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"Dieser Narr, dieser eingebildete und eitle junge Narr weiß nicht was er tut, noch weiß er was er getan hat." Der große, dunkel gekleidete Mann flüstert diese Worte mit vor Wut und Schmerz heiserer Stimme. Der Fensterbogen, an dem er steht, gibt den Blick frei auf die sinkende Abendsonne, die die Burg für wenige Augenblicke in flammende Farben taucht.
Der Mann im schwarzen Mantel wendet seinen Blick von diesem Schauspiel ab und starrt in das Dunkel des Ganges. Es scheint, als ob er in der ihn umgebenden Schwärze Dinge sieht, die sich niemand anderem als ihm zeigen, und vielleicht ist das auch so. Denn er seufzt schwer, als wäre er im vollen Wachen in einem Albtraum befangen.
Ein heller Schein reißt den Mann aus seinen Gedanken, und er nimmt eine Gruppe von Pagen wahr, die von Fackelträgern begleitet durch den Gang kommen und mehrere Kannen tragen. Die Bediensteten grüßen ihn respektvoll, als sie an ihm vorbeikommen, aber er antwortet nicht einmal mit einem Kopfnicken. Doch folgt er der Gruppe in den erleuchteten Saal, in dem der gesamte Hof versammelt sitzt und wo eben aufgetragen wird.
Der König winkt ihm mit gefülltem Becher zu und begrüßt ihn als geliebten Freund und Verwandten, was dem düsteren Mann nicht eben gefällt, da es die Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Er hasst diese Fress- und Saufgelage, aber er kann sich seiner hohen Stellung wegen nicht entziehen. So neigt er tief den Kopf und nimmt dem eilends herbeigesprungenen Diener den gefüllten Weinbecher ab. Mit diesem grüßt er dann zur Königstafel und bedankt sich, so knapp, wie es die Etikette gerade noch erlaubt.
Man erwartet nicht mehr von ihm, er ist nicht gerade als Bruder Lustig bekannt. Seine Eigenarten werden respektiert. Eine Waffe im Saal des Königs zu tragen wäre undenkbar, aber er legt niemals seinen mit Metall beschlagenen Lederpanzer ab. Sein langer Mantel verdeckt ihn nur unvollständig, aber auch daran hat man sich gewöhnt. Er steht sogar im Ruf, in seinem Harnisch zu schlafen.
Unter halb gesenkten Lidern späht er umher und macht einen Platz im Schatten einer Säule aus. Dort niedergelassen, lehnt der hagere Mann die Speisen bis auf etwas Brot ab und nippt ein wenig an seinem Becher. Er ist nicht zum Feiern hier – er ist hier, um eine Entscheidung zu treffen. Lautes Gelächter erklingt, und natürlich ist es der hellhaarige Hohlkopf, der die Gesellschaft mit seinen Witzen unterhält.
Zum tausendsten Male gibt er seine Geschichten zum Besten, zwinkert den Damen zu und schmeichelt dem König auf die ihm eigene tölpelhafte Weise. Dieses in einem starken Kriegerkörper gefangene Kind hält alles für ein Spiel, für etwas, das nur zu seiner Unterhaltung da ist. Alle sind ihm ergeben, dem Blondschopf, der zu allen freundlich ist – ob Stallknecht oder Herzog. Er ist jedermanns Sohn und Freund, und die Frauen spreizen sich wie die Hennen, um einen Blick aus seinen blauen Augen zu erhaschen.
Er trägt meist eine helle Tunika, tatsächlich sieht er aus wie ein Kind der Sonne. Doch das ist kein milder Strahl, er blendet die Augen und Ohren. Wieder Gelächter, der König prostet dem jungen Spund immer wieder zu, sein Blick ist schon leicht glasig und seine Worte klingen leicht verschliffen, wie fast jeden Abend. Die dunkelhaarige Frau neben ihm, die Königin, lacht nicht mit den anderen. Sie lächelt mit bleichen Lippen, als bedeute es ihr nur große Anstrengung. Seit Tagen ist das so, aber der König glaubte ihr die Ausrede mit dem leichten Sommerfieber.
Er ist schwach, der Erste des Volkes, und sein Königtum ist ihm zu eigen wie ein Mantel, den er übergeworfen hat und der ihm nicht wirklich gehört. Eide binden mehr als Ketten, doch der Blick des stillen Mannes wendet sich mit einigem Widerwillen ab. Die Königin ist nicht krank, außer man nennt die fiebrig brennende Wut und die schwächende Scham über angetanen Verrat Krankheit.
