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Mürrisch und verärgert kam Phaeton nach Hause. Schon als Kleinkind litt er unter dem Spott und den Hänseleien seiner nächsten Umgebung. Seine Mutter Clymene wusste sofort, worin der Ärger ihres Sohnes bestand. Sie selbst hatte ihm bestätigt, dass sein Vater der Sonnengott Helios sei.
"Sie lachen mich aus!", fauchte der Junge.
Seine Mutter brauchte nicht zu fragen, wer ihn auslachte. Phaeton hatte sehr wenige Spielgefährten und die wenigen, die er hatte, foppten ihn jeden Tag und stellten die Vaterschaft des Sonnengottes in Frage. Die Mutter blickte ihren Sohn ratlos an und so manches Mal dachte sie daran, ob sich dieser Spott und die Hänseleien nicht eines Tages legen würden und sie ihren Sohn endlich in Ruhe ließen. Warum musste er auch damit angeben, der Sohn des Sonnengottes zu sein? Und sie dachte auch so manches Mal daran, dass es für Phaeton besser wäre, gar keine Spielgefährten zu haben, oder zumindest nicht diese. Ein ruhigeres Leben hätte er auf jeden Fall. Auch seinem Aussehen nach war Helios sein Vater.
Auf ein Mal kam ihr eine Idee, die sie später bitter bereuen sollte: "Geh zu Helios und lass dir seine Vaterschaft bestätigen und fordere einen Beweis. Zeige es ihnen", ermunterte seine Mutter ihn.
Phaeton strahlte über das ganze Gesicht: "Das ist eine gute Idee, Mutter. Ich werde es ihnen allen zeigen."
Phaeton machte sich auf den Weg in den Palast seines Vaters Helios. Dieser ahnte schon den Grund des Kommens seines Sohnes und bestätigte ihm auch die Vaterschaft.
Lange unterhielten sie sich aufs Angenehmste, doch dann beging Helios einen schlimmen Fehler: Er schwor seinem Sohn, ihm einen Wunsch zu erfüllen, egal was es auch sei. Phaeton überlegte lange. Es kamen ihm viele Wünsche an, doch keiner schien ihm am Ende so recht zu gefallen. Ein Strahlen überzog sein Gesicht: "Vater, bitte lass mich den Sonnenwagen fahren."
Helios erschrak fürchterlich: "Bitte nein, wünsche dir etwas anderes."
"Du hast es mir geschworen, Vater", begann der junge Mann glühend vor Begeisterung.
Helios wollte verzweifeln, aber der Junge war nicht von seinem Wunsch abzubringen.
"Bitte, wünsche dir etwas anderes. Ich bin gerne bereit, dir jeden anderen Wunsch zu erfüllen, nur diesen einen nicht. Es ist mehr als gefährlich und du hast keinerlei Befähigung, den Sonnenwagen zu fahren. Ist es ja für mich schon nicht einfach", bat Helios flehentlich.
Allein, Phaeton war nicht von seinem Wunsch abzubringen: "Du hast es mir geschworen, Vater. Soll ich nachher sagen, dass mein Vater seinen Schwur gebrochen hat?"
Und so musste Helios schweren Herzens seinem Sohn den Sonnenwagen übergeben – und es sollte kein "Nachher" geben. Mit vielen guten Ratschlägen wies er seinen Sohn noch ein, aber dieser war vor Freude außer sich und hörte sehr wahrscheinlich gar nicht mehr richtig hin.
Eos, die Göttin der Morgenröte und Schwester des Sonnengottes Helios, und somit die Tante Phaetons, wollte sich weigern, an diesem Morgen in Erscheinung zu treten, denn sie ahnte sicher, dass von ihrem Neffen eine große Gefahr ausging. Er war keinesfalls in der Lage den Sonnenwagen zu fahren.
Staunend umrundete Phaeton mehrmals den prächtig verzierten Sonnenwagen, die flehentlichen Bitten des Helios lästig empfindend. Sein Vater ging ihm einfach so auf die Nerven.
"Bitte, du kannst immer noch zurücktreten von deinem Wunsch", versuchte es Helios ein letztes Mal, wohlwissend, dass es zwecklos war, Phaeton diesen Wunsch auszureden.
Vor Freude jauchzend jagte Phaeton das den Sonnenwagen ziehende Vierergespann über den Himmel, sorgenvoll von seinem Vater beobachtet. Zunächst schien alles gut zu gehen und Phaeton wurde noch übermütiger. Doch dann verlor er die Kontrolle über den Wagen und er verließ die vorgegebene Bahn des Sonnenwagens: Er kam der Sonne zu nahe und der brennende Wagen steckte die Erde in Brand. Fast alle Flüsse, Bäche, Seen und Meere auf seinem Weg trockneten vollständig aus.
Felder mit reifem Korn, Wälder und Wiesen, Pflanzen, Tiere – alles wurde ein Raub der Flammen. Menschen, und die Städte in denen diese wohnten, verbrannten und nur wenige blieben am Leben – und diese wenigen Überlebenden beneideten die Toten. Es heißt auch, dass den überlebenden Bewohnern Afrikas ob dieses Brandes die Haut schwarz wurde und seither haben die Menschen in Afrika schwarze Hautfarbe.
Helios verhüllte trauernd sein Haupt. Die Erde wand sich in furchtbaren Flammenqualen und rief den obersten Gott Zeus um Hilfe an. Dieser machte der Qual ein Ende, indem er durch einen von ihm geschleuderten Blitz den Sonnenwagen zertrümmerte, der dann in die Tiefe stürzte. Phaeton war schon tot, als er im Fluss Eridanus (Po) landete. Seine Schwestern, die Heliaden, wurden vor Trauer und Schmerz am Ufer des Flusses in Pappeln verwandelt und ihre Tränen tropften als ein bekanntes Pflanzenharz zu Boden und tränkten damit die Ufer des Flusses. Der Geliebte des Phaeton, der ligurische König Cycnus, erschien am Fluss und wurde ob seiner Untröstlichkeit von Apoll aus Mitleid in einen Schwan verwandelt.
Es sollte sehr lange dauern, bis sich die Erde von dieser Katastrophe erholen konnte.
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© "Phaeton der Strahlende": Erzählung von Autorin Ulla Schmid. Die Abbildung zeigt die Tarot-Trumpfkarte Nr. 44 aus der E-Serie des so genannten "Mantegna Tarocchi", etwa 1465 (Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei).
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