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Mich hat die Göttin gestraft, denn sie sind neidisch, die Olympier. Und diese vor allen anderen, denn sie versteht nichts von den Leidenschaften der anderen ihrer Art und der Sterblichen, diese spröde Speerträgerin.
Meine Schönheit war berühmt, sie wurde besungen bei den Göttern und auch bei den Menschen. Was Wunder, dass ich tat, was ich getan habe und dem Werben nachgab. Wer wird über den Ort nachdenken, wenn die Leidenschaft die Oberhand gewinnt? Sie hat nichts außer ihrer Reinheit und ihrem Verstand, und so war sie über alle Maßen erbost, als sie uns in ihrer Halle überraschte, den Meerherrn und mich. Und schrecklich ist ein Fluch der Götter, denn er erfüllt sich langsam.
Als ich ging, lachte ich über die zornig hervorgestoßenen Worte, ich habe mit den Schultern gezuckt und bin meines Weges gegangen an jenem dunklen Tag. Meine Schwestern zankten mit mir, sie behaupteten, ich hätte Schande über sie gebracht. Aber ich war immer anders als sie, denn in mir liegt der Keim der Sterblichkeit. Mein Leben währt ebenso lange wie das ihre, doch bin ich nicht gegen einen gewaltsamen Tod gefeit. Als der Fluch der Athene begann, seine Kraft zu entfalten, war dies die einzige Hoffnung, die ich hatte – doch hatte ich ihre Bosheit unterschätzt.
Wie viele auch kamen, um sich später als mein Bezwinger rühmen zu können – sie alle sind tot. Sie verfielen in eine Starre und ihr Herz hörte auf zu schlagen, und wenn sie am Boden lagen, fühlten sie sich kalt an – fast, als seien sie aus Stein gehauen. Sie verwesen langsam. Selbst diejenigen, die als allererste kamen, um sich zu beweisen vor vielen Jahren, sind noch zu erkennen. Ich sah in die Augen der Männer, ich flehte wortlos um den Tod ... doch sie waren nicht fähig, mich zu erlösen. Meine lichtlose Halle ist voll von den Unglücklichen, die mich töten wollten und selber starben. Meine beiden Schwestern zogen sich von mir zurück – fürchteten sie doch, mit einbezogen zu werden in die schreckliche Strafe, die ich erlitt.
Als es begann, verschwanden alle nach und nach, und so blieb ich allein an diesem Ort, den ich nicht mehr verlassen konnte, weil ich mich langsam aber unaufhaltsam verwandelte. Meine schöne Haut wurde trocken, ganz gleich wie sorgsam ich sie badete und salbte. Dann zeigten sich hier und da schorfige Stellen, die nicht mehr verschwinden wollten. Ich wandte alle mir bekannten Heiltränke und Tinkturen an, doch es wurde nicht besser, sondern eher schlimmer. Bald waren meine Arme und Beine von schuppiger und trockener Haut bedeckt, die ständig juckte. Meine Nächte waren voller Qual, denn ich fand keinen Schlaf mehr, weil ich mich blutig kratzte. Da, wo der Schorf war, wurde die Haut bald borkig und gefühllos. Es sah schauderhaft aus, aber ich war fast erleichtert darüber.
Dann breitete es sich langsam über meinen ganzen Körper aus, es kroch den Hals hinauf, um auch mein Gesicht zu bedecken. Zu dieser Zeit vermied ich es, in die polierten Silberspiegel zu sehen, die ich vorher so geliebt hatte. Ich ließ sie von den wenigen Getreuen, die noch bei mir ausharrten, aus meinen Räumen schaffen. Ich wusste, dass es der Fluch der Göttin war, und ich gestehe, dass ich weinte und flehte, ohne jemals Antwort zu erhalten. Es veränderte sich noch mehr, meine Nägel wurden gelblich und sehr dick, ich kratzte die neu gebildeten Hautschuppen mit ihnen blutig und schrie vor Pein dabei. Die verdickte Haut schränkte mich in meinen Bewegungen ein. Einerseits, weil sie schnell riss und dann wieder höllisch juckte und andererseits wenig dehnbar war. Wahrscheinlich sah ich zu dieser Zeit aus wie ein wandelnder Baum und nicht wie eine Frau.
