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Der groß gewachsene Junge stand mit geballten Fäusten und vor Wut zitternd in dem dunklen und verrußten Küchengewölbe der Burg. An seiner Wange rann die zähe und übel riechende Grütze, die als Wurfgeschoss gedient hatte, langsam herunter. Der keifende Koch stand um einiges entfernt, mit in die Seiten gestemmten Armen, und blies sich gewaltig auf. Die Schimpfnamen, mit denen er den nichtsnutzigen Küchenjungen bedachte, berücksichtigten so ziemlich alles, was in den Wäldern umherlief und legten besonderes Gewicht auf alle Arten von krabbelndem Getier.
Zwar wagte keiner laut zu lachen, aber die Szene erheiterte trotzdem das anwesende Gesinde. Einen ganzen Ochsen zu verderben war schon ein ziemliches Kunststück – doch der neue Küchenjunge hatte es geschafft. In den wenigen Tagen, die er hier war, hatte er sich schon so einiges geleistet. Zu feineren Arbeiten war er kaum zu gebrauchen – er erwies sich nützlicher für alles, was mit Körperkraft getan werden musste.
Gut einen Kopf größer als andere Jungen seines Alters – er mochte wohl so an die sechzehn Sommer gesehen haben – und mit den Schultern eines jungen Stieres ausgestattet, war er eine große Hilfe beim Fass-Abladen, Wasserschleppen oder Holzhacken. Gab man ihm auch nur die irdenen Näpfe des Gesindes in die Hand, oder einen Krug, hatte deren letztes Stündlein geschlagen. Es war, als wisse der Kerl nicht so richtig, wie er solche Dinge anzufassen habe. Also wurde er nur zu gröberen Arbeiten eingeteilt ... bis der Koch heute auf den Gedanken verfiel, ihn mit dem Drehen des riesigen Spießes über der Feuergrube zu betrauen.
War ein ganzer Ochse zu garen, brauchte es zwei oder drei der Küchenjungen oder Mädchen, um gleichmäßig die Kurbel zu bedienen. Einer allein schaffte das nur kurze Zeit, wenn überhaupt. Da nun aber alle sehr beschäftigt waren am heutigen Festtag und es viel zu wenig Helfer gab, war der nun erboste Koch auf den Gedanken verfallen, den Neuen damit zu betrauen. Der besaß wohl genug Kraft, dachte sich der pfiffige Küchenmeister ... aber wie sich herausstellte, verfügte der Kerl noch über weit mehr davon. Denn nach den ersten Drehungen des Spießes fand der Tölpel Vergnügen an seiner Aufgabe und setzte seine Muskeln ein, was damit endete, dass der gewaltige Spieß aus seiner Verankerung brach ... und mitsamt dem Ochsen in der Kochgrube landete.
Was man nach großer Aufregung und Gezeter retten konnte, war nicht wirklich der Rede wert gewesen. Zwar hatte der Schuldige sein Bestes getan und sich dabei recht übel die Hände und Unterarme verbrannt, doch war der Schaden nun einmal angerichtet. "Und gerade heute", jammerte der entnervte Koch, "wo heute doch die ersten Ritter des Reiches alle anwesend sind und der König Gericht hält."
In seinem gerechten Zorn hatte er das nächstbeste Gefäß nach dem Unglücklichen geworfen, wobei es sich um eine große Schüssel mit verdorbener Grütze handelte, die für die Schweine bestimmt war. Zu nahe an den jungen Hünen traute sich auch der Herr der Kochfeuer dann doch nicht heran, obwohl er sonst seinen Anweisungen und Tadeln gern körperlichen Nachdruck verlieh. Mit angewidertem Gesicht drehte sich der wütende Mann weg und gab Anweisungen, dass ein neuer Ochse herbeigeschafft werden solle.
In dem darauf einsetzenden geschäftigen Gewusel verließ der Küchenjunge unauffällig das Gewölbe und flüchtete sich in die Ställe. Die Burg hatte die größten Stallungen im ganzen Reich, denn hier gab es die vortrefflichsten Pferde. Eigentlich, so dachte sich der Junge, war es hier sauberer als in der Küche, wo es unangenehmer roch als hier. In den Ställen duftete es nach Getreide und Heu, nach Leder und Talg. Ein ganzes Heer von Helfern sorgte für frische Einstreu und sauberes Wasser, und räumte, so schnell es eben ging, die Hinterlassenschaften der Rosse fort. Hier konnte man die besten Turnierpferde und Kriegsrosse bewundern, denn in diesem Stall befanden sich die Pferde der vornehmsten Herren des Reiches ... und vor allem der Ritter der Tafelrunde.
An den Boxen waren Tafeln mit dem Hauszeichen angebracht, und der Junge eilte vorbei an den Wappen von namhaften Recken wie Bors, Lancelot, Dragonet, Lamorak und vielen anderen. Als er an den Tafeln des Hauses Lothian vorbeirannte, zog er den Kopf ein wenig ein und lief schneller. Zwar war es nicht sehr wahrscheinlich, dass ihn irgendein Pferdeknecht erkennen würde, denn schließlich erwartete niemand ihn hier zu sehen – doch Vorsicht war trotzdem angebracht. Die Boxen, in denen die Pferde seiner Brüder unterstanden, lagen nebeneinander und schlossen die Reihe ab. Nur eine einzige Box – die am Ausgang – war leer. "Hier sollte mein Fuchs stehen", dachte der junge Gareth erbittert. Aber nach dem heutigen Tag war er nahe daran, seinen kühnen Plan aufzugeben.
