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Psychische Erkrankungen nehmen seit vielen Jahren beständig zu. Laut DAK Gesundheitsreport hat sich der Anteil der sog. Diagnosegruppe F (ICD-10) "Psychische und Verhaltensstörungen" von 6,6 % der gesamten Arbeitsunfähigkeitstage in 1999 auf 12,1 % in 2010 entwickelt. Inzwischen führt diese Diagnosegruppe am vierthäufigsten zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten. Dabei haben Angestellte höhere Fehlzeiten als Arbeiter. Sie werden nur von der Versichertengruppe der Arbeitslosen bei weitem übertroffen. Generell trifft es Frauen fast doppelt so stark wie Männer.
Die Diagnosegruppe F ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Hinzu kommt Burnout, was möglicherweise gar keine Krankheit ist, sondern sich zumeist in anderen psychischen und physischen Krankheiten zeigt. Überhaupt sind viele Erkrankungen in der Ursache psychosomatisch. Beispielsweise konnte von der "European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions" 2007 nachgewiesen werden, dass Rücken- und Muskelschmerzen bei Stress ca. siebenmal so häufig auftraten, wie bei Stressfreiheit. Gerade Muskel- und Skeletterkrankungen, Krebserkrankungen und Erkrankungen des Verdauungs- und Stoffwechselsystems sind zumindest häufig auf psychische Beanspruchungen zurück zu führen.
Aus meinen Erfahrungen als Trainer und Coach kann jedoch dem Arbeitgeber nicht ausschließlich die Schuld zugeschoben werden. Häufig werden diese Erkrankungen auch durch das eigene Verhalten und aus der kindlichen und frühkindlichen Prägung verursacht.
Psychische Dispositionen werden etwa bis zum fünfzehnten Lebensjahr erworben und sind im weiteren Leben relativ stabil. Aufgrund dieser Dispositionen werden Wahrnehmungen unterbewusst bewertet. Sie führen bei negativer Bewertung zu Stressreaktionen, die unbewusst und in der Regel angstbesetzt sind. Und diese Reaktionen sind individuell und sehr unterschiedlich. Das Anschreiben des Vorgesetzten löst beispielsweise bei dem Einen Verzweiflung, bei dem Anderen Rückzug und bei einem Dritten Aggression aus. Der Eine erlebt es als stressende Situation, dem Anderen ist es völlig gleichgültig. Dauerhaft führen negative Bewertungen zu psychischen Erkrankungen, wie z. B. Burnout oder Depression. Häufig werden sie verschieden stark mit Alkohol, Nikotin und/oder anderen Drogen verdrängt, oder sie führen zu anderen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.
Für eine erfolgreiche Veränderung der Bewertungsdisposition ist es erforderlich, Prägungen zu verändern. Hier gibt es gute Erfolge dadurch, dass der Coachee beginnt, sein Verhalten zu verändern, häufig an einer ganz anderen Stelle. Kleinste Veränderungen erzeugen bereits die Initiierung eines Lernprozesses. Synaptische Verschaltungen, die im Laufe des Lebens zu richtigen "Datenautobahnen" geworden sind, werden aufgebrochen und neue "Trampelpfade" entstehen, die bei häufigerer Nutzung zu neuen Schnellstraßen werden. Das erste, was meine Coachees lernen, ist z. B. die Armbanduhr am anderen Handgelenk zu tragen, den Tagesablauf zu ändern oder einen anderen Weg von oder zur Arbeit zu gehen. Hier gibt es unzählbare Ideen. Dies macht sehr viel Spaß. Und Spaß schafft eine positive Hormonausschüttung im Gehirn, die Zellwachstum als Basis für neue neuronale Verbindungen ermöglicht.
Nicht nur in meiner Praxis, sondern auch in zahlreichen Studien hat sich gezeigt, dass Stress als Grundlage für psychische Erkrankungen, wie Burnout oder Depression, insbesondere auch dadurch entsteht, dass in der Arbeit kein Sinn erkannt wird, es mangelnde Anerkennung der eigenen Leistung und fehlende Wertschätzung gibt und dass Mitarbeiter kaum eine Chance haben, auf das Geschehen Einfluss zu nehmen bzw. mitzugestalten. Erkenntnisse der Gehirnforschung zeigen, dass diese Faktoren wesentlichen Einfluss auf die Gehirnleistung haben und sich damit auch positiv auf psychische und soziale Belastungen auswirken. Hierzu gehört letztlich auch das Vertrauen auf die eigene Leistungsfähigkeit und darauf, dass es sich positiv entwickeln wird.
Fehlende Anerkennung und Wertschätzung sind nicht organisationale, sondern gesellschaftliche Defizite. Das Interesse am Anderen, ihn wahrzunehmen, sich ihm zuzuwenden, ihn im wohlverstandenen Sinne zu lieben, ist eine Verhaltenskompetenz, die wir uns in unserer Gesellschaft weitgehend abtrainiert haben. Es geht primär um egozentrisches Verhalten und um isolierte Wahrnehmung der eigenen Interessen, gerne auch zu Lasten des Nächsten. Und ich erlebe, dass sich dieses Verhalten oft sogar gegen die eigene Person richtet.
