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Neun der Kelche
Auf der Karte des Rider-Waite-Tarot zeigt sich ein wirklich interessantes Bild: Vor einem mit blauem Tuch gedeckten Tisch, auf dem neun Kelche stehen, sitzt ein bestens gelaunter Mann. Man sieht ihm die Genussfreudigkeit an – er ist ein wenig füllig und wirkt sehr freundlich, und auch zufrieden. Das kann er wohl auch sein, denn um ihn herum ist nichts als Fülle.
Das Genießen versteht er und von Hektik hält er nichts. Hier und jetzt lebt er mit guten und schönen Dingen, die er um sich aufgebaut hat. Beneidenswert? Das ist es mit Sicherheit, denn der Mensch auf der Karte ist kein Gejagter oder Getriebener, sondern ist fähig im Hier und Jetzt zu leben. So gesehen stellt die Szene erst einmal eine Lektion in Sachen Leben dar – denn eigentlich wollen wir alle doch an schönen Dingen Freude empfinden.
Wie viel Zeit verwenden wir darauf, uns das Leben angenehm zu machen ... und wie wenig können viele von uns damit anfangen. Es gibt Menschen, die vieles anhäufen und dann sofort vergessen, dass sie es haben – sie haben keine Zeit dafür. Ein schönes Heim will auch bewohnt werden und nicht nur eine Art Warteraum zwischen den Terminen sein. Gutes Essen sollte man würdigen, und Dinge, die dem Auge und somit der Seele guttun, wollen auch beachtet werden.
Leider ist es so, dass viele Menschen das Ausruhen oder das Feiern für eine besondere Art von Sünde halten, für die sie bestraft werden könnten. Das liegt an unserem Werteschema, das Fleiß als kardinale Tugend festmacht. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, aber die Kräfte sollten sinnvoll genutzt und nicht in einer Art Hamsterrad verschlissen werden. Ausruhen und genießen wird mit Faulheit oder Trägheit gleichgesetzt und ist somit recht negativ besetzt, wenn auch völlig zu Unrecht. Wer sich nichts gönnt, achtet sich nicht, sondern treibt sich sinnlos an.
Ein Thema der Karte ist aber auch das Geben und die Gemeinsamkeit. Der Herr hier hat genug zu teilen, aber auch er tut das vermutlich nicht umsonst. Er achtet darauf, dass nicht allzu viel ohne Gegenwert "über den Tisch" geht. Darauf weisen seine verschränkten Arme hin, ein Symbol für Barriere. Auch er läuft Gefahr, sich selber von jeder Entwicklung abzuschneiden, indem er das Teilen und das Miteinander nicht zulässt.
Ebenso schlecht für uns wie das "nicht genießen können" ist das Gegenteil davon: Das tatsächliche Nichtstun. Natürlich gibt es nur sehr wenige unter uns, die Mittel dazu haben, um tatsächlich nur auf seidenen Kissen zu ruhen, ohne Angst haben zu müssen – gemeint ist vor allem das Nichtstun trotz Betriebsamkeit. Viele unterminieren und verschwenden ihre Kräfte durch selbstgemachte Beschäftigungstherapien, die sie an jeder echten Anteilnahme oder Konstruktivität hindern. Diese Gemütsfaulheit ist vor allem bei diesem Bild gemeint.
Kein noch so harter Arbeitstag, oder noch so wichtige Termine, entbinden uns Menschen vom "Miteinander", und schon gar nicht von jedweder Verantwortung. Ein Beispiel wäre das Bild des Bürgers, der glaubt, dass die Welt gut ist, wie sie ist, weil er nichts zu klagen hat und sein Leben in ruhigen Bahnen verläuft. Wer sich solch ein Universum schafft, kann unsanft aufgerüttelt werden, wenn die Realität an die Türe klopft – und das kann zuweilen in recht derber Form geschehen. Bei allem ist das rechte Maß entscheidend, und auch die Gründe.
Eines hat der Mann auf der Karte vielen Menschen voraus: Er genießt um des Genusses willen und weniger, weil er damit etwas zeigen will. Ein wenig Stolz auf das, was er hat, ist natürlich spürbar – aber das ist nichts Schlechtes. Das wird es erst dann, wenn sich die Maßstäbe so weit ändern, dass der Status das Allerwichtigste ist, und alles, was man tut, diesem Zweck dient. Die Folge ist dann, dass man sich selber – und die anderen – hinter der materiellen Fassade nicht mehr wahrnimmt ... was nichts anderes heißt als Einsamkeit.
