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"Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, jedenfalls sagt Werner das." Karla schlug die Beine übereinander und rührte missmutig mit der linken Hand in ihrer Kaffeetasse. Ihre Freundin, die ihr gegenübersaß, zog amüsiert die Augenbrauen hoch. "Blumensprache? Komm schon, Karla – das mit dem Garten ist doch nur die harmlose Macke einer älteren Frau." "Ist es nicht", sagte Karla, "es hat ja auch harmlos angefangen erst einmal. Du verstehst schon, die Neuankömmlinge im Block nett begrüßen mit einem selbstgebackenen Kuchen. Dann immer mal klingeln und 'was Nettes aus dem Gärtchen anbringen."
Karla ignorierte den ungläubigen und ein wenig herablassenden Blick ihrer Freundin und redete drauflos: "Sobald man draußen saß im Frühjahr und Sommer war sie immer zugange mit ihren Werkzeugen, werkelte praktisch von früh bis spät an den Beeten und Büschen. Und genau deswegen gab es nicht viel, das ihr entging, verstehst du. Sie fing an, durch die Blume nette kleine Spitzen anzubringen. Die hatte einmal mitgekriegt, wie ich Pizza in den Ofen schob. Ach ja, diese Fertigsachen sind schon bequem, nicht wahr? Ich mache mir lieber die Mühe und bereite ein richtiges Essen vor. Und Werner sagte dann tatsächlich, dass er ja auch lieber die gute Küche mag – aber mit einer berufstätigen Frau geht das nun mal nicht. Danach hatten wir einen Riesenkrach, das kannst du glauben."
"War nicht geschickt von ihm", meinte Hanne, "er hat doch keine Probleme damit, dass du arbeitest, oder?" "Na ja, eine Zeit war es ziemlich heftig mit der Arbeit – die Kollegin ist ausgefallen und ich bin öfter mal später heimgekommen. Zu mir hat er allerdings nie was gesagt. Da musste erst diese Gartenschlange ankommen. Ich bin jetzt noch sauer, wenn ich daran denke. Jedenfalls ging es dann weiter mit Einladungen, du weißt schon. Damit Sie mal was Richtiges in den Magen kriegen. Das sagte die mehr als einmal, während ich daneben stand. Apothekerin sind Sie, ja ist das denn ein Beruf für eine Frau? Das ist auch so ein Thema für die. Und mit Werner ist darüber nicht zu reden, der sagt, ich wäre hysterisch und hätte einfach ein Problem damit, wenn er sich mit jemandem gut versteht."
"Du glaubst doch nicht ...", flüsterte Hanne, indem sie sich vorbeugte. "Nein, das nicht – sie ist über sechzig. Aber sie ist alleinstehend und gerade dabei, sich eine Familie zu kidnappen. Sie hat Juliane ein Poesiealbum geschenkt ... ein POESIEALBUM." Karla verdrehte die Augen und Hanne prustete los. "Ist nicht witzig, Hanne. Die Kleine war begeistert und in ihrer Klasse ist das jetzt die größte Mode. Sie ist elf und leicht zu begeistern. Und dann hat die Alte ihr die Sache mit der Blumensprache beigebracht." "Was ist das denn?", kicherte die Freundin.
"Na, je nachdem, was für Blumen du jemandem schenkst, haben die eine Bedeutung. Rosen stehen für die Liebe, allerdings ist die Farbe sehr wichtig dabei. Jedenfalls hat sie an meinem Garten rumgemeckert, bis Werner meinte, dass ich schon mal mehr machen könnte. Wo er doch immer den Rasen mäht am Samstag, wenn er eigentlich frei hätte. Und ob er auch noch Unkraut jäten soll. Herrgott, mir liegt das eben nicht so. Und ich arbeite schließlich auch – die Kinder sollen ja am Wochenende was von mir haben. Und da half ihm die Gute doch tatsächlich am vorletzten Samstagmorgen im Garten, während ich in der Apotheke war, weil mich der Chef gebeten hatte."
Hanne war mittlerweile ganz gespannte Aufmerksamkeit. Karla registrierte das mit Befriedigung und fuhr mit ihrem Bericht fort. "Du stellst dir nicht vor, wie wütend ich war, als ich heimkam. Sie hatte Limonade gemacht für Werner und die Kinder, und sie hatte mir eine Aufmerksamkeit auf die Gartenbank gelegt. Für Sie, meine Liebe, damit Sie sehen, was sich alles so versteckt hinter den Büschen. Ihr blödes Gekicher sollte das wohl als Witz dastehen lassen – aber das Bündel Brennnesseln sprach da eine andere Sprache." "Eine andere Sprache? Was meinst du damit? Haben die denn eine besondere Bedeutung?" "Die haben sie", sagte Karla grimmig, "sie bedeuten: Ich habe dich durchschaut. Und am Tag drauf kriegte ich einen Topf mit einer Akelei."
"Ich weiß nicht mal, wie so 'was aussieht, aber was hat die Akelei gesagt?", fragte Hanne mit großen Augen. "Sie sollte mir sagen", ... Karla machte eine kleine Pause, ehe sie fortfuhr, um die Wirkung zu erhöhen: "Sie sollte sagen: Du bist ein Schwächling. Ja, und seitdem reden Werner und ich kaum noch miteinander, ohne zu streiten, und manchmal essen er und die Kinder drüben bei ihr. Sie will mir ja schließlich nur Arbeit abnehmen." Letzteres sagte Karla in einem übertrieben süßen Ton, so dass Hanne lachen musste. "Ja, und was wirst du tun?", fragte sie. "Das weiß ich noch nicht genau, aber es wird Zeit, dass ich klare Verhältnisse schaffe."
+ + +
Exakt vierzehn Tage später saßen die beiden Frauen in einem Café zusammen, es war ein spontanes Treffen, zu dem Karla ihre Freundin gebeten hatte. "Und?", fragte Hanne, nachdem beide bestellt hatten, "wie sieht es aus bei dir? Haben die Blumen gesprochen oder ist Stille im Beet? Du siehst gut aus, was ist passiert?" "Was passiert ist? Nun ja, die Alte hat schon mindestens eine Woche nichts von sich hören lassen. Keine Einladungen, kein Mittagessen für meine Familie ... und keine Blumen. Und das Beste ... ich habe vom Hauswart gehört, dass die Blumenfee zu ihren Kindern nach Hamburg ziehen will."
"Ich glaub's nicht, wie hast du das gemacht?" Hanne hatte kreisrunde Augen vor Aufregung und vergaß ihren Kaffee völlig, während Karla sich entspannt zurücklehnte. Dann sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln: "Erst habe ich neulich so ganz nebenbei vom Giftschrank erzählt, zu dem ich als ausgebildete Apothekerin Zugang habe. Dann habe ich Blumen sprechen lassen, so als kleines Dankeschön, weißt Du. Als kleine Gegengabe für erwiesene Aufmerksamkeiten habe ich der Alten eine Poinsettia geschenkt – einen Weihnachtsstern." "Du hast ... ja, aber was bedeutet das?" "Es ist ein Wolfsmilchgewächs, Hanne. Und es ist giftig. Eine klare Sprache, ganz ohne Schnörkel ... und sie hat verstanden."
© "Lasst Blumen sprechen". Kurzgeschichte und Abbildung: Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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