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Laut Duden ist ein Plagiat die "unrechtmäßige Aneignung von Gedanken, Ideen o. Ä. eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung." Mir fehlt hier ein Bereich, der schlecht prüfbar ist: das emotionale Plagiat!
Irgendjemand hat einen Gedanken entwickelt und dazu einen Text verfasst, veröffentlicht oder gar dazu ein Buch geschrieben. Geistiges Eigentum eines Menschen. Erworben durch mühsame Studien oder durch noch tiefergehende eigene Erfahrung. Wir Menschen haben die Eigenschaft, Wissen gezielt weitergeben zu können, damit wir uns als menschliche Population weiterentwickeln können. Keine zufälligen Beobachtungen anderer, die durch Zufall übernommen werden, sondern die aktive und bewusste Weitergabe in Wort, Bild und Schrift. Unser Wissen geben wir bereits an unsere Kinder weiter, damit sie von unseren Erfahrungen lernen können. Eine Basis, auf der sie aufbauen können. Meistens müssen sie aber ihre eigenen Erfahrungen machen. Ich weiß, wovon ich rede als Vater.
Außerhalb der Familie bieten wir unsere Erfahrungen ebenfalls an. Geben sie in Seminaren und Kursen weiter, wir sind Lehrende. Bücher schreibende Autoren auf der beruflichen Ebene, um davon zu leben. Es gibt die ehrenamtliche und die professionelle Schiene. Wir tun dies, weil wir es wollen, es können und häufig, weil wir es möchten, es uns einfach wichtig ist. Es ist unsere aktive Entscheidung, wie viel wir geben wollen und was wir lieber für uns behalten. Wenn dann andere unsere Bücher kaufen oder Leihgebühren in Bibliotheken entrichten, haben alle einen Mehrwert. Es gibt denjenigen, der das Wissen erhält und denjenigen, der durch seine Wissensvermittlung Geld verdient. Oder wir geben es ehrenamtlich weiter, weil wir einen Gemeinsinn darin sehen und es uns ein gutes Gefühl vermittelt.
Und dann gibt es Menschen, die das geistige Wissen anderer ungefragt nehmen, eigene Projekte damit umsetzen und dieses als das Eigene ausgeben. Sie gaukeln eine fachliche Kompetenz vor, die keine solide Basis hat. Denn die Basis entsteht erst dadurch, dass ich eigene Erfahrungen gemacht habe oder Sachverhalte durch Lernen und Studium erworben habe. Leider ist dies ein anstrengender Flaschenhals. Was bleibt, ist Authentizität, das kaum greifbare Gefühl dahinter, das Stück Ausstrahlung, das in meinem Gesicht zu finden ist. Das Gefühl des Gegenübers, das derjenige, der darüber spricht, weiß wovon er spricht.
Kein Mensch sollte etwas dagegen haben, wenn das eigene geistige Eigentum von anderen verbreitet wird. Nicht umsonst gibt es in den Sozialen Medien unter jedem Post den Teilen-Button. Bedingung ist aber, dass deutlich wird, woher dieses Wissen stammt (z. B. durch ein Zitat). Nein, ganz im Gegenteil, wir freuen uns sogar darüber, denn es ist eine Form der Wertschätzung. Und der Zitierte hat meist kein Problem damit, wenn die Person, die den Teilen-Button gedrückt hat, mehr Reichweite, vielleicht sogar mehr Geld verdient als derjenige mit der Urheberschaft. Wir denken in der Musik an die vielen Coverversionen.
Zitiere ich aber nicht und halte mein scheinbares Kompetenzfähnchen hoch, ist dies nicht nur verwerflich. Das Plagiieren kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Und dann gibt es den emotionalen Sektor. Ich habe eine persönliche Erfahrung gemacht und Schlussfolgerungen daraus gezogen, die ich verbreiten möchte, um anderen eine Hilfe zu sein. Ich berichte über einen Sachverhalt, meist ein emotionales Grenzgebiet, und kann nur deshalb darüber authentisch berichten, weil ich es selbst er- und durchlebt habe. Eine Erzählung von mir zu einem emotionalen Grenzgebiet ist nur dann wahrhaftig nachvollziehbar, wenn ich persönlich dort war. Das kann die Situation im Krieg sein, das kann genauso gut die Situation bei einem Trauerereignis sein. Oder anders gesagt: eine Geburt mit ihren ganzen Facetten, wie Schmerz und Emotionen, kann ich als Mann nicht beschreiben. Berichten kann ich nur aus der Beobachterperspektive, ich werde aber niemals die Erfahrungen einer Frau nachfühlen können.
Nun gibt es aber Menschen, die genau das tun. Sie berichten aus Kriegen, als ob sie da waren, berichten von der Geburt, als ob sie selbst entbunden haben, berichten von der Trauer ohne eigenen Verlust. Sie plagiieren einen emotionalen Zustand, den sie allenfalls theoretisch empfinden können. Ziehen dann weitergehende Schlussfolgerungen daraus und verbreiten sie. Sie gehen sogar so weit, dies gezielt einzusetzen, um damit unter dem Deckmantel Hilfsbereitschaft Dienstleistungen gegen Bezahlung anzubieten.
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es darunter Menschen gibt, denen es gelingt. Aber genauso gibt es diejenigen, denen es nicht gelingt – und hier bewegen wir uns in einem emotionalen Minenfeld. Denn wenn ich die Erfahrungen nicht vorweisen kann, kann ich mich auch nicht vollständig einfühlen. Es wird immer etwas fehlen. Ich plagiiere einen emotionalen Kontext und gehe das Risiko des Schadens ein, auch wenn ich es gut meinen sollte. Mein Gegenüber wird aber in aller Regel eine mögliche Authentizität nicht in Frage stellen, weil davon ausgegangen wird, dass man den Erzähler damit verletzen würde, indem man ihn hinterfragt. Anders als in einer wissenschaftlichen Arbeit, bei der am Ende ein Produkt vorliegt, welches prüfbar ist, fehlt die Möglichkeit meist auf der emotionalen Ebene.
Nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich achte denjenigen, der einen Mehrwert für den Einzelnen oder für die Gesellschaft generieren möchte. Aber jeder möge sich prüfen, ob er damit auch ehrlich sein kann, denn es gibt auf der Gegenseite Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden und keine Zeit und keinen Raum für Prüfungen haben. Diese öffnen sich in ihrer Krisensituation, legen ihr Innerstes nach außen und gehen davon aus, dass Helfer ehrlich damit umgehen.
In einer Welt aus Fakenews, Plagiaten und von Computern generierten Informationen gibt es immer noch einen menschlichen Bereich, den der Emotionen, den ich zwar vorgaukeln kann, der aber ehrlich bleiben sollte, da wir sonst in Zukunft unsere menschliche Basis verlieren. Und was bleibt dann noch, wenn wir auch diesem Bereich nicht mehr vertrauen können?
Bitte beachten Sie die Bücher von Martin Kreuels, die er auf seiner Webseite vorstellt, sowie seine Videos auf Youtube, seinem vertonten Buchstabenparkplatz.
© "Das Plagiat in der Trauerbegleitung": Essay von Dr. Martin Kreuels, 08/2023. Bildnachweis: Rose in Schwarz von Thomas Ulrich, CC0 (Public Domain Lizenz).
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