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Spannend bis zur letzten Seite ist der lesenswerte Reisethriller der Autorin Nina Casement. "Jagdsaison" erschien bereits Ende 2018 und war zudem Ninas Romandebüt. Der Untertitel "Ein mörderischer Reisebericht" weist darauf hin, dass neben dem Genre Thriller auch das Genre Reisebericht (in Romanform) bedient wird.
...als in den endlosen Wäldern Schwedens? Diese Frage stellen sich Frederika, Lars und Karl – wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven: Eine junge Frau, die ziellos in den Norden flieht, weil ihre Zukunftspläne zerstört zu sein scheinen. Ein Mann, der seiner finsteren Leidenschaft sein ganzes Leben unterordnet – und nicht nur das eigene. Ein abgehalfterter Polizist, der sich einzig und allein nach der Rente sehnt. Bald verbindet die drei weitaus mehr als nur die Sehnsucht nach Glück im einsamen Nordschweden.
Drei Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Für sie alle werden die dunklen Wälder Schwedens zum Prüfstein ihres bisherigen Lebens und jeder von ihnen muss am Ende über sich selbst hinauswachsen.
Die Taschenbuch-Ausgabe von "Jagdsaison: Ein mörderischer Reisebericht" umfasst rund 220 Seiten. Zudem ist dieser Reisethriller als E-Book erhältlich.
Einfach nur weg, das war ihr einziger Gedanke gewesen, wohin, war eigentlich egal. Frederika hatte ihr Konto aufgelöst und, als sie ihre Ersparnisse – immerhin noch gut 4000 Euro – in den Händen hielt, fast schon betäubt nach einem Ziel gesucht. Nach allem, was geschehen war, war ihr das "Wohin" im Grunde gleichgültig gewesen und, wenn sie ehrlich war, auch, ob sie jemals wieder zurückkehren würde.
Doch Spanien, Italien, Kroatien ... das hatte ihr dann doch alles zu sehr nach vollem Strand mit Unmengen feuchtfröhlich feiernden Menschen geklungen. Schon beim Gedanken an knutschende Pärchen wurde ihr spontan übel, und so war sie schließlich erst einmal etwas ziellos gen Norden aufgebrochen. Ende Februar sollte dort alles, selbst die Strände, etwas leerer sein und ihrem Wunsch nach Einsamkeit entsprechen.
Wohin oder auch nur dass sie unterwegs war, hatte sie niemandem gesagt. Wem auch? Mit ihren, zumeist deutlich jüngeren, Kommilitonen hatte sie kaum Kontakt, die meisten anderen Freundschaften waren über die Jahre hinweg längst eingeschlafen und die Familie ... Nein, an ihre Eltern mochte sie jetzt nicht denken.
Also hatte sie ihre Sachen bei einem Bekannten untergestellt, der ihr einen Gefallen schuldig war, und war dann stillschweigend aus der Stadt verschwunden. Klammheimlich hatte sie sich aus dem Mietvertrag streichen lassen – sollte Christoph doch mal sehen, wie er mit den anfallenden Kosten allein zurechtkam, dachte sie später hämisch. Die Mitteilung des Vermieters würde er bestimmt ignorieren, naiv und faul bis zur Verantwortungslosigkeit, wie er in solchen Dingen gewöhnlich war. Wobei er sich vermutlich auch diesmal irgendwie schadlos aus der Angelegenheit herauslavieren würde, so wie sie ihn kannte. Er hatte schon immer unverschämtes Glück gehabt, ohne jemals etwas dafür tun zu müssen oder es zu schätzen zu wissen.
Erst sehr viel später, unterwegs im Zug, war die Wahl auf Skandinavien gefallen, ohne dass sie genau hätte sagen können, weshalb. Doch allein beim Wort Schweden hatte sich in ihrem Kopf sogleich ein Bilderbuch aus nebelverhangenen Wäldern, zerklüfteten Felsen, abenteuerfilmgleichen Panoramen und schnuckeligen Städten entfaltet, obschon sie noch nie eines der Länder im Norden besucht hatte. So oder so schien es ihr die richtige Gegend zu sein, um den Kopf freizubekommen und die eine oder andere Entscheidung zu fällen. Vielleicht auch, um zu verschwinden und nicht mehr aufzutauchen. Bestimmt gab es dort reichlich abgelegene Gegenden, in denen man sie erst nach Jahren oder Jahrzehnten und lediglich durch einen Zufall entdecken würde. Dann wäre sie ein namenloses, schon halb mit der Natur verwachsenes Skelett. Der Vorstellung wohnte etwas morbid Tröstliches inne.
