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Band 1 von "Alle meine Freunde"
"Alle meine Freunde" – das sind insgesamt 85 Geschichten, die in einer 5-teiligen Buchreihe erschienen sind und im Jahre 2021 von der Autorin Ulla Burges herausgegeben wurden.
Die teils bebilderten Geschichtlein handeln über die Freunde der Autorin und im Zusammenspiel mit ihr: augenzwinkernd, nachdenklich, leise, kritisch, hintergründig, aber auch makaber. Alle Geschichten sind bestens geeignet für Humor-Erprobte, die in der Lage sind, ihre Mitmenschen aus einer gewissen Distanz zu betrachten.
Jeder Band wurde als gebundenes Buch veröffentlicht und enthält je 80 Seiten mit je 17 Geschichten, die viel Fiktion aber auch viel Wahrhaftigkeit enthalten. Unsere Empfehlung: Besonders lesenswerte Bücher!
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5. Band
Es geht doch nichts über einen höflichen Umgang miteinander. Sind das nicht Übungen für diejenigen, die in die große Politik wollen? Dort ist es angebracht, dort verhindert es das aus der Angst geborene Losknallen. Vor der Auslöschung steht immer die Höflichkeit, gepaart mit Komplimenten und Lächeln. Dreht man sich um, erstirbt das Lächeln.
Wovor haben wir beide Angst? Wir sind zwei personifizierte Höflichkeiten. Elisa hat Angst vor der Auslöschung ihrer Illusionen, Imaginationen. Und weil sie ahnt, dass sie Schimären hütet, ist ihre Höflichkeit von besonderer Ausprägung. Das, was sie pflegt, muss unbedingt erhalten werden. Ich habe Angst, erkennen zu müssen, zum Kreis ihrer Schimären zu gehören, also auch für mich ein Grund zu ausgesuchter Höflichkeit.
"Ich möchte dich ausladen", sagt sie am Telefon. "Ich möchte das Schöne, das Vertraute zwischen uns nicht gefährden. Ich kann nicht einverstanden sein mit dem, was du da machst, und deshalb mag ich dich jetzt nicht sehen."
"Ich danke dir sehr für die Ausladung", sage ich. "Du kommst mir zuvor. Ich möchte dir ebenso sagen, dass ich deine Einladung jetzt nicht annehmen werde."
So überbieten wir einander in höflichen Ausladungen mit dem alleinigen Zweck, unsere Freundschaft zu erhalten, keinen Misston zu erzeugen oder ihn vernehmen zu müssen. Elisa bezeichnet sich als harmoniesüchtig. Selbst weniger davon infiziert, akzeptiere ich diese Haltung, will ihren Frieden nicht stören aus purer Bequemlichkeit – was auf dasselbe hinausläuft.
Wir lassen nun Gras wachsen über der Angelegenheit, hoffen auf die Zukunft, schreiben vorzügliche Zeilen zu den Festen und natürlich auch zwischendurch, da es auf dieses Zwischendurch ankommt. Wer ausschließlich die Jahrestage zum Schreiben nutzt, hält sich lediglich stur und emotionslos an die Standardformen. Wir aber erfahren voneinander, dass wir uns weiterhin durch Dick und Dünn begleiten werden – ist das nicht schön? Was wir uns nun alles wieder wünschen können! Großartige Zusammenstellungen aus dem Almanach deutschsprachiger Spezialfloskeln! Damit erhält man Freundschaften, Leute!
Elisa sagt, das größte Glück im Leben seien erfüllte Pflichten. Ich sehe das anders, aber vor einem schon wieder strittigen Punkt zwischen uns laden wir uns lieber aus. Schon jahrelang. Jedes Mal, wenn wir einen Besuch planen, steht vor der Realisierung die Ausladung. Für den Erhalt freundschaftlicher Bande. Wären wir nicht schon so alt – unsere Chancen in der Politik stünden nicht schlecht. Unsere vollendet gelungenen Formulierungen zwängen jeden politischen Gegner in die Knie – nein, falsch, bloß kein Zwang – sie nähmen ihm den Kampfwind aus allen Segeln. Flaute. Besser als kraftraubendes Gefecht mit anschließender Niederlage.
