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Es hat wieder so richtig gekracht – und jetzt, nach dem Streit, sind die Kräfte erschöpft – und keiner fühlt sich wohl. Jeder wird auf die eigene Weise damit fertig ... oder eher nicht – der eine verlässt das Haus und lässt sich den ganzen Tag nicht mehr blicken, der andere verkriecht sich irgendwo oder sieht angestrengt in den Fernseher. Und wahrscheinlich stellt jeder sich die Frage: Wie ist es nur wieder dazu gekommen?
Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wo Menschen miteinander leben, liegen überall unsichtbare kleine Zündschnüre aus. Sobald nun irgendwie ein Funke entsteht, entzündet sich eine Lunte – und ... bumm.
Vielleicht kennen Sie das: Man wollte auf gar keinen Fall mehr auf diese Weise reagieren – aber es ist, als hätte das Gefühl auf Autopilot geschaltet. Ohne dass man es wirklich möchte, hört man sich entsetzt genau die Worte sagen – oder die Dinge tun – welche die Situation jedes Mal eskalieren lassen. Es ist, als sitze man in einer Achterbahn und könnte nicht mehr aussteigen.
Nun gibt es ja die Theorie, dass ein tüchtiger Streit "die Luft reinige" und die Atmosphäre hinterher wieder klar sei. Wer unter häufigem eskalierendem Streit leidet, macht da allerdings völlig andere Erfahrungen.
Erstens einmal nimmt ein solcher emotionaler Hochdruck die Energie und lässt die Betroffenen ziemlich ausgelaugt zurück. Außerdem ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis man wieder im Ring steht. Meist werden die Abstände sichtlich kürzer, so dass – bildlich gesprochen – die seelischen Wunden noch nicht einmal annähernd geschlossen sind, bis es wieder um "Hieb und Stich" geht.
Was also bringt uns dazu, genau den Streit anzufachen, den wir eigentlich vermeiden wollten? Geht es wirklich darum, den anderen zu verletzen, "in die Ecke" zu schicken oder die Oberhand zu behalten?
Das ist in den seltensten Fällen der Grund für etwas, das keinem guttut und das ohnehin schon nicht unbedingt einfache Leben zusätzlich erschwert. Meist steckt viel mehr dahinter, und es lohnt sich auf jeden Fall, die Angelegenheit genauer zu beleuchten.
Es gibt den "Ersatzstreit", bei dem es meist um nichtige Kleinigkeiten geht – um die erbittert diskutiert wird, obwohl sie nicht der wirkliche Grund für die Auseinandersetzung sind. Der nämlich wird nicht einmal ansatzweise ins Spiel gebracht. Wenn es also immer wieder um die gleichen Nichtigkeiten Krach gibt, sollte man sich fragen, wo "der Hund begraben liegt" ... wahrscheinlich weit außerhalb des Ringes.
Die eigentlichen Ursachen werden entweder nicht realisiert, oder zumindest erfolgreich verdrängt. Niemand tut sich tatsächlich Schlimmes wegen irgendeiner Kleinigkeit an, deswegen ist der Ausspruch "Er/Sie flippt bei jeder Nichtigkeit aus" recht oberflächlich. Denn es geht nicht um Kleinigkeiten, sondern wohl eher um recht große Ängste.
Wenn jemand meckert, weil die Schuhe schon wieder mitten im Weg liegen, ist das kein Problem, steigert sich allerdings ein Mensch in regelrechte Wut deswegen, geht es um mehr. Wer nicht die kleinste Unordnung erträgt, möchte sein Umfeld überschaubar halten, stellvertretend für das nicht bezwingbare Chaos im Innern. Hier hilft kein Streit, hier müssen Gespräche stattfinden und Hilfe angeboten werden.
