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Über die Hälfte der Weltbevölkerung ist einer Seuche zum Opfer gefallen. Die Überlebenden suchen Sicherheit und Bequemlichkeit in den Segnungen der Technik. Doch die implantierten Chips kontrollieren nicht nur die Vitalwerte und wer in der eigenen Wohnung ein- und ausgeht. Skrupellose Konzernbosse und korrupte Politiker haben das Spiel auf ein neues Level gehoben. Künstliche Intelligenz verfolgt jeden Schritt der Bürger und wertet die Daten zur Erstellung eines perfiden Sozialratings aus. Privatsphäre ist Geschichte. Wer mehr Punkte hat, ist der bessere Mensch.
Die wenigen, die sich weigern, bei diesem Spiel mitzumachen, führen ein gefährliches Leben als Außenseiter. Als der geordnete Alltag des Héctor García López aus den Fugen gerät, beginnt er allmählich, sein Dasein in Frage zu stellen. Wird er zum Zünglein an der Waage im verzweifelten Kampf der letzten freien Menschen gegen den totalen Überwachungsstaat?
Der Science-Fiction-Roman "Pyramidenspiel: Ein Roman über die gechippte Gesellschaft" wurde Mitte Januar 2022 als Taschenbuch mit 279 Seiten veröffentlicht. Die gesellschaftskritische Dystopie von Juan Arte gibt es auch als E-Book im Online-Buchhandel.
London Clapham, in einer verlassenen Fabrik, wenige Minuten später.
Earnest Campbell und sein Gast befanden sich mittlerweile in einer der bescheidenen, aber dennoch liebevoll eingerichteten Wohneinheiten. Campbell hatte ihm erklärt, dass auch ihm als Anführer nicht mehr Wohnraum zur Verfügung stehe als den übrigen Bewohnern Claphams. Immerhin gab es hier ein Bett, einen Schrank, einen Tisch und vier Stühle. Auf einem hatte Héctor Platz genommen und folgte interessiert den Erklärungen seines Gegenübers.
"... und aufgrund all dieser Tatsachen ist Privatsphäre ein Grundstein jeder freien Gesellschaft", beendete Earnest Campbell seine Ausführungen.
Héctor war verwirrt. Ihm wollte kein Argument dafür einfallen, die Gesellschaft von seinem Leben auszuschließen. "Es tut mir leid, aber ich verstehe es immer noch nicht. Was ist so wichtig daran, Dinge vor anderen Menschen geheim zu halten?"
Campbell seufzte. "Ich sehe, wir haben noch einiges an Arbeit vor uns, um dich von der jahrelangen Propaganda zu befreien. Ich fürchte, einem Chipo die Vorzüge von Privatsphäre zu erklären, ist in etwa so schwierig, wie einem Blinden die Stimmung an einem Strand bei Sonnenuntergang zu beschreiben. Wie sollte man auch etwas vermissen, was man nie kennenlernte? Dass die Vorstellung von Privatsphäre innerhalb von einigen Jahrzehnten so universell ausgelöscht sein würde, dass die Menschen den entsprechenden Begriff komplett aus ihrem Wortschatz entfernen, hätte sich wohl nicht einmal Mark Zuckerberg in seinen feuchtesten Träumen auszumalen vermocht." Campbell begann plötzlich zu strahlen. "Ich weiß jetzt, wie ich es dir erklären kann. Sagt dir 'Social Media' etwas, Héctor?"
"In der Zeit vor Entwicklung des Chips gab es unterschiedliche Apps für das Smartphone, um seine Freunde, Bekannten oder was-auch-immer an mehr oder weniger wichtigen Details seines Lebens teilhaben zu lassen. Diese Apps wurden obsolet, als durch Erfindung des Chips die Möglichkeit eingeräumt wurde, jederzeit in Echtzeit am Leben anderer Anteil zu nehmen", beantwortete Héctor die Frage in einer souveränen Art und Weise, die ihm Bestnoten bei jeder Geschichtsprüfung beschert hätte.
"Und ist es möglich, andere von der Teilnahme an seinem virtuellen Leben per Chip auszuschließen?", fragte Campbell weiter.
