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Wölfe sind im Trend, ja – und herrliche Wolfsbilder, manche davon hart an der Grenze zum Kitsch, finden sich zu Tausenden auf den verschiedenen Plattformen des Internets. Die Menschen lieben sie scheinbar, diese schönen Tiere. Und doch war da dieser besondere Kommentar: "Was habt ihr nur immer mit den Wölfen – das sind keine heiligen Tiere, die sind nur Ungeziefer." Der Kommentar kam aus Amerika, wo die Wolfsjagd Tradition hat.
Gerade dort, wo Menschen stolz ihre Jagdbilder mit einem getöteten Wolf posten, hat die spirituelle Verbindung zu diesen Tieren Tradition. Das betrifft die nativen Amerikaner, von denen viele die Wolfsvölker geradezu als ebenbürtig ansahen, manche sogar als verwandte Wesen.
In der alten Welt war das womöglich einmal ähnlich gewesen, vor langer Zeit. Da diese Tiere nicht aggressiv sind, war vielleicht der "böse Wolf" noch nicht erfunden worden. Die Welt war nicht dicht besiedelt und man konnte wohl kaum vom Wolf als einem Nahrungskonkurrenten sprechen. Das kam vielleicht erst dann auf, als die Menschen begannen, Vieh zu halten und zu züchten. Obwohl auch zu dieser Zeit genug Beute vorhanden war und nicht jeder Wolf sich dem Menschen nähert.
Eine Begegnung mit einem Wolf irgendwo im Wald ist wahrscheinlich weniger bedenklich, als wenn man auf ein Wildschwein trifft. Obwohl es heute in unseren Breitengraden keine Bären mehr gibt, waren diese in den vergangenen Zeiten auch eher gefährlicher als ein Wolf. Und doch heißt es nicht "Rotkäppchen und der böse Bär" oder "Der Bär und die sieben Geißlein".
Was also ist geschehen? Wurde er absichtlich verteufelt, der Wolf, weil er unserer Spiritualität so sehr bekannt scheint? Weil es so einfach ist, sich mit ihm einzulassen auf ebendieser Ebene? Was kann er uns lehren, das für uns so wichtig ist, dass es besser unentdeckt bleiben sollte?
Im Traum schritt ich einen Hügel hinauf, es war noch nicht hell, aber ich wusste, dass die Sonne bald aufgehen würde. Neben mir schritt ein Wolf, ein großes Tier mit grauem Fell und gelben Augen. Ich wunderte mich nicht, es schien mir so richtig, wie mir in meinem Leben noch nicht vieles richtig erschienen war.
Die Steigung war sanft, und die weiche Luft der schwindenden Nacht war es ebenso. Zufriedenheit war wie ein Lied in meinem Innern, ich fühlte mich ganz und ohne jede Furcht. Und als wir ankamen auf dem höchsten Punkt des Hügels, da setzte ich mich auf den Erdboden und schaute auf einen noch schlafenden Wald. Der Wolf tat es mir gleich, er setzte sich auf seine Hinterhand und betrachtete die Baumwipfel, die unter uns lagen.
Als er anfing zu sprechen, erschrak ich nicht – ich fühlte eine Art Freude, die tief in mir aufkeimte und sich sachte ausbreitete – bis ich vor Glück nicht wusste, was ich tun sollte. Und so tat ich nichts und hörte zu.
"Dein Volk hat den Vertrag gebrochen, Bruder." Das kam nicht wie eine Anklage, das war wie etwas, das gesagt wird, obwohl jeder es weiß.
"Von welchem Vertrag sprichst du, Bruder?" Ich sprach leise und sah zu dem Wolf hinüber. Dessen kluges Gesicht war mir zugewandt und ich sah in seine klugen Augen, die so unendlich freundlich in meine sahen.
"Erinnerst du dich nicht, Bruder? Ahhh ... ihr Menschen vergesst sehr leicht, das ist euer Unglück und unseres. Ihr seid zu jung, um das, was gewesen ist, offen in eurem Geist zu tragen. Ihr müsst es lernen und immer wieder lernen."
