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Männertrauer ist ein sensibles Feld, in dem uns viele Informationen fehlen. Zwar fließen immer mehr Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen ein, aber in Gänze wird es noch nicht verstanden. Es fehlt ein Zusammenspiel der einzelnen Wissenschaften.
Seit 2009 beschäftige ich mich mit diesem Thema. Gleichzeitig versuche ich diesem Komplex einen Bereich beizusteuern, der in meinen Augen zu wenig Beachtung erfährt, obwohl er in jeder Körperzelle gespeichert ist und das Resultat von vielen hunderttausenden Jahren ist: die Biologie und Evolution und ihre Auswirkungen auf die Trauer des Mannes.
Betrachten wir unsere Entwicklung in der Geschichte, dann ist der sogenannte "moderne" Mensch erst seit wenigen hundert Jahren hier auf der Erde. Wir können den Beginn recht genau festlegen: der Beginn der industriellen Revolution. Dies ist der Zeitpunkt, in der sich Gesellschaften grundlegend änderten und sich ein langtradiertes Rollenbild verändern konnte. Mittlerweile sprechen wir von dem Anthropozän, so vehement hat der Mensch die Welt verändert.
Vor diesem Zeitpunkt gab es viele Jahrtausende, in der das Überleben des Menschen und die persönliche tägliche Sorge um die Ernährung der Familie im Fokus stand.
Diese Entwicklung, die sich im genetischen Material jedes Menschen abgebildet hat, ist durch Mutation und durch das Erlernen von Eigenschaften (Epigenetik) entstanden. Der Mensch von heute ist das Resultat dieser Geschichte und sein Erbgut, damit das Spiegelbild.
Die historische Entwicklung bildete eine Rollenverteilung aus. Durch eine Arbeitsteilung von Mann und Frau waren sie optimal an die natürlichen Bedingungen angepasst. Der Mann ging, vereinfacht gesagt, auf die Jagd und bestellte später die Felder, während die Frau die Kinder bekam, diese versorgte und sich um das Heim kümmerte. Klingt klischeehaft, hatte aber Auswirkungen auf unsere körperliche Ausstattung, weil die Natur daran interessiert war, einen erfolgreichen Organismus zu schaffen.
Beispiele, abgesehen von den äußeren körperlichen Merkmalen: Männer schmecken eher salzig für Fleisch, Frauen eher süß für Früchte; Frauen haben einen um 20 % höheren Körperfettanteil; Männer haben 30 % mehr Schweißdrüsen; Frauen hören in allen Bereichen feinere Unterschiede, bis auf den Bereich der Tierstimmen; Frauen haben im seitlichen Sichtfeld eine höhere Wahrnehmungsfähigkeit als Männer; das Blut weist unterschiedliche Zusammensetzungen auf: Männer haben mehr Eisen für den Sauerstofftransport, Frau mehr Kupfer gegen Infektionen usw. Es gibt zahlreiche Bücher zu diesem Thema (siehe Leseempfehlungen 1 und 2 weiter unten). Dabei geht es nicht um eine Bewertung der Unterschiede, sondern um ihre Wahrnehmung.
Neben den körperlichen Unterschieden gab es eine soziale Rollenverteilung. So sind Frauen stärker in der Kommunikation, die sich auf die Gehirnarchitektur ausgewirkt hat. Frauen waren durch ihre Aufgabe mehr in soziale Interaktionen eingebunden als die Männer, die in Kleingruppen oder häufig allein arbeiteten. Noch heute sind in den sozialen Berufen die Frauen stärker vertreten. Mittlerweile ist eine Veränderungstendenz zu erkennen.
Diese Eigenschaften, gewachsen und gespeichert über viele hunderttausende Jahre, werden zu einem großen Teil heute nicht mehr benötigt. Sie stecken aber noch in uns. Das bedeutet nicht, dass Änderungen nicht möglich sind, sie bedürfen aber Zeit bzw. einen großen Aufwand und ihre Wahrnehmung.
