügel.
Grauweiße Wolkenbarrieren schwimmen im Tal. Abgebrochene Kirchturmspitzen lugen hervor. Da wo der Zoo war, gibt es ein trübes Loch.
Plötzlich klopft es an der Tür. Der Gefreite Maier ist erstaunt. Sollte da doch noch einer leben? Draußen steht ein unscheinbares Männchen mit Glatze und grauem Anzug. Ein Unzivilisierter, das sieht man daran, dass er keine Uniform an hat. Im Krieg sind nur Zivilisten ums Leben gekommen, die jetzt als unzivilisiert gelten.
"Sie wünschen bitte?" "Ich muss mich beschweren", sagt das kleine graue Männlein.
"Da könnte ja jeder kommen", sagt der Gefreite Maier.
Aber selbstverständlich kann nicht jeder kommen. Jeder liegt da, unter den weißlichen Wolkenbarrieren und wird nie mehr irgendwohin kommen.
"Ich bin der Stadtarchivar", sagt der Graue. "Sie haben einen Fehler gemacht, nicht sie persönlich, aber ihre Armee."
"Das Ergebnis rechtfertigt jede Unternehmung", sagt Maier. "Und das Ergebnis ist überzeugend."
"Es wird einen Fall für die Vereinten Nationen geben, denn Sie haben den Dom zerstört."
"Du lieber Gott", Maier ist entsetzt.
Seine ganze Berechnung stimmt nicht. Dreißig Krankenhäuser atomisiert, sechzehn Kunstgalerien, die Gemälde waren ausgelagert – Parks, Sternwarten, Museen. Eingestampft, zum späteren Aufbau bestimmt. Registriert im PC.
Und jetzt der Dom. Das hätte nicht passieren dürfen. Des Maiers schöne Rechnung muss neu aufgemacht werden. "Diese Esel von der Luftwaffe", sagt er erbost. "Wo haben denn die bloß hin gezielt?"
"Das frage ich mich auch", sagt der kleine graue Stadtarchivar. "Zwar, der Dom stand mitten in der Stadt."
"Das ist es eben, was außerhalb der Stadt stand, wurde nicht zerstört." Maier liest vom Bildschirm ab: "Sankt Pankratius, St. Servaz, Mönchsweiler."
"Mönchsweiler?" will der Graue wissen. "Mönchsweiler ist ein Hochhausvorort. Den hätten sie ruhig vernichten können."
"Ich hab gedacht, Pankraz, Servaz und Mönchsweiler, das geht in eins."
"Vergessen sie es einfach", sagt der graue Mann.
"Aber der Dom – es ist ein sehr peinliches Versehen", gibt Maier zu. "Haben Sie denn Ihre Kulturdenkmäler vor dem Krieg nicht registrieren lassen?"
"Getan hätten wir es schon, aber die Anerkennung unseres Doms fiel zeitlich mit der Kriegserklärung zusammen. Der Brief kam nicht mehr nach New York."
"New York hat einen breiten Buckel", sagt Maier aufatmend. Für das Debakel können wir Beide nichts. Aber wir müssen uns irgendwie einigen."
"Das ist wahr", sagt der Archivar. "Sie haben getan was Sie konnten, und ich habe gehofft, dass das Schreiben doch noch in New York eingetroffen sei."
Maier gibt ein: Dreißig Krankenhäuser, sechzehn Galerien, Parks, Sternwarten, Museen. Dagegen gerechnet: Ein zerstörter Dom. Bilanz: Minus ein halber Dom. Die Eroberer bleiben im Defizit.
"Man wird uns der Unmenschlichkeit anklagen", sagt Maier verzweifelt. "Was für ein Propagandavorsprung für den politischen Feind. Der nächste Krieg ist schon vorprogrammiert."
Der Stadtarchivar hat einen Wodka aus dem Restaurant geholt. Nachdenklich sehen die beiden Männer hinaus, ins radioaktive Wolkengeschiebe.
"Dann hört es also immer noch nicht auf?" fragt der Archivar.
"Dann hört es immer noch nicht auf", nickt der Gefreite Maier. "So ist es eben."
(Nach einer Zeitungsnotiz: Kulturdenkmale, mit blauem Etikett gezeichnet, dürfen von keinem Aggressor angegriffen werden. Veranlasst von den Vereinten Nationen)
© "Das Kulturdenkmal: Der nächste Krieg ist schon vorprogrammiert" – eine Geschichte von Berthold Zimmerer; mit freundlicher Genehmigung von Heidrun Böhm; Bildnachweis: Radioaktiver Abfall, CC0 (Public Domain Lizenz).
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