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Die Karte mit der Nummer acht wirkt manchmal auf den Fragenden etwas erschreckend – die Darstellung erinnert sofort an Gesetz im Sinne von Justitia.
Wie auch die Hohepriesterin sitzt die Gerechtigkeit vor zwei Säulen auf einem Thron – eine gekrönte Frau in dunkelroter Robe. Sie erwidert den Blick des Betrachters mit ruhiger und sachlicher Strenge. Sie hält in der erhobenen Rechten ein Schwert und in der linken Hand die gerühmte Waage. Aber anders als die Schirmherrin des weltlichen Gesetzes sind ihre Augen nicht verbunden, sie ist nicht blind.
Zwar kann die Karte tatsächlich auf Gerichtsverhandlungen und Angelegenheiten der Justiz hinweisen, ebenso wie auf Angelegenheiten, die geregelt werden müssen – das ergibt sich aus der Fragestellung – aber vor allem ist eine andere Gerechtigkeit gemeint und ein anderer Richterspruch. Das Abwägen vor einer Entscheidung ist gefordert, nach Fakten und mit offenen Augen. Während bei den Liebenden das Herz entschied, ist nun der Verstand gefordert.
Sehenden Auges sollst du deinen Weg wählen und dein Tun, ist eine ihrer Botschaften. Vor allem aber mahnt sie uns hinzusehen, bevor wir etwas verkünden, das einem Urteil gleichkommt, sei es nun auf uns selber oder auf andere Menschen bezogen.
Sie symbolisiert die karmische Gerechtigkeit, der niemand entkommt, der sich ihrer bewusst ist. Und tatsächlich sind wir uns dessen bewusst – wie sehr wir auch versuchen, die Dinge anders zu sehen als sie sind. Die Tausenden von Schönredereien, deren wir uns bedienen, um uns nicht dem eigenen inneren und tatsächlich unbestechlichen Richterspruch beugen zu müssen, sind nichts weiter als Verzögerungen. Durch die dadurch verhinderte spirituelle Entwicklung machen wir es uns fast unmöglich, unsere Ziele zu erreichen.
So als ob wir vor einer Jury stünden, wollen wir die Peinlichkeit der "Schuld" vermeiden, vor allem vor uns selbst. In jedem Menschen ist das Wissen um die eigene Wahrheit vorhanden, aber nicht jeder will sie auch erkennen. Hat man sich Entschuldigungen zurechtgebastelt und über Jahre benutzt, um auszuweichen, hat man sich von dieser essentiellen Wahrheit entfernt. Die Karte hat viel mit Lebenslügen zu tun, denen man sich letztendlich stellen muss – es ist unvermeidbar.
So fordert die Gerechtigkeit auf, die Wahrheit über sich selber oder die eigenen Taten oder Reaktionen zu konfrontieren. Ein Beispiel wäre es, dass das Arkanum auffordert, den eigenen Anteil am Entstehen einer misslichen Situation oder auch eines Streites zu vergegenwärtigen: "Was habe ich dazu beigetragen, dass es so weit gekommen ist? Wollte ich vielleicht sogar, dass es so weit kommt? Habe ich unbewusst diese Situation geschaffen?"
Was immer die Problematik auch wäre, es ist niemals zu spät, um die Wahrheit zu erkennen und einzugestehen. Das Schwert, das die Frau in der rechten Hand hält, muss durchaus nicht als Richtschwert verstanden werden. Wer die Angst vor der Wahrheit überwindet und fähig ist, die Augen nicht abzuwenden, der wird erfahren, dass diese Klinge vor allem Fesseln durchschneidet.
Und nichts fesselt mehr als das Lügengewebe, das entsteht, wenn einer Unwahrheit immer wieder neue hinzugefügt werden. Dieses Netz raubt der Seele und dem Geist mit der Zeit die Fähigkeit zur Bewegung, man ist gefangen und kann nicht mehr wirklich am Leben teilnehmen. Das Schwert des Verstandes ist durchaus dazu fähig, dieses Netz zu durchtrennen – man muss es wollen.
Wird der Tarot zur Klärung einer Situation befragt, weist die Gerechtigkeit darauf hin, dass präzise und genau geprüft werden muss, und warnt vor übereilten und emotionalen Urteilen. Zuweilen fehlt eine wichtige Information oder etwas wurde übersehen – also wirklich genau hinsehen. Das Gleichgewicht der Dinge – symbolisiert durch die Waagschalen – ist ein großes Thema dieses Arkanums. Zu großes Ungleichgewicht der Kräfte ist immer von Übel, in Beziehungen ebenso wie im Beruf oder im spirituellen Bereich.
Die Karte könnte als Untertitel auch das Wort "Fairness" tragen – dieses Wort, das so etwas wie gefühlte Gerechtigkeit bedeutet. Zudem kann die VIII auch ein Aufruf zur Neutralität sein und davor warnen, sich in etwas einzubringen, das besser nur beobachtet wird.
Wie bei jeder Tarotkarte ist die innere Sicht gefordert – man kann immer nur einen winzigen Bereich aufzeigen. Die persönliche Bezugnahme macht die Botschaft erst individuell.
Anmerkung: Bei manchen Decks sind die Gerechtigkeit VIII und die Kraft XI vertauscht. Das entspricht nicht der traditionellen Auslegung und sollte jeweils korrigiert werden.
* * * Tarot-Karte VIII: Ende der Leseprobe aus "Tarot – Die Karte Acht: Die Gerechtigkeit" (Tarot-Serie zu unserem Buch) * * *
Die Gerechtigkeit – Lesen Sie mehr über die 78 Karten des Rider-Waite-Tarot:
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© "Tarot – Die Karte Acht: Die Gerechtigkeit": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010.
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