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"Sei nicht immer so empfindlich, du Mimose!" Kennen Sie das? Da spricht man über etwas, das verletzt hat oder es gerade noch tut, und dann kommt dieser Standardsatz oder etwas Ähnliches. Jemand war gedankenlos oder, in härteren Fällen, auch etwas absichtlicher – und zu dem Unbehagen kommt eine versteckte Schuldzuweisung. Ob das nun zusätzlich geschieht oder wenn man darüber sprechen möchte – es ist immer nicht fair – oder was meinen Sie?
Das ist es tatsächlich nicht, denn wo es wann wehtut, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Einer brüllt vor Lachen, wenn er auf die Schippe genommen wird – ein anderer würde am liebsten die Türe hinter sich zuziehen, und zwar von außen. Flexibilität wäre da schon gefordert von den ewigen Spaßvögeln und Sprücheklopfern, denn man kann sehr leicht eine empfindliche Stelle treffen. Natürlich kann das auch gewollt sein – oder eben unter einer anderen Prämisse laufen.
Da gibt es diese Filmszene in "Die Liebe in mir" von Mike Binder. Es geht um Freunde – und einer sagt flapsig so etwas wie: "Nun komm schon, du Schwuchtel." Der andere fühlt sich beleidigt: "Warum sagst du so etwas, das tut man einfach nicht, jemanden Schwuchtel nennen." Und die Antwort darauf ist: "Wenn du eine Schwuchtel wärst, dann würde man so etwas nicht tun. Du bist aber keine und deshalb bedeutet es nichts."
Der Typ setzt noch einen drauf und verlangt dann prompt an der Kinokasse: "Zweimal – ein Erwachsener und eine Schwuchtel." Und sein Freund schüttelt lächelnd den Kopf und folgt ihm, um Spaß zu haben. Die Bezeichnung fand er wahrscheinlich immer noch sehr daneben – aber er wusste nun, dass absolut keine böse Absicht dahinter steckte, und der "blaue Fleck" auf der Haut verschwand sofort, im übertragenen Sinn. Die Szene beschreibt sehr genau, was eigentlich passiert, wenn wir verletzt werden. Hier lief es richtig – der großmäulige Kumpel setzte zwar noch einen drauf an der Kasse, hat das Wort aber wahrscheinlich nicht wieder benutzt. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht – und das war es dann. Der Idealfall war eingetreten.
In der Realität läuft es selten so gut – sobald jemand Reaktion zeigt, entwickelt sich so ein "Spaß" zum Running Gag – und nicht immer ist das so unschuldig. Es gehört zum gelungenen Abend, wenn Frau X oder Herr Y sich sichtlich ärgert und alle begeistert feixen. Zwar nicht wirklich böse gemeint – aber doch sehr gedankenlos. Hier kann man – sollte man den Aufwand scheuen, sich einen neuen Freundeskreis zu suchen – die Sache nur aussitzen. Kess kontern oder die Schultern zucken ... es wird für die selbsternannten Stand-up-Comedians irgendwann langweilig werden. Bis dahin fühlt man sich meist ziemlich schlecht – denn wenn eine Bemerkung diese Wirkung hat, ist ein wunder Punkt getroffen. Aber der Trick mit dem Vorwurf funktioniert dann immer. Man wird vorgeführt – nicht zuletzt als Spaßbremse – und das tut noch einmal weh. Empfindlichkeit ist etwas, das bei manchen Menschen ehrenrühriger ist als zum Beispiel Unehrlichkeit.
Aber – so sonderbar es klingen mag – es ist ein Gutteil Neid dabei. Nicht jeder wagt es, sich Getroffensein zu erlauben. Und immer taff zu erscheinen ist auch einigermaßen arbeitsintensiv. Nur sehr schwache Menschen versagen sich jedwede Schwäche und tolerieren sie auch bei anderen nicht. Da sie aber wahrscheinlich andere Dinge zu tun haben, als eine ganze Clique dazu zu bringen, das Verhalten zu hinterfragen, sollten sie sich das mit der Suche nach neuen Freunden vielleicht doch überlegen.
Etwas ganz Anderes ist das gewollte Mobben, die mit Absicht beigebrachten Verletzungen. Ich hatte einmal die Tochter einer Freundin heulend im Wohnzimmer sitzen – das Mädchen im Teenageralter war gerade zum Opfer der Woche auf dem Pausenhof gekürt worden. Es ging – wie fast immer in diesen Fällen – um das Wort mit dem "H". Hure oder Schwuchtel (je nach Geschlecht) sind die mit Abstand beliebtesten Worte, um jemanden klein zu kriegen. Wobei die Bedeutung als solche eigentlich keine Rolle spielt. Jede Nonne oder jeder Don Juan würden mit diesen Standardbeleidigungen belegt werden – darauf kommt es nicht an.
Jedenfalls hatte das Mädchen keine Ahnung, wie es darauf reagieren sollte – außerdem nahm es das Wort an sich ernst. Nachdem es aber eingesehen hatte, dass es ebenso gut hätte "Dumme Gans" heißen können, nahm sie meinen Rat an und hatte seitdem Ruhe – und als Bonus die Lacher auf ihrer Seite. Sobald nämlich genau dieses Wort wieder fiel, grinste das Mädchen, seufzte tief auf und sagte: "Ja genau – wie meine Mutter und meine Großmutter – und ich sag' euch, das ist'n harter Beruf."
Das klingt vielleicht etwas zu derbe – aber wir hatten es mit weiblichen Teenagern zu tun, die im Rudel auftraten. Feinsinnige Äußerungen sind da wenig angebracht. Die männlichen Vertreter dieser Spezies hielten sich grundsätzlich in der Nähe auf, um den Hennenkampf zu genießen. Und gerade die lachten bei dem gelungenen Konter. Unnötig zu sagen, dass von da an Ruhe war. Das alles spielte sich vor einigen Jahren ab – die junge Frau, die sie mittlerweile ist, hat sich ihre Empfindlichkeit durchaus bewahrt – aber sie geht anders damit um. Denn wer da glaubt, mit der Zeit würde die Haut dicker, dem muss gesagt werden, dass gerade das Gegenteil der Fall ist: sie schleift sich dünner. Aber dafür haben wir Zeit zum Lernen – wir können gewollte und gedankenlose Beleidigungen unterscheiden, beziehen die Umstände mit ein und können ganz gut damit leben.
Aber – und das ist wichtig – ein "zu empfindlich" gibt es nicht wirklich. Empfindungslose Menschen oder solche, die es gerne wären, schotten sich nicht nur vor schmerzvollen Gefühlen ab, sondern auch vor schönen und angenehmen. Und so ist das Leben, glaube ich, nicht gemeint.
© "Mimosen sind nicht gleich Zicken": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Gesicht einer Frau, CC0 (Public Domain Lizenz).
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