Die aktuelle Befragung der Gallup Inc. in Deutschland ergab, dass nur knapp jedem fünften Mitarbeiter bei entsprechend guter Leistung Anerkennung ausgesprochen wird. Wollten wir dies ändern, so würde dies eine neue Kultur in den Unternehmen und Organisationen, ja eine neue Haltung Anderen und uns selbst gegenüber bedeuten. Dies geht über klassisches Führungstraining weit hinaus. Der hierzu notwendige große finanzielle und zeitliche Aufwand wird nach meiner Erfahrung jedoch wirtschaftlich positiv wirksam und amortisiert sich binnen kürzester Zeit.
Darüber hinaus wird mit einer solchen Kultur ein Klima geschaffen, in dem die Mitarbeiter in ihrer Überzeugung gestärkt werden, einen wichtigen Beitrag zum Unternehmensziel zu leisten.
Wenn Arbeit Sinn machen soll, müssen mehrere Aspekte bedacht werden. Zum Einen darf der Aufgabenzuschnitt und der Beitrag des Mitarbeiters zum Ganzen in dessen Wahrnehmung sinnvoll sein. Sinnlose Arbeit stresst und deprimiert über die Länge. Hier sind die Führungskräfte gefordert, darauf entsprechenden Einfluss zu nehmen.
Allerdings dürfen wir auch die Mitarbeiterseite im Blick haben. Der Mitarbeiter hat nach meiner Erkenntnis immer die Option, seinen Arbeitgeber zu wechseln. Und ich erfahre im Coaching häufig, dass viele Coachees diese Option für sich zunächst völlig ausschließen. Im weiteren Verlauf und insbesondere in Entspannung werden jedoch plötzlich neue Wege gesehen und auch gegangen. Und im Rahmen der o. g. Studie wird deutlich, dass über die Zeit die Wechselwilligkeit der Mitarbeiter deutlich zugenommen hat. Ein weiterer Grund, warum gerade Unternehmen vor dem Hintergrund des viel diskutierten Fachkräftemangels zügig ins Handeln kommen sollten.
Damit Mitarbeiter den Sinn in ihrer Arbeit erkennen können, ist es notwendig, dass sie die Ziele des Unternehmens kennen. Qualitative Beobachtungen zeigen, dass Mitarbeiter bestenfalls ökonomische Zielgrößen kennen. Quantitative Ziele schaffen jedoch keinen Sinn in der Arbeit, auch wenn sie für die wirtschaftliche Steuerung des Unternehmens erforderlich sind. Sinn entsteht dann, wenn Mitarbeiter qualitative Ziele des Unternehmens oder der Organisation beschreiben können. Dies ist beispielsweise auch der Grund, warum psychische Erkrankungen verstärkt in öffentlichen Verwaltungen auftreten.
Zur Beeinflussbarkeit zählt eine gewisse Selbstwirksamkeitsüberzeugung sowie Gestaltungsfreiraum. Auch hier könnte der Mitarbeiter durch Veränderungsbereitschaft für sich selbst neue Gestaltungsfelder finden. Umso mehr sollten Führungskräfte dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter diese Gestaltungsfelder im angestammten Unternehmen finden.
Mir sind Unternehmen bekannt, die ihren Mitarbeitern einen relativ großen Gestaltungsraum geben. In diesen Unternehmen ist zu beobachten, dass die Mitarbeiter deutlich engagierter sind und dass es deutlich weniger Fehlzeiten gibt. Aus Mitarbeiterbefragungen ist zudem erkennbar, dass bei vergleichsweise gleicher Bezahlung die Zufriedenheit mit dem Lohn bzw. Gehalt deutlich höher ist, als in anderen Unternehmen.
Weiterhin fehlt es für die Vermeidung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen an Optimismus, an einer gewissen Zuversicht, dass sich alles positiv entwickelt. In meiner langjährigen Erfahrung als Mitarbeiter und als Führungskraft sowie aus meiner Beratungspraxis habe ich erkennen müssen, dass es sich immer mehr etabliert, mit negativen Nachrichten scheinbar die Mitarbeiterschaft in Schach zu halten. Auch dies scheint mir eher ein gesamt-gesellschaftliches Thema zu sein. Dahinter steckt häufig der Glaube, dass eingeschüchterte Mitarbeiter deutlich leistungsbereiter und weniger wechselwillig sind. Richtigerweise erzeugt Angst jedoch eine Einengung des Blickwinkels und bei entsprechender Höhe und Dauer eher Kampf- oder Fluchtverhalten oder Resignation, in Diagnosen gesprochen Depression oder Burnout.
Erkennbar wird, dass immer mehr Unternehmen und Organisationen erkennen, dass Sinn in der Arbeit und Spaß bei der Arbeit, Gestaltungsfreiraum für die Mitarbeiter sowie Anerkennung und Wertschätzung ein unglaubliches Potenzial an Wertschöpfung bringen. Sie schaffen wirtschaftliche Werte und Wettbewerbsvorteile durch Leistungsbereitschaft, Innovationskraft und sichere Ressourcenverfügbarkeit, insbesondere hinsichtlich personaler Ressourcen.
© "Burnout und andere psychische Erkrankungen" – Textbeitrag und Abbildungen: Autor Marcus Hein. Er ist Experte für Mental- und Organisationsberatung. Die Kombination aus seiner Ausbildung, Erfahrung und Weiterbildung sind für ihn als Berater, Trainer und Coach die Grundlage dafür, Veränderungen leicht und effizient zu bewirken – Veränderungen, die in der Praxis auch dauerhaft erfolgreich sind.
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