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Teil VII: Ermittlungen und Entdeckungen
Draußen war es wirklich so sonnig, wie man sich das nur wünschen konnte. Ein ganz sachter Wind ließ die Blätter der Bäume leise rascheln und es war sehr ruhig. Mittlerweile war Mal schon klar, dass allein diese Ruhe ihn misstrauisch machte.
Aber das war es nicht allein. Langsam – zum Teil, weil er sich noch nicht so richtig fit fühlte und zum Teil, weil er nichts übersehen wollte – schlenderte Mal also die Anselmstraße entlang.
Auf derselben Seite, wo sich auch die Nr. 22 befand – also das Häuschen, in dem Mal wohnte – gab es eine Bäckerei. Das Haus war nicht wesentlich größer als das der Strattners, aber es schien sehr viel älter zu sein. Fachwerk und grober Verputz umgaben kleine Fensterchen, hinter denen ebenso kleine Scheibengardinen zu sehen waren.
Das kleine Schaufenster sah aus wie ein altes Reklamebild für die Bäcker-Innung. Jedenfalls dachte sich Malcolm das. In Berlin kauften seine Mam und er in Bäckereien ein, die einer großen Kette angehörten. Genormte Regale und viel Chrom. Moderne Lampen und meist auch ein offenes Fenster für den Straßenverkauf waren die Regel. Das hier aber war völlig anders. Es gab nur eine Art hölzernen Schieber, auf dem einige dunkle Brote und so etwas wie ein Hefezopf lagen.
Und während Malcolm sich das Fenster genau ansah, tauchte eine Hand in der Auslage auf und nahm ein Brot heraus.
"So muss es früher überall gewesen sein", dachte Mal. "Sehr viel früher", setzte er noch in Gedanken hinzu. Er hätte nicht gedacht, dass dieses Kaff – er genoss seinen Lieblingsausdruck – so rückständig war.
Es gab natürlich auch Läden, die so etwas vortäuschen wollten. Retro nannte man das. Aber das war nur außen, eigentlich reine Deko. Das hier sah echt aus.
Kopfschüttelnd spazierte Malcolm weiter. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite fuhr gerade ein Laster aus dem Hof der Brennstoffhandlung Schneider heraus. Auf der Ladefläche rappelte ein großer Haufen Brennholz vor sich hin. "Brennholz?", dachte Mal. "Ja klar, unsere Ölheizung ist wahrscheinlich das Modernste, das man hier zu sehen kriegt." Als der Wagen auf die Straße gerumpelt war, schloss ein Mann die metallenen Flügel des Hoftores. Als er Malcolm bemerkte, warf er ihm einen ziemlich strengen Blick zu. Und außerdem sah er dem Jungen eine ganze Zeit lang nach.
Das brachte Mal dazu, sich die Leute auf der Straße genauer anzusehen. Jedenfalls wollte er das, aber es gab eigentlich gar keine. Aus einer Haustüre kam eine sehr alte Frau, die in einer großen schwarzen Einkaufstasche kramte und dabei vor sich hin murmelte. Sie war klein, gebückt und ging, immer murmelnd und kramend, an Mal vorbei.
"Guten Morgen", sagte der Junge. Doch die Alte achtete nicht auf ihn, so als hätte sie ihn nicht bemerkt. Sie ging weiter bis zur Bäckerei, wo sie die Türe öffnete und eine Ladenglocke ertönte.
Mal musste grinsen. Die Glocke machte das Ganze wirklich perfekt. Und wie die Frau ausgesehen hatte: so wie man sich eine Großmutter vor fünfzig Jahren oder so vorstellen würde. Kopftuch und auch so eine Art Tuch um die Schultern. Mit Fransen. So etwas wäre Malcolm in Berlin wohl nie aufgefallen. Dort konnte man im Clownskostüm einkaufen gehen und kaum einer guckte hin. Aber hier war das anders. Und er wollte genau hinsehen.
Fünf oder sechs Häuser weiter war die Straße zu Ende. Eine schmale Gasse ging rechts ab und führte zu einer Bushaltestelle, wie Mal wusste. Es war nur so eine Art Fußgängerdurchgang und für Autos verboten. Der Junge entschied sich für den Weg geradeaus. Kurz nachdem er das letzte Haus passiert hatte, hörte auch die Straße auf und führte ungeteert und ungepflastert weiter.
Er kam an vielen Holzzäunen an Türen mit urwüchsiger Fachwerkoptik vorbei, manche mit Vorhängeschlössern gesichert, manche ein wenig offen stehend. Er hörte ein sonderbares, metallisch schnappendes Geräusch aus einer dieser Türen kommen und blieb erschreckt stehen. Als Mal dann darauf kam, dass wohl jemand mit einer Gartenschere zugange war, musste er über sich selbst lachen.
"Ist ja klar, dass hier niemand eine elektrische Heckenschere benutzt", dachte er. Er begriff, dass er an großen, umzäunten Gärten vorbeilief, in denen niemand wohnte. Es gab wahrscheinlich Gemüsebeete und Obstbäume. Malcolm hatte überhaupt keine Ahnung von solchen Sachen, wie er sich eingestand. Er konnte Nadelbäume von Laubbäumen unterscheiden, aber einen Apfelbaum hätte er nur erkannt, wenn er voller Früchte gehangen hätte.
© "Malcolm: Beobachtungen in der Anselmstraße": Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2016. Bildnachweis: Verfallene Hausmauer, CC0 (Public Domain Lizenz).
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