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Die Herausgeber Michael Schmidt und Achim Hildebrand legen im Oktober 2023 den neunzehnten Band des Horrormagazins "Zwielicht" vor. Enthalten sind fünfzehn angsteinflößende und furchterregende Erzählungen, sowie drei Textbeiträge (Auflistung siehe weiter unten).
Mal erfolgt ein schockierender Ruf aus der Dunkelheit, ein anderes Mal wird über die Verschwörung mit einem Mähroboter berichtet. Auch die Beiträge über den Viktorianischen Schrecken oder den Blutmond über der verlorenen Kolonie lassen die Leser keine Sekunde schlafen.
Von der Autorin Lena Marlier, die in den Genres Fantasy, Horror, Krimi, Thriller, Phantastik und Science-Fiction zuhause ist, dürfen wir nachfolgend Teile ihrer Horror-Erzählung "Matriphagie" veröffentlichen (als Matriphage bezeichnet man in der Zoologie bestimmte Tierarten, deren Jungtiere das eigene Muttertier fressen).
Eine Spinne krabbelte über ihre Zehen. Es kitzelte. Sie schüttelte das Tier mit einer Fußbewegung ab und kümmerte sich nicht weiter darum. Sie saß auf ihrer Holzpritsche, den Rücken gegen die Kellerwand gelehnt, die Beine zum Schneidersitz überkreuzt. In ihren Händen hielt sie eine zerknitterte Zeitschrift. Das Licht, das durch die trübe Glasscheibe dort oben im Mauerwerk fiel, reichte gerade aus, um die Schrift zu erkennen.
Lautlos formte sie mit ihren Lippen die Buchstaben und mühte sich ab, diese zu Silben, zu einem Wort, zu einem Satz zusammenzusetzen. Sie runzelte die Stirn und hangelte sich von Zeile zu Zeile. Im letzten Tageslicht kämpfte sie mit einem unbekannten Wort. Mat-..., Matri-..., Matriphagie? Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Buchstaben entlang und flüsterte das Wort mehrmals mit verschiedenen Betonungen vor sich hin, bis es ihr flüssig von den Lippen ging. Dann musterte sie das Foto, das eine Viertelseite des National Geographic-Artikels einnahm.
Eine haarige Spinne hockte dort in der Mitte, braun mit weißen Sprenkeln. Mehrere kleinere Spinnen krabbelten über sie hinweg, begruben sie unter sich mit ihren halb durchsichtigen Körpern. Die große Spinne ähnelte den Artgenossen, die das Zimmer mit ihr teilten. Sie wandte den Blick für einen Moment von der Zeitschrift ab, um sie zu beobachten, wie sie in nicht nachvollziehbaren Mustern von einer Mauerfuge zur nächsten wuselten. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie die Krabbler angsteinflößend und eklig gefunden hatte. Aber in der Zwischenzeit hatte sie viel über Angst und Ekel gelernt. Wenn sie so darüber nachdachte, waren die Spinnen die einzige Bewegung in der Starre des Zimmers.
Dieses Foto allerdings zeigte ihr Details, die ihr nie aufgefallen waren. Die Große hatte vier Augen! Wenn diese kleineren Flecken da auch welche wären, dann hätte sie ja mindestens acht ...
Wie praktisch! In alle Winkel gleichzeitig sehen zu können. Sich nie vor dem Schatten fürchten zu müssen, der kurz außerhalb des Sichtfeldes – herum huschte.
Mit den beiden Augen, die sie stattdessen hatte, schaute sie hinauf zu dem schwindenden Sonnenlicht, und dann zur Zimmerdecke. Nur ein Kabel ragte aus dem Beton. Sie drückte kurz den Rücken durch. Solange sie die Schrift noch erkennen konnte, wollte sie mehr über die Spinnen erfahren.
Stegodyphus lineatus, wieder so ein Zungenbrecher, der sie zehn Minuten kostete. Eine Spinne aus Israel, das konnte sie noch entziffern. Dann begannen ihre Augen zu schmerzen. Mit einem Seufzen schob sie die Zeitschrift unter die Matratze und vergewisserte sich, dass sie nicht mehr zu sehen war. Sie wollte sich nicht vorstellen, was er tun würde, wenn er herausfand, dass sie eines seiner Hefte gestohlen hatte.
Sie lehnte den Kopf nach hinten, bis er gegen die Wand stieß. Mit geschlossenen Augen flüsterte sie: "Matriphagie ... Matriphagie ... Matriphagie ..."
Es hatte einen geheimnisvollen Klang, fand sie, wie ein Zauberspruch. Während sie das Wort in ihrem Gedächtnis auf die Suche nach seiner Bedeutung schickte, döste sie ein. ...
Unser Horror-Lesetipp: Die 19. Taschenbuch-Anthologie umfasst 287 Seiten, die euch das Zittern lehren. Das Horrormagazin "Zwielicht 19" ist auch als E-Book im Handel erhältlich.
Das Horrormagazin "Zwielicht 19" enthält diese Kurzgeschichten:
Ina Elbracht – Monsieur Ortolan
Torsten Scheib – Wenn die Dunkelheit ruft
Algernon Blackwood – Kains Sühne
Nele Sickel – Geburtstag ohne Simon
Lena Marlier – Matriphagie
J. H. Schneider – Piotrek lebt
Vincent Voss – Die Verschwörung der Mähroboter
Erik Hauser – Gesicht im Staub
Brian Evenson – Die Abfolge
Glen Sedi – Unsere Anhängsel
Karin Reddemann – Vergissmeinnicht
Utz Anhalt – Das Schwert
Philip Krömer – Alles hat seine Zeit
Andreas Müller – Zwölf Uhr mittags
Arabella Kenealy – Das heimgesuchte Kind
Weiterhin sind diese Textbeiträge enthalten:
Jo Piccol – Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Textbeitrag zu "Die Abfolge")
Karin Reddemann – Roanoke: Blutmond über der "Lost Colony"
Matthias Käther – Viktorianischer Schrecken
Die Übersetzungen erfolgten von Achim Hildebrand, Jo Piccol und Reinhard Klein-Arendt. Das Titelbild wurde von Björn Ian Craig entworfen.
Auf der Webseite des Herausgebers Michael Schmidt findet ihr eine Fülle an Informationen zu sämtlichen Zwielicht-Buchausgaben und auch anderen Veröffentlichungen zu den Genres Horror und unheimliche Phantastik.
© Genau so soll es sein: ANGSTeinflößend und FURCHTerregend. Den Herausgebern und den beteiligten Autoren danken wir herzlich für diese Leseprobe, 10/2023.
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