Vor Wochen war er aufgebrochen, um nach Camelot zu ziehen, weil er wie seine älteren Brüder ein Ritter der Tafelrunde König Artus' werden wollte. Seine Eltern wussten nichts davon, sie wähnten ihn bei den Jagdaufsehern, denen er zur Hand gehen sollte wie jedes Jahr im Herbst. Das dauerte mehrere Wochen, in denen er nicht auf der Burg seines Vaters war, und gab ihm somit Zeit für sein Vorhaben. Natürlich würde es früher oder später auffallen, dass er weder hier noch dort zu finden war, doch hatte der junge Heißsporn gehofft, dass er bis dahin sein Ziel erreicht haben würde.
"Ein Tölpel bin ich", dachte Gareth erbittert. Er hatte es sich sehr einfach vorgestellt, als Knecht beim Gesinde unterzukommen, um dann auf die Gelegenheit zu warten, seine Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können. Seine Brüder nahmen ihn nicht für voll, für sie war er einfach der "Kleine", und sie meinten, dass er noch viel Zeit habe, ein Ritter zu werden. Die Eltern wollten davon überhaupt nichts hören, sie sahen die Angelegenheit ähnlich wie Agravaine, Gaheris und Gawain. Doch Gareth wollte nicht mehr warten und daheim auf dem Übungsplatz versauern.
So gut wie die Brüder konnte er gewiss mit dem Schwert umgehen, und auf ihn warteten kühne Taten. Aber dann war alles nicht so gegangen, wie er geglaubt hatte, denn er wurde nach einem geringschätzigen Blick in die Küche geschickt. Die Kochgruben auf der heimischen Burg hatte er nie von nahem gesehen, und natürlich hatte er noch nie im Leben Wurzeln geputzt oder geschnitten. Als er es versuchte, waren seine Hände aufgefallen, die zwar kräftig, aber doch feingliedrig und dünnhäutig waren. Er hatte zwar die Schwielen vorgezeigt, die von den Waffenübungen herrührten, um zu belegen, dass er arbeiten konnte ... doch schnell machte man sich über seine "Mädchenhände" lustig.
Er musste den einen oder anderen ein wenig am Gürtel hochheben, damit Schluss war mit dem Gegrinse. Das allerdings hatte wiederum den Zorn der Köche zur Folge, und er fiel mehr auf, als er beabsichtigt hatte. Und dann stellte er fest, dass ein Küchenknecht wohl nie eine Gelegenheit zu besonderen Taten haben würde. Außerdem, wenn seine Brüder ihn bemerkten, würden sie ihn wohl einfach nach Hause schicken, und er würde niemals auch nur in die Nähe des Königs kommen. Fast hätte er geweint, so übermannte ihn die Erkenntnis seiner Lage, aber das verbiss er sich mannhaft – auch wenn er kein Tafelrunderitter werden würde, heulen wie ein Küchenjunge würde er trotzdem nicht.
Mittlerweile war er beim Brunnen angekommen und griff nach einem der ledernen Eimer, um ihn zu füllen, damit er sich etwas waschen und seine Wunden versorgen konnte, als ihn jemand ansprach. "Nimm den Eimer und folge mir, Junge." Er unterdrückte den Impuls, über die Schulter zu sehen, wer ihn da benötigte ... denn ein Knecht tat, was man verlangte und sah sich denjenigen, der ihm befahl, vorher nicht an. Dann nahm er den vollen Eimer und folgte dem Mann, der den Hof mit schnellen Schritten verließ. Die Gestalt war in ihren Mantel gehüllt und nicht zu erkennen, sie ging mit langen Schritten auf den westlichen Turm zu.
Gareth folgte durch die Holztüre die Steintreppen hinunter und in einen von Binsenlichtern erhellten Raum mit sehr tiefer Decke. "Stell das Wasser hier ab, Gareth." Den Jungen durchzuckte es heiß. Man hatte ihn entdeckt, dieser Mann hier wusste, wer er war. Jetzt war alles zu Ende, und er konnte sich nur noch in sein Schicksal ergeben und zurück nach Lothian gehen. Da warf der Mann den Mantel ab und Gareth sah in ein lächelndes und kluges Gesicht. Große braune Augen unter langem dunklem Haar schauten ihn freundlich an, und mit einem Lächeln sagte der Magister Merlinus: "Setz dich hin, du Held des Bratspießes!"
Dann tauchte er Tücher in das Wasser, in das er vorher einige andere Flüssigkeiten gegeben hatte und versorgte die Brandwunden Gareths. "Es ist nützlich für jemanden meines Berufes, über das, was vorgeht, Bescheid zu wissen. Dein schmutziges Gesicht mag andere täuschen, aber wer die Augen offen hat, sieht die Familienähnlichkeit mit den besten Rittern Camelots." Gareth genoss das Nachlassen des Schmerzes und fragte leise: "Was werdet ihr nun tun, Herr? Werdet ihr mich verraten?"
Merlin schüttelte den Kopf, während er mit leichter Hand Verbände anlegte. "Dein Schicksal wird sich bald erfüllen, Gareth von Orkney, es wird nicht mehr lange dauern. Bleib deinen Träumen treu und gib die Hoffnung nicht auf. Und bis dahin wirst du der Küche fernbleiben und Botengänge für den viel beschäftigten Magister machen und ihm sonst nicht von der Seite weichen." Und da wusste der junge Kämpfer, dass alles gut werden würde.
© Textbeitrag "Sir Gareth – Ritter Schönhand": Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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