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Ein heißer Tag war das, die Frauen arbeiteten sich langsam den Hang hinauf. Mit kurzen Handhacken flink den Boden aufwühlend, dann mit den behandschuhten Händen das Unkraut herausziehend. Das ging seit Stunden so, aber die Blicke auf die Uhren häuften sich langsam. Der winzige Park lag mitten im Stadtgebiet, er bildete eine Art kleine Insel in dem starken Verkehr der beiden Straßen, die sich je am Anfang und Ende der Grünfläche wieder trafen.
Eigentlich war die Bezeichnung "winziger Park" auch nicht richtig, denn es handelte sich um eine Art großen Parkplatz mit grünen Einfassungen und einem bepflanzten Hang. Die beiden Bänke machten das auch nicht besser, denn der Boden um sie herum war mit Abfall übersät, obwohl es dafür Körbe gab. Auf einem der Parkplätze stand ein orangefarbener Bauwagen, der war für die Pause am Vormittag, denn man durfte sich nicht draußen aufhalten beim Kaffeetrinken oder Brotessen, das war nicht erwünscht. "Wie sieht das denn aus?", hatte die Vorarbeiterin gesagt. Und was sie sagte, war Gesetz. Die junge Frau war jünger als die meisten der Frauen, von denen einige im Rentenalter waren.
Alle hier gehörten zu einer Art Maßnahme für solche, die "Hilfe zum Lebensunterhalt" bezogen. Die Behörde schickte sie zu der städtischen Gärtnerei, die kleine Gruppen in die öffentlichen Anlagen sandte, um sie zu säubern und zu pflegen. Es gab nicht viel Geld dafür, mehr eine Aufwandsentschädigung, aber dafür wurde es nicht von den laufenden Hilfen abgezogen. Viele waren freiwillig dabei, einige hatten keine Wahl. "Der Job ist nicht schlecht, man hat zu tun und ist an der frischen Luft", meinten einige – andere zuckten mit den Schultern.
Der harsche Kommandoton der fest angestellten Gärtner, die als Vorarbeiter fungierten, machte den Frauen klar, dass sie eine Stufe unter ihnen standen. Eine sehr hohe Stufe sogar – einige sahen die Kolonne als eine Art Strafbataillon. Sie glaubten wirklich, die Helferinnen würden für ihre Bedürftigkeit bestraft und ihnen als steuerzahlenden Bürgern obliege der Vollzug. Kaum eine Pause, in der niemand aus der Eliteetage der Gärtnerei vorrechnete, wie sehr die Frauen ihnen doch auf der Tasche lägen. Es war eine ungute Atmosphäre in den Kolonnen, bei den Frauen schlimmer als bei den Männern, deren Mitgliedschaft im Club des herrschenden Geschlechts keine allzu große Kluft entstehen ließ.
Im Hof der städtischen Gärtnerei waren zwei alte Wagen aufgestellt worden, denn in den Pausenräumen der Angestellten hatten die Leiharbeiter keinen Zutritt. Die ganze Belegschaft hatte sich erbittert dagegen gewehrt, mit denen zusammen die Brote auszupacken und den mitgebrachten Kaffee zu trinken. An kalten Herbsttagen war das nicht angenehm, aber man konnte nichts dagegen tun. An alle diese Dinge dachten die Frauen, von denen einige aus der Stadt stammten und andere erst aus Russland gekommen waren. Diese sprachen recht gut deutsch, wenn es auch ein wenig antiquiert war. An heißen Tagen wie diesem trugen die Frauen Jeans und Shirts, dazu ein Kopftuch oder eine Schirmmütze. Das gehörte zum Reglement, denn beim stundenlangen Arbeiten in der prallen Sonne konnte man plötzlich umkippen.
Den ganzen Morgen über blieben viele Passanten stehen und sahen zu – junge Männer, die feixten und pfiffen, oder ältere Leute mit missbilligenden Blicken. Manche verwickelten die Vorarbeiterin in ein Gespräch, und man konnte an den Gesten einiges ablesen, das einen schon lange nicht mehr aufregte. Um die Mittagszeit herum nahmen die Gerüche von kochendem Essen zu, die aus den weit offenen Fenstern strömten. Man brauchte nicht auf die Uhr zu sehen, um zu wissen, dass es auf zwölf Uhr zuging und man bald die Hacke aus der Hand legen würde.
Eine der Frauen war ziemlich nah an das höher gelegene Bürgersteigpflaster gekommen mit ihrem schwarzen Bottich für den Grünabfall, in den sie emsig die Stängel und Würzelchen warf, als sie einen alten Mann bemerkte, der ruhig und ohne sich zu bewegen, auf die gebückten Frauen hinuntersah. Er hatte nicht diesen neugierigen Blick, den viele hatten, auch nicht diese offen getragene "Geschieht euch recht"-Miene. Er stand einfach da – und schaute. Ein kleiner Mann war es, altmodisch angezogen und mit faltigem Gesicht, so als wäre er einer, der oft draußen war in seinem Leben. Weißes Haar und weißer Schnauzbart, ein ausgesprochen südländischer Typ. Und plötzlich war die Vorarbeiterin da und riss ihn aus seinen Betrachtungen. "Gehen Sie weiter, los los! Hier gibt es nichts zu starren."
Der Alte hob eine Hand und sagte in schlechtem Deutsch, dass er aus Italien käme, und einen Namen sagte er auch noch. Er wiederholte das und wollte mehr sagen, aber sie scheuchte ihn unerbittlich fort. Die Frau, die dem Alten am nächsten gearbeitet hatte, blieb aufrecht stehen und sah ihm nach. Sie hörte das Kichern der anderen Frauen und das Geschimpfe der Kolonnenführerin auf "die alten Böcke". Sie sah sich um, sah die anderen Jäterinnen mit den bunten Tüchern und Mützen auf dem Kopf und verstand plötzlich, was der Alte hatte sagen wollen. "Aus Italien komm, verstehe Sie." Er hatte – unverstanden – davon gesprochen, dass er in seiner Jugend daheim in dem Ort seiner Geburt oft gesehen hatte, wie die Frauen und Mädchen an den Weinhängen arbeiteten. Sie trugen Kopftücher und Mützen, die Sonne brannte heiß auf sie herunter und man hörte hier und da eine singen oder lachen.
Dieses Bild musste der Alte vor sich gesehen haben, als er auf die Kolonne starrte. Er war daheim gewesen, für eine kurze Zeit. Die Frau hätte ihm nachlaufen mögen und fragen, ob er vielleicht etwas erzählen wolle von daheim. Das, was er gesehen hatte, gab es so wie in seiner Erinnerung wohl auch lange nicht mehr, und doch war es für einen Moment wieder lebendig. Und sie malte sich die Poesie seiner Beschreibung aus, die ganze Farbigkeit eines kleinen italienischen Ortes und das Glück eines heimwehkranken alten Mannes.
Den ganzen Tag über war sie in einer Art bittersüßen Traurigkeit befangen deswegen, sie hatte Mitleid mit dem Alten und seiner Sehnsucht – aber sie war auch froh darüber, dass sie verstanden hatte.
© "Nach Hause denken: Der Alte aus Italien". Eine Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Gartenarbeit, CC0 (Public Domain Lizenz).
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