Gestern deutet sie ein schwieriges Thema an: ihren schrecklichen Ehemann. Sie möchte kommen, es mit mir besprechen. Aber ich mag ihren Ehemann. Daher fürchte ich, es wird auf eine Ausladung hinauslaufen. ...
Ich mag Theo, schätze seine Begeisterung für seine Forschung, womit er mich früher anstecken konnte. Inzwischen ist er auf seinem Gebiet ein Marathonläufer von verheerender Zielstrebigkeit, ganz vorn, hat alle abgehängt und bekommt längst nicht mehr mit, dass meine Sympathie für ihn sich in Skepsis verwandelt hat, in beklommenes Staunen und manchmal sogar in den Wunsch, davon gar nichts mehr wissen zu wollen. Theo hat große Angst vorm Tod, sucht nach Möglichkeiten der Lebensverlängerung, nennt sich Gen-Technologe.
Vor fünf Wochen brachte er mir sieben Rosen mit, sehr spezielle Rosen.
"Aus meiner letzten Forschungsreihe, habe nicht viele davon. Du siehst, wie wichtig du mir bist. 'Sieben Rosen hat der Strauch, sechs gehörn dem Wind' – weißt du noch, dieses hübsche Brecht-Gedicht?" Er lächelte aufmunternd.
"Ja, unsere Gedichte, eine gemeinsame Ebene, ist lange her", sagte ich.
"Nein", widersprach er. "Diese Rosen sind die pure Poesie – wirst du sehen!" Seine Augen glänzten rücksichtslos.
Die edlen blassen Geschöpfe in einer Vase, saß Theo andächtig davor, in stiller Betrachtung seiner Züchtung. Er begann seinen Vortrag. Der zartgrüne Rand an den Blütenblättern werde sich verbreitern – Ausdruck des Polymerisierungsgrades, vielmehr der Mischpolymerisation. Die Codons würden sich nicht überlappen, und die Aminosäuren würden durch mehr als ein Triplett codiert. So bleibe die genetische Amplifikation erhalten, wenn man die Terminatorcodons ausschalte, was ihm gelungen sei durch die Synthetisierung eines Restriktionsenzyms, mit dessen Hilfe die Herauslösung spezieller Gene gut gelinge und so die neue Gentransfer-Methode sehr viel besser zu realisieren sei.
"Theo", unterbrach ich ihn. "Wie werden diese Rosen sich entwickeln?"
Mein Interesse freute ihn. Zunächst erfolge die Verbreiterung des grünen Randes, alsdann seine Verblassung – ein Alterungsmerkmal, das es noch zu beseitigen gelte. Stängel und Blüten würden noch etwas wachsen, wie Tulpen in der Vase. Dauerhaft geruchlose Blüten, ohne weitere Entfaltung, das halboffene Knospenstadium bleibe erhalten.
Wie lange denn, wollte ich wissen.
Theo grinste schelmisch. "Wirst staunen!"
Ich war irgendwie nicht glücklich.
"Verstehst du nicht", insistierte er. "Wir arbeiten inzwischen mit Kunststoff!"
"Das heißt, du bringst Plastikrosen das Wachsen bei?"
Ich betastete die weiß schimmernden Blütenblätter, die sich echt anfühlten.
"Sieh es doch nicht so unromantisch", sagte er. "Ganz allmählich veredeln wir das lebendige genetische Material, machen es dauerhaft, erhalten Schönheit und Lebenskraft, tricksen ein bisschen, es merkt gar nichts von der Polymerisation!"
Wie lange er noch mein Freund sein wolle, fragte ich Theo. Er verstand nicht.
Seit fünf Wochen betrachte ich diese weißgrünen Rosen. Sie ängstigen mich.
"Sterbt endlich", sage ich zu ihnen.
Aber sie bleiben stumm. Auch die Gehörlosigkeit scheint ein Züchtungserfolg zu sein. ...
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© "Es geht doch nichts über einen höflichen Umgang miteinander". Textauszüge aus "Alle meine Freunde", eine Buchreihe von Ulla Burges, mit freundlicher Genehmigung der Autorin, 10/2023.
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