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Die neunte Ausgabe des Magazins Zwielicht Classic bietet eine reichhaltige Mischung aus Geschichten und Textbeiträgen der Genres Horror sowie Unheimliche Phantastik mit Ausflügen zur düsteren Science-Fiction. Enthalten sind wie immer herausragende Storys und vergessene Perlen (die detaillierte "Playlist" findet ihr am Ende des Beitrags).
Von Bettina Ferbus halten wir eine Leseprobe aus einer ihrer phantastischen Geschichten bereit: "Spuren im Sand" entstand im Jahre 2013 und spielt auf einem Grauen erregenden Wüstenplaneten. Die österreichische Autorin beschreibt sich als Leseratte und Phantastikfan; in vielen Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten und Romane im Bereich Fantasy, Mystery, Horror, Science Fiction sowie auch Märchen verfasst.
Das 182 Seiten starke Sammelmagazin "Zwielicht Classic 9" gibt es als Taschenbuch (ISBN 978-1512381412) sowie als E-Book im Online-Buchhandel.
Noch achtundvierzig Tage.
Dann hatte ich meine Strafe abgesessen, dann konnte ich diesen Planeten endlich verlassen. Ich ertrug das endlose Schleifen des Windes nicht mehr. Es nagte an meiner Seele, ebenso wie der allgegenwärtige Sand und wie die ständige Angst. Wir schliefen in Schichten. Trotzdem wagten wir kaum, die Augen zu schließen. Ein jeder von uns schreckte beim leisesten Geräusch aus seinen wirren Träumen. Hohläugige Gespenster, gefangen auf dieser Welt des nicht enden wollenden Wahnsinns.
Leises Schnarchen störte meine Ruhe. Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich erkannte, wo es herkam. Es war nicht James, der drei Pritschen weiter ruhte. Nein, Gregory, der über meinen Schlaf wachen sollte, war zur Seite gesunken. Er lehnte in einer halb liegenden, halb sitzenden Position an der Wand. Seine Beine hingen über den Pritschenrand, der Mund war leicht geöffnet, ein Speichelfaden hing an seinen Lippen.
"Gregory!"
Er schrak hoch, setzte sich auf und Entsetzen trat in seine Augen.
"Tut mir leid, Frank. Wird nicht mehr vorkommen."
"Idiot! Es ist bereits zu spät! Da!"
Ich deutete auf das Wellenmuster im Sand, das von der Tür bis zu meiner Pritsche reichte. Bei meiner Ankunft hatte ich nicht verstanden, warum die millimeterdicke, hellgelbe Schicht niemals fortgekehrt wurde. Reichte es nicht, dass der Sand in jede Ritze kroch, dass er im Wasser genauso zu finden war, wie im Essen und in der Kleidung. Man gewöhnte sich nie an das widerliche Knirschen, wenn er beim Kauen zwischen die Zähne kroch, oder an den Juckreiz, den er verursachte, wenn er sich mit dem Schweiß in der Pospalte sammelte.
"Wir brauchen ihn wegen der Würmer."
Als ich diese Antwort erhielt, dachte ich, die Hitze und die Trockenheit hätten meinen Mitgefangenen das Gehirn aus dem Schädel gedörrt. Dann gab ich mich der Hoffnung hin, der Sand würde die Würmer aufhalten.
Die anderen lachten bitter, als ich ihnen das sagte.
"Der Sand ist ihr Element. Aber auf dem glatten Boden sieht man ihre Spuren nicht."
Die Spuren fadendünner Geschöpfe, durchsichtig wie klares Wasser und beweglich wie Amöben. Sie wurden von unseren wasserhaltigen Körpern angezogen. Jede größere Wasseransammlung war eine Chance, sich zu nähren und zu vermehren. Jeder Tropfen Schweiß, den wir verdunsteten, war ein Lockruf für die Würmer. Sie nützten jede Körperöffnung, jede noch so kleine Wunde und hielten sich oft Tage in einem menschlichen Körper auf, ohne Symptome zu verursachen. Irgendwann begannen die Krämpfe, das Zittern, der Durst, den keine noch so große Flüssigkeitsmenge stillen konnte. Dann kamen die Lähmungen, die Glieder- und Muskelschmerzen, das Gefühl, als würden sich Glasscherben durch die Eingeweide wühlen.
"Es tut mir so leid, Frank!"
"Du verdammtes Arschloch!"
Mir gingen die Worte aus. Ich sprang auf und stürzte mich auf ihn. Wie von selbst schlossen sich meine Hände um seinen Hals. Er wehrte sich nicht. So etwas wie Erleichterung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Ich ließ ihn los und trat zurück. Da sah ich die Spur, die zu seiner Pritsche führte.
"So leicht mache ich es dir nicht! Ich habe nur noch achtundvierzig Tage."
Gregory schwieg. Ich drehte den Kopf weg, konnte ihn nicht mehr ansehen. Meine Hände waren immer noch zu Fäusten geballt und ich zitterte am ganzen Leib vor unterdrückter Wut. Ich wusste, dass mich alle ansahen. Die leisen Geräusche, die jeder Schläfer von sich gibt, hatten aufgehört. Kein Schaben und Knirschen, wenn ein schwerer Körper auf der Pritsche sein Gewicht verlagerte. Kein Stöhnen oder Schnarchen. Auch kein Seufzen von den Wächtern. Niemand kratzte sich auch nur die vom Sand gereizte Haut.
