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Es ist nicht mehr viel Öl in der Lampe, und man hat uns sparen geheißen die letzten Monde. Aber heute, in dieser Nacht, will ich sehen. So leidenschaftlich sehen, wie ich niemals vorher tat. Denn es wird keinen Morgen geben, für keinen von uns. Wir haben hier auf dem Berg gearbeitet, wie wir es immer taten, wir Frauen, und wir haben gemahlen und gebacken, gesponnen und gewebt.
Nicht wenige haben hier Kinder geboren, und einige sind hier gestorben, auf dem Zufluchtsberg. Wir kamen hierher, um zu leben, und der Gott unserer Väter weiß, dass wir gut gelebt haben. Es gab Frieden wie lange nicht, Frieden, wie sie ihn nicht mehr kennen in den Tälern der Heimat, wo sie ihre Schritte den römischen Spannen anpassen müssen.
Die wenigen Jahre in der Feste des Herodes waren gut und ich beklage mich nicht. Als mein Gemahl mich hierhin brachte nach dem Sieg über den Feind, glaubte ich, dass wir hier endlich in Sicherheit sein müssten unser Leben lang. Denn, so dachten wir, nur wer Flügel hat, kann diese Mauern einnehmen. Mein jüngstes Kind wurde hier geboren, mein Söhnchen, das seinem Vater so sehr gleichsieht. Wie waren wir alle glücklich, wie schnell hatten wir unser eigenes Reich gebaut hier oben unter den Wolken.
Wohnraum für alle, eine Gemeinschaftsbäckerei, wo wir Frauen an den glücklichen Tagen unser Brot buken und die Kuchen für die Festtage, sogar ein Bad gibt es und Tauben für unseren Tempel. Drunten in den Tälern sprechen die Menschen von der Schönheit des Sonnenaufganges, aber wer gesehen hat, wie sie morgens ihr Gold über die Mauerzinnen ausbreitet und von Masada aus über die ganze Welt zieht, der will hier sein und nirgends sonst. So habe ich es gehalten die ganze lange Zeit hier. Jeden Morgen sah ich dieses Wunder und dankte Gott dafür.
Fast tausend sind wir, und wir litten niemals Mangel an Wasser, denn Herodes ließ seinen Palast umsichtig anlegen. Mein Gemahl ist ebenso umsichtig, und so waren unsere Speicher voll mit Getreide und Öl, aber dann kamen schlechte Nachrichten. Freilich sannen die Eindringlinge auf Rache, sie verschmerzten den Verlust des von uns im Handstreich genommenen Felsenplateaus nicht. Ihr Kaiser sitzt in seinen Palästen, umhüllt von Purpur, und brütet und sinnt auf nichts anderes als Eroberung, Krieg und Vergeltung. Aber was wir nahmen, war rechtmäßig unser, wir stahlen ihnen nichts.
Man kann weit sehen von den Wehrgängen aus, und das Land am Fuße des Berges blieb nicht leer. Von unseren Freunden und Verbündeten trafen Nachrichten ein, deren Inhalt die Männer für sich behielten. Das war beängstigend, denn Eleazar teilt seine Gedanken mit mir, seit ich ihm zur Seite gegeben wurde. Mich beschlich Angst, wenngleich ich es meinen Verwandten nicht zeigen wollte, wenn man über die Tauben mit den Pergamentröllchen schwieg. Aber ich kenne meinen Gemahl und ich weiß, dass er einen guten Grund hat, wenn er mir etwas verschweigt, und so fragte ich ihn nicht. Doch manchmal fühlte ich einen Druck auf der Brust, als wenn mein Herz eine Last trüge.
Dann, eines Morgens, als ich die Sonne begrüßen wollte wie gewöhnlich, sah ich tief unten im Tal die Soldaten. Ein ganzes Heer mit Tross und Wagen, mit unzähligen Pferden, Eseln, Rindern zog gegen Masada. "Das sind die Legionen des Kaisers unter Flavius Silva", sagte die ruhige Stimme Eleazars hinter mir. Da lachte ich auf und sagte zu ihm: "Sie sehen wie Ameisen aus, wie winzige Insekten. Wenn sie nicht fliegen können, nützt ihnen ihre Anzahl nichts, mein Gemahl. Sie werden wieder abziehen."
Aber ich weiß noch, dass ich von furchtbarer Angst befallen wurde in dieser Stunde und dass die Sonne mir fahl schien. Eleazar sagte nichts, er sah mir in die Augen und legte seinen Arm um mich. In den Tagen, die auf das Erscheinen der Römer folgten, machte sich niemand große Sorgen, denn niemand konnte sich vorstellen, wie sie es anstellen wollten, allein zu unseren Mauern vorzudringen. Derbe Scherze wurden gemacht und die Krieger spieen von den Mauern hinunter, aber mein Mann und seine Vertrauten nahmen die Griffel zur Hand. Alles wurde gezählt, jeder Ölkrug und jede Amphora mit Wein. Die Frauen mussten Auskunft über Wolle und Leder machen, unsere Schmiede legten ihre Vorräte offen.
