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Alle Welt spricht von Kipppunkten und warnt davor diese zu erreichen. Die Gefahren, die danach auf uns warten seien zu groß. Es würden Vorgänge losgetreten, die wir nicht mehr einfangen könnten. Der Schaden, der dann auf uns warten würde, wäre katastrophal.
Wir Menschen haben ein Problem. Der Weg zum Kipppunkt ist unsere Realität, in der wir leben. Wir diskutieren, hadern, sind wütend, wir kleben uns an Straßen fest, wir warnen, wir reden den ganzen Tag, erstellen Studien. Der Kipppunkt, den wir vorzeichnen, ist aber der Gang durch eine Tür. Das blöde ist nur, dass diese Tür keinen Spion hat. Wir sehen nicht durch sie hindurch, sondern mutmaßen, was auf der anderen Seite sein könnte. Sicherlich wissenschaftlich berechnet, sehr wahrscheinlich und absehbar, aber, und das ist ein großes Aber, es bleibt eine Hypothese. Wie wahrscheinlich sie auch sein mag, sie ist noch keine Realität. Vielleicht zum Glück!
Und damit haben wir den Salat, denn das ist unser eigentliches Problem als Menschen. Wir lernen nicht durch die Aufstellung von Hypothesen. Die Wissenschaftsredakteurin und Moderatorin im Deutschlandfunk Kathrin Kühn hat im Frühjahr 2023 einen sehr interessanten Artikel zu "Sozialen Kipppunkten" geschrieben.
Die Journalistin Jeanette Hagen hat in einem Beitrag auf LinkedIn dazu geschrieben, wie uneinheitlich wir agieren und auf die Katastrophe zusteuern.
Es ist wie immer in unserer Geschichte, es verdichtet sich, es kumuliert und wir laufen auf die nächste Katastrophe zu.
Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht den Gegenbeweis antreten können. Nehmen wir mal an, dass wir auf dem Weg zur Katastrophe, diese vor ihrem Eintreten abwenden würden. Wäre sie denn auch wirklich eingetreten? Der Lerneffekt aus unserem Handeln wäre dann nicht gegeben und würde Hypothese bleiben. Diese haben wir aber weiter oben als für uns nutzlos erkannt, denn der Mensch lernt nicht aus der Hypothese.
Es ist wie in der Natur. Pflanzen und Tiere, zu denen wir übrigens auch gehören, reagieren nicht auf Hypothesen, sondern auf Realitäten. Ist keine Nahrung da, wandern die Tiere ab oder verhungern. Das sich die Nahrung eventuell zukünftig verknappen wird, wird als Wahrscheinlichkeit nicht gesehen. Das Ergebnis ist, dass ein Teil die Veränderung nicht meistern wird und ein anderer Teil, der auf die Veränderung schneller reagieren konnte oder was anderes gegessen hat, überleben wird. Aber eben immer erst nach dem Eintreten der Veränderung.
Die Natur hat aber eine ganze Bandbreite von Individuen geschaffen, die nicht alle gleich sind, quasi das Sicherheitsnetz. Der eine oder andere wird von der Gaußschen Normalverteilung gehört haben. Es gibt überall Individuen, die es anders machen als die Mehrzahl. Als Beispiel wäre die Mönchsgrasmücke zu nennen, die überwiegend im Herbst gen Süden zieht. Ein Teil flog aber immer schon nach England. Lange Zeit haben die Biologen gerätselt, warum sie das machen. Jetzt nehmen die Auswirkungen des Klimawandels zu und die Vögel aus England kommen besser durch die Winter und sind im nächsten Frühling schneller in ihren Brutrevieren. Die Kollegen aus Afrika haben einen längeren Weg und sind im Nachteil, weil sie mehr Energie für den langen Flug investieren müssen. Langfristig werden sich die Tiere aus England durchsetzen, weil sie einen Vorteil haben.
Nehmen wir mal an, wir Menschen ticken genauso, dann wäre die Konsequenz, dass wir einen Teil von uns abschreiben müssten, weil sie nicht die Hypothese als mögliche Wahrscheinlichkeit erkennen können. Wir würden also auf die Reduktion der menschlichen Bevölkerung hinsteuern. Die Übriggebliebenen hätten dann den zukünftigen Job, den neuen Weg zu gehen, bis auch dort die nächste Katastrophe wartet. Und damit würde ein Mechanismus entstehen von hinfallen, aufstehen, Krone richten, wieder hinfallen etc.
Vielleicht ist der aktuelle Unterschied aber doch, der uns von der Mönchsgrasmücke abgrenzt, dass wir Menschen in der Lage sind Hypothesen und Wahrscheinlichkeiten zu benennen und mögliche Aspekte in der Zukunft zumindest in ihren Umrissen zu skizzieren. Die Glaskugel ist noch etwas matt. Der kommende Schritt wäre, auf die benannten Hypothesen dann zu reagieren, wenn der absehbare Schaden noch nicht eingetreten ist, und vielleicht macht diesen Entwicklungsschritt nicht jeder mit.
Dann wäre das aber zumindest der Beweis, dass wir die gleichen Mechanismen in uns tragen, wie die Mönchsgrasmücke.
Was bleibt, ist nicht die Hypothese, sondern die Frage, ob wir Interesse daran haben, uns als Menschen zu erhalten. Diese Frage scheint aktuell noch nicht entschieden zu sein.
Unsere Leseempfehlungen: Dr. Martin Kreuels ist Autor und Coach für trauernde Männer sowie Biologe. Für seine Sachbücher, Romane und Gedichte bitten wir um Beachtung.
© "Der Kipppunkt und die Glaskugel oder warum wir nicht aus Hypothesen lernen": Ein Essay von Dr. Martin Kreuels, 10/2023. Die Abbildung zeigt eine Illustration unserer Erde während des Klimawandels und der globalen Erderwärmung, CC0 (Public Domain Lizenz).
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