"Selbstverständlich nicht. Ein solches Vorhaben wäre asozial. Nur wer ein moralisch zweifelhaftes Leben führt und Dinge vor der Allgemeinheit zu verbergen hat, würde so etwas wollen", rezitierte Héctor das ihm und allen anderen Mitgliedern seiner Generation seit frühester Kindheit eingeimpfte Dogma.
"Also kann jeder von jedem vierundzwanzig Stunden täglich beobachtet werden?" Earnest grinste erneut. Es schien, als würde er Héctors Antwort bereits kennen.
"Grundsätzlich schon. Ausgenommen sind die menschlichen Grundbedürfnisse, deren Konsumation die Allgemeinheit moralisch verstören würde wie etwa WC-Besuche, Körperpflege und Sex. Aber das weißt du doch bestimmt alles." Héctor war verwundert, in welche Richtung sich ihre Konversation bewegte. Gleichzeitig beschlich ihn das ungute Gefühl, bloß hohle Propagandaphrasen gedroschen zu haben.
"Du hast Recht, Héctor. Meine provokanten Fragen dienten jedoch nicht dem Zweck, dich bloßzustellen oder zu verärgern, sondern deiner Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen. Stell dir vor, du könntest selbst bestimmen, welchen Teil deines Lebens der Chip überträgt und welchen nicht. Stell dir vor, du könntest dieses Feature komplett abschalten, wenn dir danach wäre. Das, mein Freund, wäre Privatsphäre!"
Héctor schwieg. Es war dieses typische Schweigen, das einen überkommt, wenn man etwas wirklich Bahnbrechendes erfahren hat und versucht, die neuen Erkenntnisse irgendwie in sein altes Weltbild hineinzupressen.
Earnest gab ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Inzwischen holte er zwei Dosen Bier, stellte eine vor seinem Gast auf den Tisch und öffnete die andere mit einem lauten Zischen. "Ich denke, das brauchst du jetzt."
"Danke. Für das Bier und den Denkanstoß. Was du mir eben gesagt hast, war so einfach, und doch habe ich bisher nie darüber nachgedacht", gestand Héctor.
"Schwer, über etwas nachzudenken, wenn einem die richtigen Worte dafür fehlen. Wie ich schon sagte, ist die Kontrolle der Sprache nur einer der winzigen Teile im großen Puzzle der Mächtigen."
Héctors Neugier war geweckt. "Und was sind die restlichen?"
"Verdummung der Massen durch dauernden Medienkonsum, totale Überwachung, Beeinflussung des logischen Denkens durch Erzeugung von Angst, Ausschaltung der Solidarität durch Teilung der Gesellschaft in mehrere konkurrierende Gruppen, Erzeugung von unnötigen Bedürfnissen durch Werbung, und noch viele, viele mehr. Du arbeitest zwar in einer Bibliothek, aber mir scheint, du hast die besten Stücke darin nie gelesen."
Héctor fühlte sich auf einmal ziemlich naiv. So oft hatte er schon über die Bücher aus der Abteilung für subversive Literatur nachgedacht und doch nie den Mut gefunden, sie auch zu lesen. Zu viel Angst hatte er davor gehabt, was die anderen von ihm halten könnten. Möglicherweise hatte er auch Sorge, dass ihn die verbotene Lektüre an seiner Art zu leben zweifeln lassen könnte. Die revolutionären Ansichten von Earnest Campbell waren anregend und abstoßend zugleich. Ein ungeduldiges, heftiges Klopfen an der Tür riss Héctor aus seinen trüben Gedanken. Die Tür wurde – noch bevor Earnest das Wort "Herein" fertig ausgesprochen hatte – aufgerissen und ein schnaufender Zlatko stürmte ins Zimmer.
"Che, du musst sofort mitkommen. Es gibt unglaubliche Neuigkeiten."
Earnest Campbell sprang für sein Alter erstaunlich schnell von seinem Sitz auf. "Ich fürchte, wir müssen unser Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen. Sophia wird sich in der Zwischenzeit um dich kümmern", rief ihm Campbell zu, bevor er auf den Treppen verschwand. ...
© Vielen Dank an den Autor Juan Arte für den Textauszug aus seinem Science-Fiction-Roman "Pyramidenspiel" nebst Abbildung des Buchcovers, 01/2022.
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