Dann verlangte mein Mann, dass ein großer Teil in die Lager und Speicher gebracht werden sollte, was manchen nicht gefiel. "Wird Eleazar ben Yair zum Weib beim Anblick einer Handvoll römischer Dummköpfe?", hieß es da. Oder auch: "Glaubt der Sohn Yairs, dass den Römern Flügel gewachsen sind, seit wir sie aus Masada vertrieben haben?" Doch die Hauptleute setzten ihren Willen durch, oder besser gesagt, den Willen Eleazars. Noch immer war ich beim Sonnenaufgang draußen, aber ich beobachtete die Feinde. Sie schienen nie zu schlafen, sie arbeiteten auch des Nachts, wie uns die vielen Fackeln verrieten. Und ein langer, nie abreißender Zug von Material und Menschen stieß zu ihnen ... sie veränderten alles im Tal.
Und dann, eines Abends, als die meisten von uns versammelt waren, sagte Eleazar: "Sie bauen eine Rampe." Dröhnendes Gelächter war die Antwort. "Halten sie sich für unsterblich, die Römer, oder glauben sie, dass ihre Kinder sie fertigbauen?", hieß es. Denn ein solches Unterfangen konnte sich keiner vorstellen. Später, in unserem Schlafgemach, nahm mein Gatte meine Hände und sagte zu mir: "Die Römer haben nicht die Welt erobert, weil sie Narren sind oder unfähig, und sie wissen im Allgemeinen, was sie tun. Wenn es nicht irgendwie möglich wäre, dann wären sie das Wagnis nicht eingegangen. Dann wäre Flavius Silva nicht hier."
Wie ich den Namen hasste, ich wusste, dass dieser Römer versucht hatte, mit unseren Führern zu verhandeln. Er sei ein Mann von so viel Ehre, wie sein Kaiser bereit sei, ihm zuzugestehen, sagte mir Eleazar. "Er tut, was man ihm befohlen hat, er ist ein Werkzeug. Wir werden sehen, wie brauchbar es ist", sagte mein Gemahl. Doch was unmöglich erschienen war, nahm Gestalt an. In dem Gewusel von Menschen wurde es langsam sichtbar, der Pfad des Todes, wie ich diese verfluchte Rampe nenne. Ich begann davon zu träumen, ich sah die Dunkelheit über den steinernen und steilen Weg kommen und wieder umdrehen am Rand, der sich jeden Tag näher schob.
Unsere nächtlichen Ausfälle konnten nicht viel ausrichten, die Römer verfügen über nie versiegenden Nachschub an Menschen und Material – und wir nicht. Als die Rampe lang genug war, dass ihre Geschosse unsere Mauern erreichten, verging selbst den Sorglosesten das Lachen und wir mussten einen Mitbewohner aufnehmen: die Angst. Und die Angst wuchs mit der Rampe, diesem steinernen Band, das den Tod bringen wird – oder die Sklaverei. Masada ist verloren, das wissen wir seit Wochen.
Die Steine und Brandgeschosse richten Schlimmes an, es gab einige Tote. Unsere Vorräte würden noch einige Zeit reichen, doch es wäre nur ein Hinauszögern des Unvermeidlichen. Ich ging Eleazar an wie eine Katze, ich verfiel in wütende Raserei und weinte und flehte, als er mir sagte, was geplant war. Doch als bei der großen Versammlung alle zustimmten, als alle den Tod wählten, wurde ich ruhig.
Ich kann nicht mehr auf die Mauer, es ist gefährlich dort. Meine gesamte Zeit verbringe ich bei meinen Kindern, die ich wenigstens davor schützen kann, als Sklaven zu enden. Sie wissen nicht, was geschehen wird. Alle Kinder unter dreizehn Sommern werden im Schlaf sterben, dafür sorgen unsere heilkundigen Frauen. Sie werden den Schwertstreich nicht spüren.
Vor einer Stunde legte mir Eleazar eine Tonscherbe in die Hand, auf die sein Name geschrieben war. Ich weiß, was das bedeutet: Er ist einer der Zehn, die umhergehen werden wie die Engel des Todes, bestimmt durch das Los. Er versteht es mit dem Schwert umzugehen wie die anderen Neun, niemand wird leiden müssen. Dann werden diese Letzten ihre Frauen und Kinder vorausschicken und ihnen folgen. Die letzte Nacht hat uns gehört, so als gäbe es die Belagerer nicht und wir könnten wieder Arm in Arm erwachen.
Die ersten Stunden des Tages saßen wir mit den Kindern zusammen und erzählten Geschichten, wir aßen üppig mit Freude, denn die Vorräte müssen nicht mehr halten. Jetzt wird die Lampe schwächer, meine Kleinen schlafen ihren schweren Schlaf, der von den Kräutern kommt, die ich ihnen gab. Wenn Eleazar kommt, werden sie nichts spüren, es dauert nicht lang und wir sind alle wieder zusammen.
Wie seltsam, ich höre weder Schrei noch Weinen, es ist friedvoll und ruhig in der Festung. "Bleib hier sitzen auf dem Bett bei den Kindern, geh nicht hinaus und warte auf mich", sagte er. Das habe ich getan, allein mit meinen Erinnerungen an unser Leben. Aber jetzt höre ich Eleazars Schritte ... ich hoffe, es wird schnell gehen.
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© Textbeitrag "Masada – Symbol des jüdischen Freiheitswillens" von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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