Verallgemeinern lässt sich diese Beobachtung nicht. Wir sprechen in der Wissenschaft aber von einer beobachtbaren Verteilung im Verhältnis 70:30. Das heißt der überwiegende Teil orientiert sich danach. Zu erkennen ist aber, dass es ein Drittel anders macht und dies ist die Gruppe, die aufgrund ihrer Anlagen die zukünftigen Veränderungen voranbringen wird. Dieses Verhältnis spiegelt sich bei allen Organismen dieser Erde wider.
Die Art und Weise, wie wir gelebt haben und wie die Bedingungen auf uns einwirkten, haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Bin ich beispielsweise in der Kommunikation stark, habe ich evtl. besseren Zugriff auf meine Gefühle. Dann kann ich mich damit eher auseinandersetzen, um Krisen zu bewältigen. Frauen sind in diesem Bereich den Männern überlegen, da Sprachzentren und emotionale Zentren im Gehirn nebeneinander liegen, während beim Mann beide Zentren auf die Gehirnhälften verteilt sind.
Unterschiede im Umgang mit der Trauer lassen sich zwischen den Geschlechtern in der Überlebensrate messen: Verstirbt die Partnerin und bindet sich der Mann nicht wieder in den kommenden zwei bis drei Jahren neu oder wird er in einer Gemeinschaft aufgefangen, ist seine Lebenserwartung um bis zu 10 Jahren reduziert (siehe Leseempfehlung 3). Die Nachsterblichkeit nach dem Verlust der Partnerin ist in den ersten sechs Monaten nach dem Ereignis bei Männern um 100 % erhöht, gegenüber der normalen Sterblichkeit. Ein Grund könnte in der Psychoneuroimmunologie liegen, da im Gehirn viele Verschaltungen neu geschaffen werden müssen. Das Immunsystem ist in dieser Phase geschwächt und vorerkrankte Menschen haben ein höheres gesundheitliches Risiko.
Viele Dinge in der Trauer (Traumaforschung) lassen sich bis auf die Molekularebene unserer Zellen beobachten und betreffen dabei sowohl Männer als auch Frauen. Die Frage ist: Wer kommt besser mit den Veränderungen klar?
Aber Biologie ist nichts, was statisch ist. Auch hier ist vieles im Fluss. Wichtig ist es aber, dass wir den Bereich der Trauer nicht nur in den Bereich der Seele, der Psychologie oder der Soziologie verorten, sondern dass wir auch den biologischen Aspekt betrachten und damit den evolutionären Weg. Wir sind auch "nur" Säugetiere und Teil des ökologischen Netzes dieser Erde. Beachten wir diesen Aspekt in der Begleitung eines trauernden Mannes, können wir viel gewinnen.
Und dann haben wir am Ende vielleicht nicht das Problem im Kopf, wenn es dem trauernden Mann wichtiger ist, dass jemand da ist, der schweigt, als wenn er Gespräche über seinen Gefühlszustand führen muss. Und manchmal ist genau dieser Umstand für eine Frau schlecht auszuhalten. Oder anders gesagt: gehen sie mit einem trauernden Mann spazieren oder wandern, dann muss er sie nicht anschauen, denn Augenkontakt steht in der männlichen Evolution immer noch für eine Drohgebärde.
Bitte beachten Sie die Bücher von Martin Kreuels, die er auf seiner Webseite vorstellt, sowie seine Videos auf Youtube, seinem vertonten Buchstabenparkplatz.
Leseempfehlungen:
1. Moir, A. & D. Jessel (1990): Brainsex – Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau. Econ, Düsseldorf.
2. Pease, A. & B. Pease (2002): Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Ullstein, München.
3. Weißbach, L. & M. Stiehler (2013): Männergesundheitsbericht 2013: Psychische Gesundheit. Hans Huber: 276 S.
© "Männer trauern anders – biologische Hintergründe": Ein Essay zum Thema Männertrauer von Dr. Martin Kreuels, 07/2023. Die Abbildung zeigt eine trauernde Figur am Brunnen.
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