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Sie hat Schluss gemacht. Jans Welt ist zerstört. Aus dem heimischen Paradies vertrieben, flieht er nach Indien, um sich in Mumbai in einen Rausch aus Partys, Alkohol und Drogen zu stürzen. Während er die Stadt kennenlernt und von einem One Night Stand zum nächsten stolpert, sind Magenbeschwerden und Erektionsstörungen noch seine kleinsten Probleme. Denn er zieht ganz nebenbei die Aufmerksamkeit eines Drogenbosses auf sich.
Der Autor Philipp Baar liefert in "Der dreibeinige Hund lacht" ein ungewöhnlich authentisches Stück Reiseliteratur mit Fokus auf Mumbais Unterwelt. Sein Unterwegs ist, bei aller Dekadenz, aber auch eine Liebesgeschichte in Zeiten der Globalisierung und eine Ode an den Subkontinent.
Der Kurzroman umfasst in der Taschenbuch-Ausgabe 138 Seiten und wurde im Juni 2019 vom Verlag edition subkultur herausgegeben (ISBN 978-3943412475). "Der dreibeinige Hund lacht" gibt es auch als E-Book in den gängigen Online-Buchportalen.
Nach einer Zigarette vor der Tür (indischer Nichtraucherschutz) kommen Adam und ich wieder in den Kneipenbereich in der ersten Etage des Leopolds. Neben unseren Hockern an der Bar sitzen zwei Frauen. Der Barkeeper bringt Bier, und sie verhandeln mit großem Palaver über einen Rabatt, weil eine der beiden angeblich Geburtstag habe.
Sie sind hübsch. Indische Mandelaugen, Haare wie schwarze Seide, westliche Kleidung. Der einen fallen fast die Brüste aus dem Shirt, und ihre Hose ist knalleng und aus irgendwas Glänzendem. Überhaupt nicht mein Typ Frau, aber ich muss sie ja nicht heiraten.
Die beiden bekommen ihre Cocktails, bezahlen den vollen Preis, und ich frage die Glanzhose: "Du hast also Geburtstag?"
"Nein, meine Freundin – wollt ihr nicht mit uns anstoßen?", ist alles, was sie antwortet, und dabei ist es weniger ihr Outfit als die Art, wie sie es sagt, dass ich denke: Game, set and match.
Sie ist heute nicht hier, um ihre Freundin zu unterhalten. Sie will irgendwas vergessen. Wir stoßen an. Zwei verlorene Seelen in einer Bar. Vielleicht wird der Abend noch interessant, denke ich weiter, während ich das Glas ansetze.
Schon ein Bier später rauchen wir vor der Tür. Sie ist sechsundzwanzig und abgesehen von ihrer Schönheit auch noch intelligent, studiert Medizin in Kalkutta, ist fast fertig, und verbringt die Semesterferien bei ihrem Vater. Außerdem unterrichtet sie im Nebenjob Englisch, und das ist im Grunde erschreckend, denn ihr Akzent klingt ständig aggressiv. Ich habe ununterbrochen das Gefühl, sie würde mich bedrohen, selbst wenn sie ganz normale Dinge zu mir sagt wie: "Ich bin aus Kalkutta." – "Ich arbeite gern mit Kindern." – "Wir brauchen mehr Kokain."
Das ist eben das Problem, wenn Asiaten von Asiaten Englisch lernen. Aber daran gewöhnt man sich, und sie ist on the way to make my day. Oder besser: night.
Mittlerweile turteln wir schon offensiv herum, was in Indien in der Öffentlichkeit ein Verbrechen ist. Dem uniformierten Securityman des Leopolds gefällt es auch nicht. Sie zieht mich ein Stück weiter, in die nächste dunkle Ecke, und schiebt ihre Zunge in meinen Mund. [...]
Ein Typ in einer Lederjacke mit massenhaft Aufnähern und Piercings im Gesicht labert uns an. Anscheinend ist er ein Bekannter von Adam und will mir die Hand schütteln. Sie kennt er auch bereits. Er ist ein Expat und Drogendealer aus Australien, der sich in Mumbai niedergelassen und auf Touristen spezialisiert hat.
Ich bin ungefähr anderthalb Minuten lang genervt von ihm, dann bietet er sein Koks an. Na also. Er hat so einen kleinen Spender aus Metall, den man sich direkt in die Nase steckt, ohne erst eine Line ausbreiten zu müssen. Das weckt meine (Neu-)Gier.
Meine letzte Nase ist lange her, aber als mir der chemische Geschmack ganz hinten im Gaumen runterrinnt, werden Erinnerungen wach. Proust auf Speed.
Noch ein paar Bier später landen wir im Taxi zu meinem Hotel, und dort geht alles seinen evolutionär vorprogrammierten Gang. [...]
Über ihren braunen Schenkel zieht sich ein glänzender Schweißfilm. Ich drehe einen Joint, von dem sie nichts will. Was sie will, ist meine Handynummer. Ich überlege kurz, ihr eine falsche zu geben, tue es dann aber doch nicht. Sie speichert meine Nummer und fragt nach meinem Namen.
"Jan. Und wie heißt du eigentlich?"
Sie so: "Verrate ich dir nicht?"
"Was? Warum?"
"Weil es nicht wichtig ist."
"Das ist genau die Art von Romantik, die ich jetzt brauche."
Das hat sogar genug Romantik, dass ich erwäge, tatsächlich ranzugehen, wenn sich bald eine unbekannte Nummer meldet.
Sie wickelt sich einen Schal um Kopf und Schultern und sieht abgesehen von der Glitzerhose nun fast traditionell indisch aus.
"Und du willst wirklich nicht bleiben?"
Will sie nicht. Also setze ich sie in ein Taxi und mich an den Schreibtisch. Meine Performance ist aber sicher nicht der Grund für ihren Abgang – sie ist ein Schreihals, was aber vielleicht auch an den Amphetaminen liegt. ...
Lesen Sie mehr von Philipp Baar in unserer Rezension zu seinem Buch "Flüchtlinge unterwegs nach Europa", das Ende 2015 veröffentlicht wurde.
© "Proust auf Speed": Herzlichen Dank an Philipp Baar und den Verlag edition subkultur für diese Textauswahl aus "Der dreibeinige Hund lacht" und die Abbildung des Buchcovers, 06/2019.
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