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Zu Bremen gab es, wie überall auf der Welt des Öfteren, einmal eine große Not. Geschrieben wurde wohl das Jahr 1316, ein Jahr des Herrn, als es überall im Lande zu sonderbaren Teuerungen kam. Wie die Misswirtschaft zustande gekommen war, ist nicht überliefert, aber es wird wohl seine Gründe gehabt haben – in schlechten Ernten auf der einen, und schlechter Wirtschaft der Herren auf der anderen Seite. Wie auch immer, wo anfänglich der Gürtel ein wenig enger geschnallt werden musste, war es am Ende nötig, mehrere neue Löcher in denselben zu stanzen, damit er noch das Gewand um den mageren Leib zu halten imstande war.
Man erzählt, dass der Hunger die Einwohner der Stadt und des Landes umher zu unsäglichen Dingen trieb – zu solchen, die in normalen Zeiten ganz unmöglich wären. Zuerst verschwinden in solchen Zeiten die Haustiere – wer auch immer Hasen oder Hühner hält, Tauben oder anderes Getier, leert Stall und Käfig, um den Hunger noch ein Weilchen fortzuhalten. Die Mehlkästen bergen sonderbare Dinge – wo gutes Weizen- oder Roggenmehl aufbewahrt wird in normalen Tagen, verströmen gemahlene Eicheln und andere grobe Früchte ihren bitteren Duft. Solches ist nicht immer bekömmlich, vor allem nicht für Kinder, Alte und Kranke. Und so sind sie es, die zuerst erliegen, wenn es keine Nahrung mehr gibt, nicht für Geld und auch nicht für alles andere.
Irgendwann beginnt der Ekel zu schwinden, und die Hunde verschwinden ebenso wie vorher das Federvieh – es wird nicht mehr gefragt, woher der Braten kommt. Das gleiche galt vorher für Pferde – in einer hungernden Stadt sind die Ställe rasch verwaist. Weiber rupfen Löwenzahn, der aus allen Winkeln sprießt – nicht für die Kaninchen, sondern um irgendetwas daraus zu machen, ebenso wie Brennnesseln. Sauber sind die Gassen, wenn der Hunger umgeht, da gibt es kein Kraut mehr in einer Ritze, das irgendwie verwertet werden kann.
Dann werden die Rattenfallen nachgesehen. Auch die grauen Nager sind nichts anderes als Fleisch, das den Hungertod noch ein wenig von der Schwelle fernhält. Wenn all das nicht mehr vorhanden ist, geht die Verzweiflung schreckliche Wege. Menschen werden zu Mördern um einer Brotkante willen, und mancher verkauft Fleisch, das er mit Gold aufgewogen haben will. Gleichzeitig verschwinden viele aus ihren Katen und Hütten. Es ist ein Lied, das schon oft gespielt wurde, auf einer knöchernen Flöte.
Nun gab es aber in der Stadt einen jungen Domdechanten namens Böge. Der war noch nicht allzu lang im Amt und sein Herz noch unverdorben. Auch in dieser Stadt hungerten die Armen zuerst, dann die Bürger, und der Adel speiste noch leidlich, wenn andere schon am Hunger starben. Was den Klerus betrifft, so sorgte wohl Gott der Herr für den Mittagstisch, oder vielleicht auch eher die reichen Pfründe, die sich solche Herren leisten. Von dieser Art war der Dechant nicht, er glaubte an die Weisung der Heiligen Schrift, die da heißt, dass Hungernde gespeist werden sollen ...
* * * Ende der Leseprobe aus "Das Mehlwunder zu Bremen" * * *
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© Textbeitrag zur Sage "Das Mehlwunder zu Bremen": Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Mehrere Brotlaibe, CC0 (Public Domain Lizenz).
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