Oft kommt es bei Auseinandersetzungen zu Vorwegnahmen, man sagt etwas Unangenehmes über sich selber, bevor es der andere sagen kann: "Ich weiß, ich weiß – ich bin wieder an allem schuld." Sich selber verletzen, um sich dadurch vor den Verletzungen von außen zu schützen, ist etwas, das viele Menschen tun. Wahrscheinlich haben sie das, was sie sagen, tatsächlich schon oft von anderen gehört. Es wäre sinnvoll, einfach einmal danach zu fragen, oder für sich selber zu klären, wieso das Gegenüber glaubt, so reagieren zu müssen. Wir alle sind nicht davor gefeit, in gedankenloser Weise Dinge zu sagen, die wir eigentlich nicht so meinen. Es ist durchaus menschlich – was allerdings nicht bedeutet, dass es grundsätzlich und immer akzeptabel wäre.
Wenn Menschen in Rage die schlimmsten Dinge von sich geben, schreien sie in Wahrheit meist ihr Elend und ihren Schmerz heraus. Immer, wirklich immer liegen die Ursachen tiefer als der scheinbare Grund für einen gewaltigen Streit. Denkt man darüber einmal leidenschaftslos nach, reicht bei genauem Hinsehen ein Fleck auf dem Tischtuch oder die Tatsache, dass das Geld vor Monatsende knapp wird, nicht wirklich aus. Hinter dem ewigen Zoff um das Geld steckt natürlich Angst, aber gegenseitige Beschuldigungen machen das Budget nicht größer. Da könnte ein Haushaltsplan wohl eher abhelfen.
Stellen Sie sich einmal vor, wie nutzbringend Sie die Energie einsetzen könnten, die sie völlig unnütz durch zermürbende Streitereien vertun. Wahrscheinlich könnte man damit viele der Probleme lösen, um die es immer wieder Auseinandersetzungen gibt.
Es ist mehr als eine Binsenwahrheit, dass viele der im Zorn hervorgestoßenen Anschuldigungen oder Beleidigungen nicht wirklich an das Gegenüber gerichtet sind – oft werfen wir anderen genau die Charakterzüge oder Eigenschaften vor, die wir an uns selber hassen, aber nicht wahrhaben wollen und können. So mancher versteckte Hilferuf wird da ausgestoßen, aber unter den gegebenen Umständen natürlich nicht gehört. Was immer auch dazu führt, dass es immer und wieder zum Streit kommt, es handelt sich um eine sehr tiefe, sehr eingefahrene Rinne, die man nur schwer verlassen kann. Vor allem weil der Text sich verselbstständigt und nicht mehr den Verstand braucht – fast automatisch folgt Wort auf Wort, Verletzung auf Verletzung. Es ist wie Schattenboxen.
Aussicht auf eine Durchbrechung der "Streitroutine" hat man nur, wenn man tatsächlich mit völlig wachen Sinnen wahrnimmt, was gerade passiert. Wenn der andere brüllt: "Deine Familie ist schrecklich, ich hasse diese Nervensägen", dann sollte der Text verändert werden. Anstatt zurückzukeifen: "Du hast es ja nun gerade nötig, etwas gegen MEINE Familie zu sagen ...", könnte man so ruhig und gelassen wie möglich sagen: "Ja, ich hab auch so meine Probleme mit so manchem, was sie tun, aber du weißt ja, wie es ist, sie sind halt meine Eltern und ich hab sie gern."
Was genau gesagt wird, ist nicht das Wichtigste dabei, sondern dass die Stichworte nicht mehr folgerichtig kommen. Der andere wird reagieren, vielleicht nicht beim ersten Mal, aber mit der Zeit schon. Kommt es dann zu einem Gespräch über das Thema, vielleicht sogar zu einem, bei dem gelacht wird, hat man sehr viel erreicht. Man hat die Chance, aus einer Achterbahn auszusteigen, die gerade im Begriff ist, durch den Loop zu fahren – und man fängt sich gegenseitig auf.
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© "Der ewige Zoff: Die Achterbahn Streit": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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