Neun der Münzen
Diese Karte hat ebenfalls etwas mit Reichtum zu tun, aber anders als bei der Kelch Neun, die in einem ansonsten leeren Raum den Überfluss der Dinge zeigt, ist hier ein lebendigeres Bild zu sehen. Ein in sehr schöne Gewänder gekleideter Mensch trägt auf seiner behandschuhten Hand einen Falken. Die andere Hand liegt lässig auf einer von neun Münzen, die aus der Erde gewachsen zu sein scheinen.
Hinter ihm ist üppiges Blühen und Leben, pralle Weintrauben wuchern geradezu. Der Blick geht weiter auf Bäume, eine Stadt und ferne Berge: Das Leben in seiner ganzen Fülle zeigt sich. Die Gestalt hat einen eher ernsten Gesichtsausdruck, oder vielleicht könnte man sagen, einen bewussteren. Umgeben von gewachsenem Reichtum kennt dieser Mensch seine Verantwortung – er weiß, dass das Wachsen und Gedeihen der Pflege und Fürsorge bedarf. Er ist eins mit seiner Umgebung, sein Reichtum ist nicht nur der Äußere, sondern auch und wahrscheinlich der Innere.
Seine geistigen Grenzen sind nicht eng gesteckt – der Falke verkörpert den hochfliegenden und freien Geist. Die Bodenständigkeit wird ebenso wie das Naturverbundene durch die vertraut anmutende Berührung der Münze gezeigt. Die Gestalt scheint ebenso allein wie die auf der vorhergehenden Karte – aber dieser Mensch hier weiß darum und nimmt das Alleinsein an. Dadurch ist er frei geworden und kann somit offen auf andere zugehen und mit ihnen die Fülle des Lebens teilen. Wer um das Leben weiß, weiß auch um den Verzicht – aber wer dazu fähig ist, kann auch empfangen.
Wir verwechseln oft Einsamkeit mit Alleinsein, und fürchten uns inmitten des pulsierenden Lebens. Aber Alleinsein kann wie eine Medizin wirken – es bedeutet nicht, dass man verlassen ist. Es heißt nur, dass man sich selber genügen kann, wenn die Zeit dazu da ist. Vielleicht kennen Sie das: Kaum ist man daheim, wird der Fernseher angemacht – man lässt ihn laufen, obwohl man gar nicht davor sitzt und das Programm verfolgt. In einem anderen Raum läuft vielleicht sogar gleichzeitig ein Radio – es ist, als wolle man die Stille aus der Wohnung drängen, weil man Angst vor ihr hat. Vielleicht Angst davor, aus der eigenen Seele etwas zu hören?
Alleinsein mit sich, den Gedanken und der Stille, ist etwas, das viele Menschen verlernt haben. Sie sind nicht in der Lage, mit sich recht umzugehen – sie brauchen irgendetwas, das sie von sich ablenkt. Es gibt Millionen von Menschen, die sich reich fühlen, obwohl sie kaum eine Münze in der Tasche haben – ebenso wie Millionäre, die nicht wirklich etwas verlören, wenn sie verarmten. Wer Reichtum auf die bloße Anhäufung von materiellen Dingen und Geld reduziert, ist nie wirklich reich – denn er ist von Schicksalsschlägen ebenso abhängig wie von anderen Unwägbarkeiten.
Die Karte weist Sie darauf hin, das Gleichgewicht anzustreben, nach den Wurzeln zu suchen und die innere Freiheit beizubehalten – und sie stellt Erfolge in Aussicht. Die Dinge müssen einander entsprechen, dann ist Wachstum die logische Folge davon. Die Aussichten sind gut, sagt das Arkanum – aber tun Sie das, was Sie jetzt tun wollen, können oder müssen, nicht oberflächlich. Haben Sie etwas erreicht, dann nehmen Sie die Verantwortung ernst!
* * * Tarotkarten IX Kelche und Münzen: Ende der Leseprobe aus unserem Buch * * *
Neun der Kelche – Lesen Sie unsere Publikation zu den 78 Tarotkarten:
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© "Die Tarot-Karte Neun: Kelche und Münzen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010.
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