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Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder
Der französische Maler Édouard Manet (1832–1883) stammte aus wohlhabenden Familienverhältnissen, seine Eltern gehörten zur oberen Schicht des Pariser Bürgertums. Sein Vater, Auguste Manet, war von Beruf ein gewissenhafter Beamter, der zielgerichtet seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen wusste. Er erlangte das einflussreiche Amt eines Richters und wurde sogar zum Parlamentsrat berufen. Die beruflichen Erfolge des Vaters sicherten der Familie einen gewissen Wohlstand, und durch die vorteilhafte Vermögenslage der Eltern wurde Édouard eine gute Schulbildung ermöglicht.
Edmond Fournier, ein älterer Bruder seiner Mutter, brachte den jungen Manet erstmalig mit der Malerei in Berührung. Fournier diente der Armee des Königs und war künstlerisch wohl bewandert, so dass er Édouards Talent für die Malerei früh erkannte. Entschlossen, seinen begabten Neffen künstlerisch zu fördern, übte er einen guten Einfluss auf die Eltern aus, der eine entsprechende Schulwahl begünstigte. Édouard Manet besuchte ab 1838 mehrere Jahre eine Schule in Vaugirard und beendete die Schulzeit 1848 an einem Gymnasium. Erst dann begann sich seine Liebe für die Malerei richtig zu entfalten.
Édouards Wunsch, ein Studium der Malerei zu beginnen, wurde jedoch von Familienstreit getrübt. Edmond Fournier reichte im Revolutionsjahr 1848, nach dem Sturz des Königs, seinen Abschied aus der Armee ein, und Édouards Vater konnte diesem Treuebeweis, dem Fournier seinem König damit entgegenbrachte, nur mit Verachtung entgegentreten. Es kam zum Zerwürfnis und Édouard Manet verlor damit den einzigen Menschen, der seine Vorliebe für die Malerei teilte und zudem sein Talent gefördert und begleitet hätte. Bedauerlicherweise konnte sein Onkel nun auch keinen Einfluss mehr auf seinen Vater nehmen, da dieser sich von ihm abgewandt hatte.
Der beruflichen Gesinnung, die Édouard vorantrieb, schenkte sein Vater wenig Beachtung. Seine Berufsvorstellungen sahen eine juristische Laufbahn vor. In Édouard machte sich Enttäuschung breit, instinktiv merkte er jedoch, dass es keinen Sinn hatte, seinen Vater von einem Kunststudium zu überzeugen. Innerlich suchte er nach einem Kompromiss, um seinen Vater zu beschwichtigen und somit dem drohenden Jurastudium zu entgehen. Als er den Wunsch äußerte, in die Marine einzutreten, gab Auguste Manet dem Vorhaben seines Sohnes nach und akzeptierte. Édouard unterzog sich sogleich einer Aufnahmeprüfung an der Ecole Navale, die er jedoch nicht bestand. Dennoch wurde er im Jahre 1848, trotz nicht bestandener Prüfung, auf einem Schulschiff, welches nach Rio de Janeiro aufbrechen wollte, aufgenommen. 1849 unternahm Manet einen erneuten Versuch, die Aufnahmeprüfung an der Ecole Navale zu bestehen, er scheiterte abermals. Doch dieser wiederholte Misserfolg sollte sich als glückliche Fügung herausstellen und Manet seiner eigentlichen Berufung näher bringen.
Ausbildung zum Maler
Manet gab es nun auf, Matrose bei der Marine werden zu wollen. Vielmehr war er bestrebt, sich den Weg frei zu machen, um endlich eine Ausbildung zum Maler zu beginnen. Er hielt Ausschau nach einem geeigneten Atelier. Der Maler Thomas Couture genoss auch als Ausbilder einen ausgezeichneten Ruf, und so nahm er Édouard im Jahre 1850 bei sich als Schüler auf.
Die Académie Suisse bot vielen Studenten die Möglichkeit, sich neben der Ausbildung im Atelier noch weitere Bildung zu verschaffen. Gründer und Leiter der Akademie, die sich großer Beliebtheit erfreute, war Pere Charles Suisse. Auch Manet nutzte diese Möglichkeit und suchte die Akademie in den Abendstunden auf.