Diese letzten Worte klangen traurig – so traurig, wie ich nie etwas hatte trauriger klingen hören. In diesem Gesagten erkannte ich die wahre Bedeutung des Bedauerns, und seither verlässt mich dieser Schmerz nicht mehr.
Da brachte der Wolf sein Gesicht ganz nahe an meines und stupste mich mit seiner Nase an. "Sieh ..."
Und ich sah Menschen, die in geflochtene Fasern und in Felle gekleidet waren und die hier – auf diesem Hügel – saßen und in die Augen der Wölfe blickten, die vor ihnen standen. Große Wölfe waren es, größer als sie es heute sind. Und Mensch und Wolf berührten einander mit Respekt – sie schlossen einen Pakt. Und sie jagten miteinander und halfen einander – und manche der Wölfe entschieden sich, bei den Feuern der Menschen zu leben.
Dann sah ich, wie die Menschen sich veränderten – sie trugen gewebte Stoffe und gegerbtes Leder. Sie zogen durch die Wälder mit ihren Hunden, den Ururururenkeln der Wolfsvölker und geboten diesen, ihre Ahnen zu jagen. Traurige Augen verfolgten die Jagd, gelbe Augen, in denen unendliche Weisheit und unendliche Trauer lag.
"Tötet die Bestie!", schrie es tausendfach, und Wolfsfelle hingen an Haken und Münzen wurden gezahlt für jeden toten Wolf.
Dann sah ich Menschen wie Schemen – solche, die tief in ihrem Innern wussten um den Pakt und die den Wolf suchten und zu verstehen suchten ... Männer und Frauen, die forschten und Bücher schrieben und die Wölfe schützen wollten.
"Um derer willen kommen wir zurück", sagte da der große Graue neben mir. Die Bilder verschwanden und ich sah, dass der Morgen aufkam. "Wir müssen den Pakt erfüllen, denn ihr und wir – wir haben ein kleines Stück unseres Geistes getauscht." Ohne einander zu kennen, ist keiner von uns, Mensch oder Wolf, jemals wirklich eins. Manche erkennen das jetzt und begrüßen uns. Aber längst nicht alle."
"Töten euch deshalb die Jäger, weil sie das Stückchen wieder haben wollen?", fragte ich.
Der Wolf verengte seine Augen zu Schlitzen, so wie man es tut, wenn man lacht. "Du bist klug für einen Menschen. Ja, das ist der Grund – aber sie wissen es nicht. Und sie wissen nicht, dass sie dadurch nicht nur nichts zurückbekommen, sondern dass jeweils ein weiteres kleines Stückchen in ihnen schwindet. Und du weißt, Mensch, wer sich nicht ganz fühlen kann ... der wird verrückt und eine Plage für sich und alles Lebendige. Trotzdem ihr den Vertrag tausendfach gebrochen habt, kommen wir zurück. Denn auch wir wollen wieder ganz sein. Doch wir werden es nur dieses eine Mal tun. Wenn ihr versagt, ihr Menschen – trennen wir uns endgültig von euch. Oder ihr euch von uns – es kommt auf das Gleiche heraus."
"Aber was ist mit mir und den anderen Menschen, die den Vertrag nicht gebrochen haben", flüsterte ich. "Können wir nicht ..."
"Von vorne anfangen?", fragte der Wolf. "Mensch, Mensch – dafür brauchten wir eine neue Welt. Aber ich wäre glücklich, könnten wir es."
Der Wolf gähnte, stand auf und wollte sich zum Gehen wenden, doch ich stellte noch eine Frage: "Bruder, was haben Mensch und Wolf getauscht, um den Vertrag zu besiegeln?"
Der Graue drehte den schönen Kopf noch einmal in meine Richtung und sagte: "Beide gaben wir das Beste, das wir hatten: Der Mensch lehrte uns die Anpassung an das Neue. Und wir lehrten den Menschen das reine Glück des Augenblicks und des Zusammenseins zu fühlen." Dann lief er davon und verschwand im Dunst des frühen Morgens.
© "Wölfe sind im Trend" & "Der Pakt zwischen Wolf und Mensch": Textbeiträge von Winfried Brumma (Pressenet), 2015. Bildnachweis: Wolfszeichnung, CC0 (Public Domain Lizenz).
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