Die ersten zwei Wochen in Deutschland waren an Frederika – die sich normalerweise selbst bloß Fred nannte, weil ihr der ganze Name viel zu sperrig und altmodisch war – vorbeigezogen. Sie hatte weder von ihnen noch ihrem Inhalt Notiz genommen. Obwohl sie nacheinander in Schwerin, Hamburg, Kiel und Flensburg gewesen war, hätte sie kaum ein Wort darüber sagen können, was sie dort gesehen oder getan hatte, eine Stadt folgte gesichtslos auf die vorangegangene. Schwerin war hübsch und wasserreich, Hamburg dagegen abweisend und verregnet gewesen, meinte sie sich zu erinnern.
Aber was sie sich auch anschaute, wie interessant oder schön ihre Umgebung auch sein mochte, ihre Gedanken blieben zuhause. Drehten sich immer nur um die ganze Verschwendung, die ganze Sinnlosigkeit der vergangenen Jahre. Kaum war sie für einen Moment abgelenkt, schob sich wieder dieses eine Bild vor ihr inneres Auge, das sie so dringend vergessen wollte. Susanne, diesen Judas, kannte sie schon seit gefühlten Ewigkeiten und wusste gar nicht, von wem sie nun enttäuschter sein sollte. Wie, wieso und wie lange das bereits ging, hatte sie gar nicht mehr erfahren, auch seine lächerlichen Entschuldigungen nicht mehr hören wollen. Kannte sie sie doch zur Genüge. Susanne dagegen hatte nicht erst versucht irgendetwas zu erklären. Vielleicht, weil sie gewusst hatte, dass es nichts gab, das ihr Verhalten tatsächlich gerechtfertigt hätte.
Erst in Kopenhagen wurde es langsam besser. Nach der langen Zugfahrt und einer Nacht in der billigsten Herberge, die sie auf die Schnelle hatte finden können, glaubte Fred zum ersten Mal ihre Umgebung wenigstens wahrzunehmen. Fast behutsam sah sie sich in der dänischen Hauptstadt um, mit Augen, Nase und Ohren um sich tastend, wie ein Tier, das zum ersten Mal den Zoo verlässt, in dem es aufgewachsen ist. Zwar regnete es die folgenden Tage eigentlich ununterbrochen, doch da Fred nicht gewusst hatte, wohin ihre Reise sie führen oder wie lang sie dauern würde, war sie hervorragend ausgestattet aufgebrochen. Unter der großen Kapuze ihrer feuerroten Regenjacke fühlte sie sich wohl und geschützt, zumal bei diesem Wetter viel weniger Menschen unterwegs waren.
Daher taperte sie nun gemächlich durch die nassen Straßen und bewunderte das gewaltige Schloss Christianborg, das altmodisch geziegelte Rathaus und, im Kontrast dazu, das futuristische Opernhaus. Grundsätzlich gefielen ihr historische Gebäude, die von längst vergangenen Zeiten zeugten, besser als ihre modernen Nachbarn. Aber gerade zumindest war beides interessant anzusehen. Um genau zu sein, war alles interessant, das genügte, um sie abzulenken und sie sog Bilder und Eindrücke in sich auf wie eine Verdurstende das erste Wasser. ...
Am folgenden Tag besuchte sie das ebenso schöne wie anrüchige Christiania, ein wenig das Aroma längst vergangener Freiheit schnuppernd. Etwas wehmütig wurde ihr klar, dass sie den anarchistisch-kreativen Stadtteil gerne einmal zu seinen Hochzeiten erlebt hätte und nun wohl nur noch ein Abklatsch dieser Stimmung zu spüren war. Andererseits hätte sie dann vermutlich ohnehin nichts damit anzufangen gewusst, so schüchtern wie sie meistens war und so wenig sie oft mit Menschen umgehen konnte, wenn sie ihr näher kamen. Nebenbei stellte sie fest, dass es in der ganzen Stadt, obgleich so groß, keine echten Hochhäuser zu geben schien. Ein angenehmer Unterschied zu anderen Metropolen. Später schlenderte sie durch Nyhaven, ein pittoreskes Hafenviertel aus alten, bunt gestrichenen Häusern. Am frühen Abend setzte sie sich dort in eine urige Kneipe und nippte vorsichtig an ihrem ersten Bier seit Langem. Was nun? ...
Wer sich über ein weiteres Buch von Nina Casement informieren möchte, liest unsere Buchvorstellung zu "Wild Card", einem postapokalyptischen Roadtrip, der im Herbst 2020 veröffentlicht wurde.
© Für die Textauswahl zur Buchvorstellung "Jagdsaison: Ein mörderischer Reisebericht" und die Abbildung des Buchcovers danken wir der Autorin Nina Casement sehr herzlich, 05/2021.
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