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Im Jahre 2010 erblickte die "Fantasyguide-Anthologiereihe" das Licht der Welt. Der vorliegende V. Band "Schiff der Spione", im Juli 2019 erschienen, enthält vierzehn spannende Geschichten, die der bekannte Herausgeber Michael Schmidt zusammengestellt hat. Schmidt hat bisher auch mit seiner Horrormagazin-Reihe "Zwielicht", deren 10. Band wir hier vorgestellt hatten, mehr als eine glückliche Hand bewiesen.
Es heißt, der eine, große Fall beginne immer mit einer geheimnisvollen Frau, die dein Büro betritt. Früher hatte ich bei jeder Frau, die mein Büro betrat, das große Geheimnis, den einen Fall erwartet. Zwei Drittel meiner Klienten waren weiblich, die meisten hatten ein Geheimnis. Irgendwann sanken meine Erwartungen.
Ich reichte Karola Münch die Schachtel über den Schreibtisch und sie zog sich begierig eine Zigarette heraus, die ich ihr anzündete. Ich mochte den Rauch nicht, aber ich mochte noch weniger, wie ihre Hände die Tasche durchwühlten, den Hut richteten, an den Fingern ihrer Handschuhe zupften. Sie brauchten etwas, um sich daran festzuhalten.
Karola studierte die Bücher in dem Regal gegenüber vom Fenster.
"Haben Sie die alle ...?"
"Ja."
"Und waren Sie ...?"
"Meistens."
Sie schwieg und zog an ihrer Zigarette. Dabei war ihr noch nicht einmal klar, dass es sich hier nur um die lizenzierten Bücher handelte. Es gab drei weitere Regale im fensterlosen Hinterzimmer, hineingezwängt zwischen die Couch und die Spüle.
"Frau Münch, wir können gerne den ganzen Tag hier sitzen, aber helfen kann ich Ihnen nur, wenn Sie mir sagen, warum Sie meine Hilfe benötigen."
Sie drückte die Zigarette aus. "Es geht um meine Schwester, Franziska."
Sie nahm sich eine weitere Zigarette. Ich zündete sie an und wartete vergebens.
"Ihre Schwester. Ich nehme an, Sie hat ein Buch gelesen, vielleicht ein nicht lizenziertes, und dann ..."
"Nein. Nein, nicht gelesen." Sie blickte mir zum ersten Mal direkt ins Gesicht. "Geschrieben."
Meine Erwartungen loderten wieder auf. "Und?"
"Sie kam nicht zurück. Von einer Lesereise."
Ich stand in Flammen.
Ich betätigte den Schalter, der die Benzinzufuhr zum Motor unterbrach. Mein Wagen verreckte mitten auf der Dorfstraße. Dass dieser kleine nachträgliche Einbau, wenn man denn von ihm wusste, von jedem Platz des Wagens aus erreichbar war, war mir schon mehr als einmal zu Gute gekommen. Ich rollte an den Straßenrand und ließ das Jaulen des Anlassers dreimal den Motor quälen. Damit sollte ich mich angemessen angekündigt haben.
Ich entriegelte die Motorhaube, stieg aus, öffnete sie und blickte in mein Schätzchen wie ein Mann, der keine Ahnung hat, was er sieht. Eines meiner besonderen Talente.
Ich schlug die Haube wieder zu und schaute mich um, als wäre ich gestern nicht zweimal mit einem falschen Vollbart getarnt auf dem Fahrrad durch den Ort geradelt, um mich mit jeder Einzelheit vertraut zu machen. In der Dämmerung erkannte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite drei Häuser weiter das Schild, auf das ein Bett und ein Teller gemalt waren.
Ich holte meinen Koffer und schlenderte zu der Pension hinüber. Auf mein Klopfen hin flammte das Licht im Flur auf. Die Gardine wurde beiseite gezogen und ein runzliges Gesicht erschien hinter der Scheibe in der Tür. Ich lächelte und lüpfte meinen Hut.
Eine Dame jenseits der sechzig in einer gelbroten Schürze öffnete mir die Tür. "Ja?"
Ich stellte den Koffer ab, nahm den Hut ab und hielt ihn vor die Brust. "Guten Abend. Bitte entschuldigen Sie die späte Störung. Aber habe ich ihr Schild richtig verstanden, dass Sie Zimmer vermieten?"
"Ja, ja, junger Mann, durchaus." Die Alte sondierte mich von Kopf bis Fuß. Ich behielt mein Lächeln bei.
"Das trifft sich, wissen Sie? Ich war mit meinem Automobil auf dem Weg nach Trier und hatte eine Panne." Ich deutete mit meinem Hut die Straße hinunter auf meinen unter einer Straßenlaterne abgestellten Wagen.
Sie kniff die Augen zusammen und spähte in die angegebene Richtung. "So, so, dann waren Sie es also, der der ganzen Straße hier eben die Fußballübertragung im Radio vermiest hat?"
"Ich fürchte, da haben Sie recht, meine Dame." Langsam schmerzten mir die Wangen von dem Gelächel.
"Dann kommen Sie mal herein, junger Mann. Ich habe noch etwas frei für Sie, Herr ...?"
Ich nannte ihr einen Namen, wir schüttelten uns die Hände und der erste Teil meines Planes war über die Bühne gegangen. ...
Das Taschenbuch "Schiff der Spione" umfasst 253 spannende Seiten und wurde im Juli 2019 veröffentlicht (ISBN 978-1088593653). Das Buchcover entwarf Detlef Klewer. Die "Fantasyguide-Anthologiereihe" gibt es auch als E-Book im Handel.
"Schiff der Spione" – Beteiligte AutorInnen und ihre Geschichten:
G. V. Anderson – Das Steingeschöpf (übersetzt von Sebastian Rudolph)
Merlin Thomas – Lesereise
Ellen Norten – Der Gipskopf von Paestum
Nina Teller – Shinrais Gebet
Christel Scheja – Hedrels Fluch
Achim Hildebrand – Der Kopfgeldjäger. Eine Nidelgeschichte
Michael Schmidt – Das Mädchen Jolanda. Eine Saramee-Geschichte
Galax Acheronian – Dunkelheit
Torsten Scheib – Das Schiff der Spione
Andreas Flögel – Büro für Dämonenangelegenheiten: Sektion Berlin
Diane Dirt – Die Sitzung
Frederic Brake – Alte Spuren
Uwe Hermann – Der Aushilfswächter
Mack Reynolds – Er wusste Bescheid (übersetzt von Matthias Kaether)
Noch mehr phantastische Literatur lesen: Zwielicht 13: Der Mönch und die Pest | Zwielicht Classic 14: Onkel Herberts große Stunde
© Mystery von Merlin Thomas: "Lesereise". Dem Herausgeber Michael Schmidt sowie den beteiligten AutorInnen danken wir herzlich für die Textauswahl aus "Schiff der Spione" sowie die Abbildung des Buchcovers, 10/2019.
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