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In irgendeinem Lesebuch meiner Schulzeit gab es diese Kurzgeschichte über Wölfe von Hans Bender. Es ging um Kriegsgefangene in Russland, aber das war nicht die Hauptsache. Eigentlich erinnere ich mich nur an das Bild von den Wölfen, das der Erzähler vermittelt hatte.
Der Krieg ist gerade vorbei, da kommen die Grauröcke wieder zurück in die Gebiete, die von den Menschen bewohnt sind. Sie spüren, dass das Morden vorbei ist und ziehen wieder in ihre Reviere. Einige Männer beobachten den Zug der Wölfe, die stumm und zielstrebig in einem nicht enden wollenden Zug in ihre Heimat zurückgehen. Stunden dauert es, bis der Zug der Grauen an den beobachtenden Menschen vorbeigelaufen ist.
Damals hat mich das beeindruckt – obwohl ich es für Unsinn hielt, dass es so viele Wölfe geben sollte. Dass die Tiere den Frieden wittern können, hatte ich als gegeben angenommen. Die Männer, die da im Wald mit verhaltenem Atem zusehen, wie die Tiere wieder ihr Gebiet einnehmen, stellen die Rückkehr der Wölfe nicht infrage. Sie nehmen es eher als etwas hin, das nun einmal so ist. Und Stunde um Stunde um Stunde läuft Wolf hinter Wolf an ihnen vorbei.
Jetzt – im Jahr 2015 – heißt es in Deutschland "Die Wölfe kommen zurück". Vertrieben vom Menschen, der keine Konkurrenz bei der Jagd dulden will, haben sich die Populationen anderswo wieder erholt. Und da Wölfe Wanderer sind, kommen sie zurück. Nicht wie in der Geschichte von Hans Bender, sondern eher unauffällig und leise. Und ganz gewiss nicht so viele.
Die Tierschützer sind glücklich darüber – die Jäger nicht. Und schon geht wieder die Angst vorm bösen Wolf um. Hier wird einer gesichtet und da auch – Viehrisse werden gemeldet. Selten ist das, was man gesehen hat, auch wirklich ein Wolf – und getötetes Vieh geht meist auf das Konto verwilderter Hunde. Um die Kinder hat man Angst – man heißt ihn nicht willkommen, den Wolf, der lange vor dem Menschen hier lebte und niemals eine Art ausgerottet hat.
Er hielt – so wie er es anderswo immer noch tut – die Herden seiner Beutetiere gesund. Denn wenn er auch im Verband jagt: er zieht kränkliche Tiere vor. In neuerer Zeit hat das der Biologe Farley Mowat bewiesen ... entgegen dem Verlangen seiner Auftraggeber, die gerne andere Forschungsergebnisse gehabt hätten. Im Blutrausch und aus Spaß, einfach weil er es tun kann: so tötet der Mensch, aber nicht der Wolf. Für den ist die Jagd kein Hobby, sondern bittere Notwendigkeit.
Wölfe reißen nicht jeden Tag ein Stück Wild – dafür fressen sie allerdings viele Mäuse und andere Kleintiere. Das ist zwar arbeitsintensiv, aber für den Wolf weitaus ungefährlicher als die Jagd auf große Tiere. In der Natur muss mit dem Energievorrat sorgsam umgegangen werden.
Hier geistert der böse Wolf noch durch unsere Köpfe – die Bestie, die einem Menschen im dunklen Wald an die Kehle fährt und den Spuren der Kinder folgt. Davon ist nichts wahr, denn Wölfe sind sehr scheu. Ihre Klugheit und ihr Instinkt hält sie von Menschen fern.
Farley Mowat beschreibt in seinem Buch, wie er stundenlang einen Wolfsbau beobachtete, ohne ein einziges Tier vor die Linse zu bekommen. Als er sich einmal umdrehte, bemerkte er zwei Wölfe, die einige Meter hinter ihm saßen und ihn neugierig und interessiert betrachteten. Sie hätten ihn ohne weiteres hinterrücks angreifen können, aber dafür sahen sie keinen Grund. Außerdem respektiert ein Wolf ein fremdes Territorium. Mowat war es leid, dass sie mit seinen Ausrüstungsgegenständen spielten und kam auf eine Idee: er trank literweise Flüssigkeit und verteilte seinen Urin rund um das Lager. Der Leitrüde übertrat diese Grenze nicht mehr, nachdem er die Duftmarke bemerkt hatte.
Wölfe sind keine Hunde – aber sie sind auch nicht aggressiv. Falls sich Sichtungen in der Nähe von Wohngebieten häufen – und es denn wirklich ein Wolf war – dann liegt der Schluss nahe, dass die Tiere ihr Verhalten ändern. Das hat mit der Notwendigkeit zu tun, denn ihr Lebensraum ist nicht mehr so wie er einmal war – und das Wild längst dezimiert und eifersüchtig gehütet vom Menschen. Das bedeutet aber nicht, dass sie gefährlicher würden. In Ländern im Osten streichen Wölfe sogar direkt am Stadtrand herum – und niemand fürchtet sich. Es sind meist einzelne Tiere – und durchaus nicht aggressiv.
Der Verhaltensforscher Erik Zimen war es wohl, der einmal gesagt hat, dass ein verwilderter Hund weitaus gefährlicher sei als ein Wolf. Denn dem Hund fehlt die Scheu vor dem Menschen – er traut sich näher heran, auch an die Ställe und Weiden. Nicht immer ist es ein Fuchs oder Marder, der Hühner stiehlt oder ein Lamm reißt.
Wie wir heute wissen, gibt es nicht einen wirklich belegten Wolfsangriff auf Menschen – selbst wenn er Schlitten und Wagen verfolgte, dann nicht der menschlichen Beute, sondern der Pferde wegen. Kalte Winter, in denen hungrige Wölfe um die Häuser streichen und unheimliches Geheul durch die Nacht dringt – das ist eine Legende. Denn gerade im Winter finden Wölfe leichtere Beute als im Sommer und haben es nicht nötig, bei den Menschen zu betteln.
Dass wir mit den Wölfen nicht mehr so zusammenleben können wie früher, ist wohl einleuchtend. Wir müssen zusammenrücken. Und das schulden wir dem Wolf. Denn er hat ebenso ein Heimatrecht wie wir – und wir haben viel an ihm gutzumachen.
Gäbe es die Jagd nicht, würde der graue Ökologiespezialist seine Arbeit so tun wie er sie Tausende von Jahren getan hat, und ohne dass er den Menschen belästigt. Warum also verwehren wir es ihm?
© "Die Wölfe kommen zurück, unauffällig und leise": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2015. Bildnachweis: Wolf Portrait, CC0 (Public Domain Lizenz).
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