Seit Tagen weiß sie, was der König ihr angetan hat. Der König und dieser laute und flegelhafte junge Widerling. Wie ein Schankwirt schlägt der die Hand auf den Tisch, dass die Becher hüpfen – sein Gelächter, das die etwas gewagten Scherze begleitet, lässt sein Gesicht rot anlaufen, und die Locken kleben an seiner nassen Stirn. Jetzt ist er, wie jeden Abend, bei seiner zweiten Heldentat angelangt. Und die ist auch nichts weiter als Verrat, denn niemand hätte den Alten, den Meister des Berges, töten können, ohne üble List anzuwenden.
Der Mann verengt die Augen zu Schlitzen, als er die Szene beobachtet. In seiner Begeisterung schiebt der blonde Angeber seinen Stuhl zurück, um den Kampf zu veranschaulichen, und die hellhaarige Milchsuppe mit den Kuhaugen schaut ihn an, als wäre er dieser Christengott persönlich. Nie, niemals hätte geschehen dürfen, was geschah. Was der Tochter Odins geschah, war nichts weiter als Gewalt angetan, und dieses laute Kind war das Werkzeug des Königs, der trotz seiner Schwäche seine Augen auf etwas richtete, was ihm nie bestimmt war.
Der Verrat an der hohen Frau brachte Ungutes in die Welt, die Götter waren erzürnt. Doch jedes Bedenken hatte der König zerstreut – er verwies auf das Wohlgefallen, das diese Tat in den Augen des neuen Gottes sein würde. Denn das Weib sei dem Manne untertan, so sagen diese Priester. Doch Gunther konnte sich kein Weib untertan machen, das besser zu kämpfen verstand, als er selber, und für den Dummling mit den starken Armen war es nicht mehr als ein Hauptspaß, den Willen der Herrin zu brechen.
Dass auch er es niemals ohne die verbergende Tarnkappe vollbracht hätte, gab dem vor unterdrückter Wut zitternden Mann nur eine geringe Genugtuung. Denn das Unerhörte war geschehen – der König nahm, was ihm nicht gehörte. Und mit dem Mord an dem letzten der Weisen der Berge war das große Gleichgewicht endgültig zerstört. Es schmerzte zu hören, wie dieser unglaublich dumme Kraftprotz seinen feigen Mord als große Heldentat pries. In seinen Augen hatte er nur einen bösen Lindwurm getötet, er hatte das Volk gerettet. Und obwohl die beiden Verschwörer gegen die alte Ordnung in ihrer Schwäche einander wert waren – der schwache Kopf des einen und der schwache Arm des anderen – musste jede Bedrohung des Thrones abgewehrt werden.
Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte, denn die Dämmerung des Stammes der Nibelungen hatte begonnen, doch Eide erloschen nicht mit dem Untergang, und auch nicht mit dem Verrat Gunthers.
Der Mann verzog das Gesicht, als er daran dachte, wie leicht es gewesen war, von dem dummen Ding zu erfahren, wo die einzig verwundbare Stelle war am Körper ihres Ehemannes. Denn der unwürdige Schlagetot hatte sich den Zauber des Drachen angeeignet, den mächtigen Blutzauber, der unverwundbar machte. Und nur durch Zufall gab es eine einzige Schwachstelle, ein fallendes Blatt hatte ein Stück Haut an der Schulter bedeckt. Diese Stelle war so wie vorher, an dieser konnte eine Klinge hindurch.
Es würde ihm keine Ehre machen, wenn er genau dorthin seinen Speer setzen würde bei der morgigen Jagd, denn er tat nicht viel anderes als seinerseits dem feigen König zu willfahren, doch war er gebunden. In seinen Träumen sah er nichts als Flammen und Blut und Tod – was begonnen hatte mit dem Begehren des Königs, würde mit der Vernichtung des Stammes enden. Und er würde mit ihnen untergehen, denn seine Zeit war vorbei. Er sehnte sich zurück in die Tage, in denen ein König beweisen musste, dass er einen starken Arm und einen klaren Geist hatte, damit sein Blut ihn an das Volk band und umgekehrt.
Doch unwiderruflich war eine andere Zeit angebrochen – eine, die den Priestern gehörte und in der die alten Wege verschlossen waren. Es würde ihm nicht schwerfallen, zu gehen, denn er war des Kampfes und der Ränke müde. Doch würde er seine Ehre wahren, hatten auch die anderen sie längst verloren.
Unbemerkt verließ Hagen von Tronje den Saal, um sich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Diese Nacht war der Beginn des Untergangs.
© "Beginn des Untergangs – die Nibelungen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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