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Von Gert Richter hatten wir Ende 2021 bereits "Anne lieben" gelesen und rezensiert. Der Autor hat eine außergewöhnliche Erzählgabe, die man selten zu Augen bekommt. So wird man neugierig auf mehr, auch wenn die "neue" Geschichte etwas älteren Datums ist.
In Richters ungewöhnlichem Liebesroman "Mittwoch um drei" nun geht es um das schwierige Thema der Untreue. Ein Seitensprung ist damit nicht gemeint, denn das Thema Liebe ist ein vielschichtiges Gebäude. Hauptpersonen sind zum einen David (ein Professor für Verhaltensforschung) sowie seine Setterhündin Lea, die mit ihrem Herrchen "spricht". Zum anderen zwei Frauen: Alice (Davids Ehefrau), sowie Julia (Davids Psychotherapeutin), in die sich David verliebt.
Einer, der das Verhalten von Schwarmfischen, den sogenannten Gratlingen, untersucht, sollte eigentlich über viel Wissen verfügen. Ob es sich nun um Fische, Einzeller oder letztendlich um Menschen handelt. Es bleibt sich sehr oft gleich, wie man denken könnte. Wer diesem Mann, David, aber wirklich Wissen vermittelt, ist Lea, seine Hündin. Nicht, dass sie spräche, das ist es nicht. Sie tauscht aus. Wobei sie mehr gibt als der Mensch, der kaum etwas zu geben hat, wie ihm im Laufe der Zeit bewusst wird.
Lea verändert langsam Davids Sicht der Dinge, denn was er immer wahrgenommen hatte, war jeweils ein Individuum. Aber die Hündin beharrt darauf, dass es weder ihn noch sie gibt. Es gibt nur die Beziehung. Das ist starker Stoff für einen Verhaltensforscher. Doch langsam aber sicher fließt Leas Standpunkt in die Arbeit des Professors ein. Er definiert einiges anders, sieht nicht mehr die Punkte im Gratlingsbecken, sondern konzentriert sich auf die Linien, die jeweils die Punkte verbinden und sich dynamisch verhalten.
Eine neue Doktorandin macht sich eifrig Notizen, doch im Großen und Ganzen tut sogar David das alles als Unsinn ab, was er glaubt gesehen zu haben. Denn er hat ein anderes Problem, er fürchtet nämlich verrückt zu werden, oder es möglicherweise schon zu sein. Und das ist der Punkt, an dem David alles, was er als gegeben annahm, oder eher ergeben hinnahm, hinterfragen muss. Denn er verliebt sich in die Psychologin Julia, die er aufsucht in seiner Angst. Dann versucht er sich in die Erinnerung an Alice, seine Frau, zu verlieben. Aber Alice ist gerade dabei, sich selber neu zu definieren.
Tatsächlich ist Lea, die Hündin, mittlerweile gestorben. Und das lässt Davids ureigenes Forschungsbecken, in dem er sich selber befindet, noch ungemütlicher werden. Man könnte sagen, dass die Hündin den Professor das Sehen lehrt. Das vom Begrifflichen gelöste Sehen wohlgemerkt. Das aber ist nicht die Art und Weise, wie das soziale Leben bei uns funktioniert.
Wir begreifen die Dinge oder auch Menschen, die wir sehen, ja eher als EIN von allem losgelöstes Teil, das von allem abgespalten wird für die Dauer unserer Wahrnehmung. Kehren wir dann zurück in den Schwarm, wenn wir wegsehen? Das ist unklar. Genauso unklar wie die alte Frage nach dem Baum: Ist er denn noch existent, wenn wir uns von ihm abwenden?
Natürlich sprechen viele Menschen mit ihren Hunden, doch für gewöhnlich antworten diese nicht und tauschen schon gar nicht Weisheiten aus. Letztendlich aber ist das Schwarmverhalten (oder sind es doch Beziehungen, von denen die Rede ist?) nicht wirklich vorhersehbar. Das muss der Professor auch noch lernen nebst vielen anderen Dingen.
Richters pointenreicher Roman erscheint am Anfang wie ein Treffen von Isaac Asimov und Groucho Marx. Das phantastische Element ist unwiderstehlich, doch dann aber nimmt er die Leser tatsächlich mit in das riesige Becken der Beziehungen, das wir normalerweise das Universum nennen. Oder aber auch ganz einfach "Das Leben". Und da gibt es Überraschungen für jeden.
Sein Antiheld, der nicht besonders nett wirkt, steht für viele von uns. Möglicherweise sogar für alle. Wer sich in Richters Gratlingsbecken befindet, darf sich auf einige Einsichten vorbereiten. Und das ist ja genau das, was wir von Geschichten wollen, oder nicht?
Unsere Leseempfehlung: Gert Richters Roman "Mittwoch um drei" ist wortgewaltig, phantastisch, lehrreich und witzig. Gelegentlich mussten wir über manch surrealen Einfall des Autors den Kopf schütteln (im positiven Sinne gemeint).
Die Taschenbuch-Ausgabe umfasst 530 Seiten und wurde Ende 2020 im no es nada-Verlag veröffentlicht. Für E-Book-Leser steht eine digitale Ausgabe im Online-Buchhandel zum Download bereit.
© "Das Leben ist ein riesiges Becken von Beziehungen": Eine Rezension von Izabel Comati und Winfried Brumma (Pressenet), 01/2022.
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