Wenn mir die Haut keine Qualen bescherte, dann machte mich der Schmerz in den Augen verrückt, denn diese brannten vor Schlaflosigkeit und den vielen durchweinten Stunden. Ich sah alles wie durch feinen Nebel, aber dafür war mein Gesichtskreis vergrößert – es machte mir Angst, aber ich konnte nichts dagegen tun. Meine Haare wuchsen schnell wie die Meeresalgen, sie waren seit jeher voll und lockig gewesen, doch ich pflegte sie nicht mehr – außer, dass ich von Zeit zu Zeit mit meinen Krallen durchfuhr. Die Locken verfilzten zu dicken Strängen, die wirr um mich herumhingen, manche bis hinab zu den Füßen wie dicke Nattern. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, denn der Fluch hatte mein Gesicht erreicht. Beim Hades, als meine Augenlider davon betroffen wurden, brüllte ich meine Qual heraus, so laut und so lange, bis alle verschwanden, die noch hier geblieben waren.
Wie viel Zeit vergangen war, weiß ich nicht – aber es muss lange gedauert haben, bis ich keine Schmerzen mehr hatte, außer denen in meiner Seele. Ich trank und trank, doch schwoll meine Zunge und wurde größer, so dass ich die ständig aufgesprungenen Lippen nicht mehr schließen konnte und so nicht mehr fähig war zu sprechen. Als der erste der Menschen erschien, um sich mit mir zu messen, verstand ich nicht, warum er gekommen war – ich versuchte meine Hässlichkeit zu verbergen. Aber als er mich aufspürte in den weit verzweigten Hallen des leeren Palastes, da wandte ich mich um. Ich wollte ihn bitten, mich zu töten, doch dieser unglückliche Wurm starrte mir in die Augen, dann öffnete er den Mund zu einem Schrei, der niemals ausgestoßen wurde. Mit steingrauem Gesicht blieb er stehen, das erhobene Schwert in der Hand. Dann sackte er lautlos zusammen, mit weit aufgerissenen Augen und rührte sich nicht mehr. Sein Herz war stehen geblieben, noch bevor ich hatte versuchen können, Worte zu formen.
Und nach ihm kamen viele seiner Art. Immer und immer wieder geschah das Gleiche, sie starben, ohne mir zuzuhören. Irgendwann hasste ich sie, diese Memmen, und es machte mir Freude, sie zu jagen, mit ihnen zu spielen, wie die Katze mit der Maus spielt, bevor ich mich zeigte. Manchmal hielt ich Totenwache bei ihnen, manche waren fast noch Knaben. Aber weder konnte ich weinen noch sprechen, das war mir beides versagt.
Die Zeiten gehen ineinander über, ich habe vergessen, wie man sie misst. Zu manchen Zeiten kommen viele von ihnen, den Kriegern der Sterblichen, und dann wieder lange kein einziger. Ich grüße sie alle wortlos, die da liegen oder an die Säulen gelehnt sitzen, die Waffen noch in der Hand, wenn ich umherstreife. Sie sind die einzige Gesellschaft, die ich habe, wenn sie auch nicht antworten. Ich sehne mich nach einem der Spiegel, von denen ich so viele besaß, denn ich fürchte nicht mehr meinen Anblick, sondern hoffe, dass mein Herz bricht und ich sein werde wie meine stummen Gefährten. Keines der Schwerter, die ich mancher verkrampfter Hand entwand, war fähig, durch meine Haut zu dringen, das habe ich versucht und dabei der Olympierin geflucht – dieser Ausweg ist mir versagt.
Aber irgendwann wird, irgendwann muss einer kommen, der anders ist und weiß, was ich nicht erkannt habe. Einer, der weiß, wie er mir den Tod bringt, den ich erwarte wie einen Liebhaber. Bei jedem Schiff, das den Strand berührt, hoffe ich, dass es den Einen trägt, der mich befreit. Und ich habe in der Dämmerung ein Licht gesehen vom Meer her, das mir sagt, dass man mich wieder sucht. Gut denn, ich werde sie erwarten und hoffen. Und sie angemessen begrüßen in meiner Halle, dem Palast der Medusa.
© "Die silbernen Spiegel": Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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