Aus dieser Zeit ist eine lustige und unterhaltsame Anekdote überliefert, die darüber berichtet, wie Édouard Manet mit den Regeln seiner Zeit brach und dabei seine ganz eigene Auffassung vertrat. Traditionsbedingt war es in den Akademie seit geraumer Zeit üblich, muskulöse Modelle in heldenhaften Schauposen zu präsentieren, die sich den Schülern darboten, damit diese danach zeichnen konnten. Aber das markante Muskelspiel und die eleganten repräsentativen Posen inspirierten Manet wenig. Manet wollte nun seinen Gedankengängen den nötigen Ausdruck verleihen, waren sie auch recht gegenteilig und entsprachen sicher nicht jedermanns Vorstellung. In einem persönlichen Gespräch mit dem Aktmodell Gilbert konnte Manet diesen davon überzeugen, leicht bekleidet und in einer eher unauffälligeren Pose zu posieren. Als sein Lehrer dieser recht ungewöhnlichen Idee seines Schülers gewahr wurde, bezichtigte er Manet der Bestechung, Gilbert dafür bezahlt zu haben. Couture war ein Mann, der seine Meinung in der Regel kritisch offen und direkt darlegte.
Nachdem Manet seine Ausbildung im Atelier von Couture abgeschlossen hatte, suchte er noch seinen fachlichen Rat. Doch nicht immer fanden die kritischen Anmerkungen seines Lehrers bei Manet Gehör. Manet und Couture pflegten jedoch nie eine wirklich schlechte Beziehung zueinander. Nach 6-jähriger Ausbildungszeit verließ Manet das Atelier keinesfalls im Streit und selbst nach Beendigung der Lehrphase hielt der Kontakt zu seinem Meister noch mehrere Jahre an.
Aus seinen Lehrjahren sind von Manet kaum eigene Kompositionen bekannt. Es wird vermutet, dass Manet viele seiner Lehrwerke vernichtet hat. Aus seiner Frühphase sind nur zwei Porträts sowie eine Fassung von Jesus Christus überliefert. Auf einem Gemälde ist eine nachdenklich wirkende alte Frau abgebildet. Um welche Person es sich bei der Frau handelt, ist unbekannt, auch ist nicht überliefert, ob sie in einem persönlichen Bezug zu Manet stand, vielleicht aus seinem Umfeld stammte oder eher eine Zufallsbegegnung war, die ihn zu diesem Porträt inspirierte. Das andere Porträt stellt einen gut gekleideten, gebildet wirkenden jungen Mann dar, bei dem es sich um Antonin Proust handeln könnte.
Das Streben nach Anerkennung und Erfolg
In jungen Jahren unternahm Manet einige Studienreisen und fertigte Kopien nach dem Vorbild alter Meister an, um die Maltechniken und Verfahrensweisen zu studieren. Mit dem Werk "Der Absinthtrinker" gelang Manet ein erster Erfolg. Das Gemälde entstand um 1859 und stellt einen alkoholisierten Lumpensammler dar, den Manet zufällig in den Galerien des Louvre traf. Der Absinthtrinker steht symbolisch für den Konsum eines damaligen recht beliebten, aber sehr umstrittenen Branntweins, der Absinth genannt wurde. Dieser starke Branntwein hatte gefährliche Eigenschaften und konnte bei zu starkem Genuss zum Tode führen.
Trotz Aufklärung der Öffentlichkeit entwickelte sich Absinth schnell zum Nationalgetränk der Pariser. Allein 500 Lokale waren in Paris auf dem Ausschank von Absinth spezialisiert, um dem Bedürfnis der Bürger nachzukommen. Manet demonstrative und offene Darstellung eines betrunkenen Mannes lobte die Kritik als eine sehr realistische Darstellung. Manet erachtete seine Gesellschaft als selbstzerstörerisch und wollte vielleicht mit diesem Werk die Auswirkungen deutlich machen – wir wissen es nicht.
Bei den Salonausstellungen tat sich Manet bisweilen schwer und nicht immer wurden seine Gemälde, mit denen er die Salons beschickte, akzeptiert. 1861 gelang es ihm, die Kritik positiver auf sich einzustimmen. Als Ausstellungsexponate entsandte er die 1860 entstandenen Werke, das Porträt seiner Eltern sowie den "Gitarrero". Beide wurden von der Salonkritik zwar akzeptiert, jedoch unterschiedlich bewertet. Mit dem Gemälde des "Gitarrero" erzielte Manet eine wohlwollende Beurteilung. Die Figur eines spanischen Gitarristen vermittelt Temperament und lässt eine gehörige Portion – angereichert mit einem Hauch Romantik – aufkommen. Das Werk regt sogleich die Phantasie an, wir hören ihn förmlich singen, und fragen uns, wem sich der Gitarrist wohl darbietet – einer Dame oder vielleicht dem Straßenpublikum? Auffällig scheint stets die ernste Mimik der Figuren, die Manet in seinen Werken darstellt.
Die Kunst der Maskerade
In dem 1861 begonnenen, aber erst 1863 vollendeten Gemälde "Der Fischfang" lässt sich eine wichtige Besonderheit, die man der Kunst Manets zuschreibt, erkennen. "Der Fischfang" ist ein farbenprächtiges Landschaftsgemälde, das sich am Hauptwerk "Landschaft mit Regenbogen" des Landschaftsmalers Rubens orientiert.
