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Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder
Jean Siméon Chardin lebte zu einer Zeit, in welcher Dienstbotenarbeit unter der französischen Bevölkerung weit verbreitet war. Viele Männer, Frauen und auch Kinder waren Opfer ihrer eigenen Lebensumstände in einer strengen, von familiärer Herkunft bestimmten gesellschaftlichen Hierarchie geworden. Menschen aus ärmeren Schichten strömten massenhaft aus den Vorstädten und vom Lande nach Paris herbei, um als Bedienstete den Einstieg in ein besseres Leben zu finden.
Für junge Frauen, deren Familien zu arm waren, um für die nötige Aussteuer aufzukommen, die für eine Heirat jedoch als unverzichtbar galt, war es die einzige Hoffnung, einmal einen eigenen Haushalt führen zu können. Die reiche Aristokratie und so mancher aufstrebende bürgerliche Haushalt konnten auf Bedienstete nicht verzichten, und so verwundert es daher nicht, dass die Pariser Straßen von lärmenden und geschäftigen Geräuschen der Dienstboten erfüllt waren. Hier machte sich die Gesellschaftsordnung und der Status der Betroffenen eindeutig bemerkbar, denn nicht der eigene Wille trieb die Menschen voran, sondern eher eine Notsituation, die keinen anderen Ausweg zuließ.
Den zentralen Mittelpunkt der Bediensteten bildete stets die Küche. In großen herrschaftlichen Häusern wurden einzelne Arbeiten nach entsprechender Rangordnung verteilt. Auch hier bildeten private Lebensumstände die Grundlage des eigenen Ranges innerhalb der Dienstbotenhierarchie. Lakaien, Küchen- und Scheuermädchen verrichteten stets niedere Arbeiten. Auch behandelte man sie weniger wohlwollend, allenfalls ignorierte man sie. An der Spitze des Dienstpersonals standen Haushofmeister, Kammerdiener und Kammerzofen, die nicht selten ihren Herrschaften als solches gleichgestellt waren. Sie besaßen eine höhere Bildung und waren für die Belange innerhalb der persönlichen Gemächer zuständig. Bei privaten Angelegenheiten zog man sie daher oft ins Vertrauen. Kleinere bürgerliche Haushalte besaßen kein großes Gefolge – daher war die Dienstbotin für alles zuständig, was an Haushaltsarbeit anfiel.
Jean Siméon Chardin, der mit dem bürgerlichen Milieu eng verbunden war, gibt in seinen Genredarstellungen so manchen Hinweis, der die Vermutung schürt, er habe vielleicht selber eine Dienstmagd unterhalten. Grund dafür waren seine eigenen privaten Lebensumstände, die ihn 1735 durch den Tod seiner Ehefrau zum alleinigen Hausherrn und Vater machten. Eine Notlage, die ihn sicher dazu bewegt haben könnte, eine tüchtige Haushaltshilfe anzuschaffen, die – so wird vermutet – inspirativ für seine häuslichen und volkstümlichen Genredarstellungen war.
In den 1730er-Jahren schuf Chardin eine Reihe von Kompositionen, die dienstwillige Hausfrauen bei ihrer alltäglichen Arbeit darstellen. Abweichend von der gängigen Stilrichtung waren seine Schilderungen weniger repräsentativ, noch in irgendeiner Form idealisierend. Auch stand die Bildthematik nicht im Vordergrund seiner Bemühungen, denn seine Themenwahl gestaltete sich einfach und setzte sich aus schlichten Handlungen und einfachen Arrangements in einem gut bürgerlich geführten Haushalt zusammen.
Seine Bildkompositionen lassen erahnen, wie sehr Chardin mit seiner häuslichen Umgebung sympathisierte und gerade die Liebe zum Detail lässt die Zuneigung erkennen, die ihm mit seinem Objekt verband. Eine Erkenntnis, die das Gemälde "Die Rübenputzerin", entstanden um 1738, nur allzu rechtfertigt. Der Empfindungszustand des Bildes charakterisiert die ruhevolle Haltung der Haushälterin, die ihre Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gedanken legt und somit ihre Arbeit, die Vorbereitung einer Mahlzeit, kurz unterbricht. Die schlichte Szenerie zeigt konkret und auf realistische Weise das Leben einer Dienstmagd, die ihr Tagewerk mit einem gewissen Grad an Würde versieht.
Chardin lebte im Zeitalter der absolutistischen Monarchie, in der Dienstbotentätigkeiten im Allgemeinen als mühselig und abwertend angesehen wurden. Doch vermochte gerade die Magie der Gestik dieses großen Zauberers sich den strengen Klassenunterschieden zu widersetzen, um verständlich zu machen, dass es gerade die Arbeit der Dienstmagd war, die das Leben lebenswert machte.
© "Der Genremaler Jean Siméon Chardin": Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder. Die Abbildung zeigt das Gemälde "Die Rübenputzerin" von Jean Simeon Chardin (Quelle: Wikipedia, Lizenz: Public domain).
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