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Die großen Mätressen der vergangenen Zeit haben kaum weniger und meist sogar öfter Geschichte geschrieben als die Königinnen. In Zeiten, in denen eine Liebesheirat für Mitglieder der königlichen Familien so gut wie undenkbar war, sind es die schillernden Frauenfiguren, die sich die Neigung eines Herrschers erwerben konnten und über Macht und Einfluss verfügten. Namen wie Madame de Pompadour oder Madame de Maintenon, die ihre glanzvollen Zeiten am französischen Hof hatten, sind oftmals bekannter als die Ehefrauen der Könige, an deren Hof sie Karriere machten.
Das Wort Maîtresse bedeutet "Meisterin", und das waren sie auch, die klugen und schönen Frauen, die oftmals größer Hof hielten als die Königinnen. Wer eine solche Karriere ins Auge fasste, musste ebenso klug sein wie hart in gewisser Weise – denn die Favoritin des Königs hatte zwar eine sehr hohe Stellung inne, aber sie konnte auch tief fallen – zum Beispiel Barbara Villiers, die legendäre Lady Castlemaine, ihres Zeichens langjährige Geliebte Karl II. von England, die ebenso für ihre Launenhaftigkeit bekannt war wie für ihre Prachtentfaltung.
Meist kamen die "offiziellen" Mätressen aus dem niederen Adel, was sich sehr schnell ändern konnte, wenn sie sich dauerhaft in ihrer Stellung hielten. Eine kluge Frau wurde sehr viel reicher und mit höherem Titel aus der Gunst des Königs entlassen, vor allem, wenn sie Kinder von ihm hatte. Karl II., der von seinen Untertanen seines ausschweifenden Liebeslebens wegen auch "The Merry Monarch" genannt wurde, war seinen Geliebten meist über Jahre treu, wenn er der Vater ihrer Kinder war. Seine Mätressen haben einen festen Platz in der Geschichte und sind noch heute zu bewundern in einer Gemäldeserie des zeitgenössischen Malers Sir Peter Lely.
Eine dieser Frauen war beim Volk außergewöhnlich beliebt – wahrscheinlich, weil die Schauspielerin Nell Gwyn (etwa 1650-1687) praktisch aus der Gosse kam. Ihre Familienverhältnisse waren sehr schwierig, sie war vaterlos aufgewachsen und hatte früh für Mutter und Schwester Sorge tragen müssen. Wahrscheinlich war Nell Gwyn ein Straßenmädchen, eine Kinderprostituierte, wie man es heute nennen würde. Zu damaligen Zeiten galt ein fünfzehnjähriges Mädchen als erwachsene Frau, die Kindheit war ebenso kurz wie die Blütezeit der Frauen aus dem Volk. Nell stammte aus der Drury Lane, die damals noch außerhalb von London lag und von Äckern und Wiesen umgeben war. Allerdings war diese Straße eine Art Bordellmeile, denn ein Etablissement reihte sich an das andere.
Nell kam zum Theater, erst einmal als "Orangenmädchen", das den Zuschauern Früchte und Süßigkeiten verkaufte – dann als Schauspielerin. Sie hatte natürliches Talent, war schlagfertig und verfügte über Witz. Da sie nicht lesen konnte, lernte sie ihre Rollen, indem sie sich den Text vorsagen ließ. Die frische und unverbrauchte Art Nell Gwyns brachte ihr bald viele Bewunderer ein, zunehmend aus dem Adel. Ein armes Mädchen, das hübsch und klug war, hoffte am Theater einen reichen Gentleman zu finden, der sie aushielt. Eine andere Chance auf ein besseres Leben gab es nicht für Frauen wie Nell Gwyn. Wie auch immer, als die junge Schauspielerin dem König vorgestellt wurde, nahm ein außergewöhnliches Schicksal seinen Lauf. Karl II. von England liebte die Frauen über alles, und er ließ sich von Nell bezaubern.
Im Gegensatz zu ihren Nebenbuhlerinnen verlangte die einstige Prostituierte kaum etwas – eine Stellung am Hof bedeutete ihr nichts. Nell muss eine warmherzige und intelligente Frau gewesen sein, denn sie ersparte Karl vieles an Peinlichkeit. Seine Mätressen vergaßen zuweilen, dass ihre Stellung nicht felsenfest, sondern eher labil war, so hielten die hysterischen Anfälle der Louise de Kérouaille den Hof in Atem und sorgten für Klatsch über die Landesgrenzen hinaus. Das Volk liebte Nell Gwyn ihrer Einfachheit wegen und weil sie nicht vorgab, mehr zu sein als sie war. Noch heute sind ihre Aussprüche legendär – so wurde einmal ihre Kutsche mit Unrat beworfen, weil man sie für das Gefährt der katholischen Madame de Kérouaille hielt. Mrs. Gwyn steckte den Kopf aus ihrer Kutsche und meinte: "Seid anständig, Leute – ich bin die protestantische Hure."
Von König Karl II. hatte Nell Gwyn mehrere Kinder, für die sie das eine oder andere erbat. Sie mischte sich niemals in die Angelegenheiten des Königs, ebenso hielt sie sich aus seinen Amouren heraus. Diese Klugheit bescherte ihr eine gute Stellung über Jahre und die tiefe Freundschaft Karls II., nachdem die Beziehung sich allmählich wandelte. Möglicherweise hat das Mädchen von der Straße den König als Menschen geliebt – und nicht um seiner Stellung willen. Es wäre wohl ganz Nells Art gewesen, denn sie missbrauchte ihre Stellung niemals, um Macht auszuüben, wie das die anderen ihres "Standes" taten.
Als Karl II. starb, wurde ihr der Zugang zu ihm untersagt, ebenso wie ihr die Erlaubnis verwehrt wurde, Trauer um ihn zu tragen. Nell starb noch, bevor sie die Vierzig erreichte, und für ihr Begräbnis verfügte sie all den Pomp und die Pracht, die sie im Leben eher vermieden hatte – fast vierhundert Pfund kostete die Beerdigung; für diese Zeit war das eine riesige Summe. Eine Anekdote aus ihrem Leben macht deutlich, wofür sie stand, die kleine Nell aus der Drury Lane: Als ihr Kutscher einmal einen Mann verprügeln wollte, weil der sie eine Hure genannt hatte, hielt Nell Gwyn ihn mit folgenden Worten ab: "Nun, eigentlich ist es ja eine treffende Bemerkung." Was Wunder, dass man sie liebte.
© "Nell Gwyn – Das Mädchen von der Straße": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Gemälde der Nell Gwyn von Sir Peter Lely (Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei).
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