Inmitten einer idyllischen Landschaft liegt ein Fischerboot vor Anker, und auf der gegenüberliegenden Seite wirft ein kleiner Junge die Angel aus, um zu fischen. Das Hauptmerkmal des Gemäldes bildet ein am Flussufer stehendes, in eleganter historischer Aufmachung gekleidetes Paar. Der gemeinsame Hund, der seinen Blick dem Fluss zugewandt hat, beobachtet einen Fischer aufmerksam bei der Arbeit. Der mit Wolken behangene Himmel wird durch einen Regenbogen erhellt und die leuchtenden Farben lassen die Komposition farbenprächtig erscheinen.
Das Manet in Rubens Werk eine Inspirationsquelle sah, lässt nicht darauf schließen, dass es ihm an Erfindungsgeist mangelte. Manet verwendete die Motive als Leihgaben für sein Gemälde und gab dem Werk letztendlich seinen eigenen Stil. Das in barocker Mode gekleidete Paar stellt Manet selbst und seine zukünftige Frau Suzanne Leenhoff dar. Und gerade hier liegt die Besonderheit zugrunde, die Manets Neigung aufzeigt, Geschichte mit Gegenwart zu verbinden. Manet wendet die Kunst der Verkleidung an, um zu verschlüsseln und zu verbergen. Doch was war der Anlass für diese Bilderfindung?
Édouard Manet unterhielt mit der gebürtig aus Holland stammenden Suzanne Leenhoff eine vor dem strengen Vater geheim gehaltene Liebesbeziehung. Suzanne Leenhoff verdiente für sich und ihre Mutter den Lebensunterhalt als Klavierlehrerin und kam 1849 in das Haus der Manets, um für Édouards jüngere Brüder Klavierunterricht zu geben. Die Beziehung zwischen Édouard und Suzanne wurde erst nach dem Ableben des Vaters bekannt gegeben, und 1863 heirateten beide. Manet hatte also nicht rein zufällig die Andeutungen einer Liebesbeziehung in dem Gemälde "Der Fischfang" verschleiert, sondern seine eigene private Lebenssituation machte dies notwendig. Selbst die Vollendung des Gemäldes musste erst das Ableben des Vaters abwarten.
Um Manets Maskerade zu verstehen, ist es notwendig, die Geschichte des Bildes zu kennen, erst dann wird der wahre Grund entschlüsselt und die Andeutungen nehmen ihre wahre Gestalt an. Die kunstvolle Maskerade ist ein typischer Charakterzug für Manets Kunst, wobei er sich auch thematisch und motivgeschichtlich an den Gemälden alter Meister orientierte. Manet studierte die Werke, die seine Aufmerksamkeit erregten, eingehend, so dass man immer beim Betrachten seines Werkes im Vergleich zum Werk seiner Inspirationsquelle einen direkten Bezug nehmen kann.
Dieses symptomatische Verhalten wird durch Vergleich der Rubens-Version von "Susanna im Bade" mit Manets "Überraschter Nymphe" eindrucksvoll verdeutlicht. Die Hauptfigur nimmt in Manets Interpretation, das Badetuch an den Körper pressend, die gleiche Sitzhaltung ein.
Manet verarbeitet mit seiner Darstellung auch hier private Dinge, die er jedoch genau wie im Gemälde "Der Fischfang" geschickt vor Kunstkritik und Bevölkerung verbirgt. Auch hatte er offensichtlich keine Bedenken, seine badende Freundin Suzanne Leenhoff nackt darzustellen, während die Kritik ihm unterstellte, das zu behandelnde Thema würde für ihn keine große Rolle spielen. Die Motivwahl sei für Manet nur ein Vorwand gewesen, um eine nackte Frau zu malen. Das charakteristische Merkmal zeigt auch hier, dass Manet Geschichte mit Aktualität verbindet.
"Es gibt nur eine Möglichkeit, sofort zu malen, was man sieht. Wenn es einem gelingt, hat es funktioniert, wenn nicht, muss man von vorn anfangen."
"Herr Gott, ist das dumm, man muss doch seine Zeit malen, das wiedergeben, was man sieht und sich den Teufel um die Mode kümmern."
Édouard Manet
© "Der Künstler Édouard Manet: Die Malerei der Maskerade": Eine Kunstrezension von Anja Junghans-Demtröder. Die Abbildungen zeigen eine Fotografie von Edouard Manet (um 1870), sowie seine Gemälde Der Absinthtrinker (1859), Der spanische Sänger (Gitarrero) (1860), Der Fischfang (1861-1863); Quellen: Wikipedia, Lizenzen: Public domain bzw. gemeinfrei.
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