Ich starrte auf den Boden. Etwas wand sich im Sand neben meinem Stiefel. Ich hob den Fuß und trat zu. Lautlos hauchte ein Wurm unter meiner Sohle sein Leben aus. Zur Sicherheit drehte ich den Absatz mehrfach hin und her. Die Würmer waren zäh. Mehr als einmal hatte ich erlebt, wie sich etwas, das aussah wie ein Tröpfchen Gallerte, nach wenigen Minuten wieder bewegte und erneut zu einem Wurm formte.
Diesmal regte sich nichts mehr. Der feuchte Fleck im Sand trocknete und ich kehrte auf meine Pritsche zurück. Jemand grunzte und kratzte sich dann hingebungsvoll. Ein von einem Stöhnen begleiteter Furz folgte. Die Pritschen knirschten leise, als sich die darauf liegenden Männer eine bequemere Position suchten. Ich fragte mich, wie viele von ihnen wohl in dieser Nacht mit offenen Augen schlafen und wie vielen die Würmer bis in den Schlaf folgen würden.
Noch siebenundvierzig Tage.
Gregory hatte wieder über meinen Schlaf gewacht. Wir hatten so getan, als wäre nichts geschehen. Aber ich konnte ihm nicht mehr vertrauen. Seine Angst machte ihn unberechenbar. Ich hatte mehr als einen Mann durchdrehen sehen.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass die Angst nicht auch an mir nagte. Natürlich fragte ich mich, ob der Wurm, den ich zertreten habe, der einzige gewesen war, der es in die Nähe meiner Pritsche geschafft hatte. Vielleicht waren es zwei und einer von ihnen suhlte sich bereits in meinen Körperflüssigkeiten. Anhand der Spuren ließ sich das nicht feststellen.
Aber ich konnte nichts tun. Ich musste auf meiner Pritsche sitzen und abwarten.
'Nimm dich in acht vor Dune 8!'
Ich hatte diesen Spruch nie ernst genommen, konnte mir nicht vorstellen, dass es auf diesem Wüstenplaneten schlimmer sein sollte, als in den Minen. Ich hätte mich fragen sollen, warum neunzig Prozent der Sträflinge den Planeten nicht mehr verließen. Tausend Tage waren mir für Raubmord nicht allzu viel erschienen. Auf jedem anderen Gefängnisplaneten hätte ich mindestens die fünffache Zeit absitzen müssen. Inzwischen kamen mir die tausend Tage wie tausend Jahre vor.
Ich war genauso hohlwangig und hager geworden, wie alle anderen. Hier gab es niemanden, der mit Gewichten trainierte oder auch nur eine einzige unnötige Bewegung machte. Der Gedanke, dass wir nicht arbeiten mussten, hatte mir anfangs gefallen. Da hatte ich noch nicht gewusst, wie zermürbend es sein konnte, wenn man zur Untätigkeit verdammt war. Auf Dune 8 gab es keine Zerstreuungen, keinen Ausgang. Es war nicht so, dass wir eingesperrt wären. Die Türen der Baracken hatten nicht einmal Schlösser.
Aber da draußen gab es nichts als Wüste und Würmer. Einige hatten es versucht. Die meisten blieben verschollen. Die wenigen, die den Weg zu den Baracken zurück schafften, waren mit Würmern verseucht, sodass man sie nicht mehr hereinlassen konnte. Es war nicht einfach die Türen zu blockieren und jeder vergossene Schweißtropfen lockte die Würmer an. Mit jedem Winzling, der unter der Tür durchgekrochen kam, hassten wir die Idioten mehr, die nicht glauben konnten, was man ihnen sagte, und dann zurück gekrochen kamen. Der Hass machte es leichter, ihre Schreie zu ertragen und das Klopfen an der Tür zu ignorieren. ...
In "Zwielicht Classic 9" enthaltene Geschichten:
Bettina Ferbus – Spuren im Sand (2013)
Hubert Katzmarz – Pilz im Glück (2004)
Malte S. Sembten – Der Problemopa (2012)
Christian Endres – Sherlock Holmes und die Frau im Nebel (2009)
Thorsten Küper – Wenn Dich der Bluesman holen kommt (2002)
Kurt Tichy – Susans einsamer Krieg (2001)
Christian Weis – Kinosterben (2007)
Torsten Scheib – Wie die Lemminge (2013)
Marcus Richter – Haus am Meer (2007)
Heinz Tovote – Leichenmarie (1902)
F. O. Tenneberg – Der Student (1860)
Weitere Textbeiträge:
Lars Dangel – Das vergessene Geisterbuch
Eric Hantsch – Aus dem vergessenen Bücherregal
Elmar Huber – Nachtmeerfahrten
Vincent Preis – Die bisherigen Preisträger
Mehr Horror und Phantastik lesen: Vincent Voss: "Die dicksten Kartoffeln" (aus dem Horrormagazin "Zwielicht 14").
© Phantastik von Bettina Ferbus: "Spuren im Sand". Dem Herausgeber Michael Schmidt sowie den beteiligten Autoren danken wir herzlich für diese Leseprobe und das Coverbild, 09/2020. Das Buchcover zu "Zwielicht Classic 9" wurde vom Illustrator Lothar Bauer entworfen.
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