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Der Junge duckte sich blitzschnell unter der vorschnellenden Hand weg und entging so einer, wie er aus Erfahrung wusste, recht herben Kopfnuss. Er war zwar schon etwas zu alt, um Honigkuchen zu stehlen, aber dieser Sport wollte nicht vernachlässigt werden. Dieses himmlische Gebäck schmeckte auch mit fünfzehn Sommern noch hervorragend.
Er wusste genau, dass sein Bruder gerne mit ihm den Küchenzelten einen Besuch abgestattet hätte – aber da er älter war, musste er an der Seite des Vaters bleiben an diesem Tag. Eigentlich hätte der Junge ja Aufgaben gehabt – aber die vielen Menschen hier waren einfach zu interessant, als dass er den Wetzstein und das Poliertuch hätte tanzen lassen können.
Mit seiner unter der Tunika sorgsam versteckten Beute suchte der junge Dieb einen Ort, an dem er unauffällig den großen Platz beobachten und dabei seine Kuchen essen konnte. "Dass du mir keine Dummheiten machst, Frischling", hatte sein älterer Bruder gesagt, bevor er mit Vater losgegangen war. Das bedeutete soviel wie: "Heb mir auf jeden Fall vom Honigkuchen auf!" Dabei hatte er unverschämt gezwinkert, der Große.
Frischling nannte er ihn, weil er – jedenfalls sagte das der Ältere – wie ein solcher quiekte, wenn er in den Schwitzkasten genommen wurde. Der rotblonde magere Junge kaute gedankenvoll, während er auf die Menge starrte. So viele Menschen hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen, und schon gar nicht so viele Krieger. Er hatte immer gedacht, dass seines Vaters Waffenkammer ein wahrer Hort an Klingen und Äxten sei, aber hier schienen alle Schwerter der Welt zusammengekommen zu sein.
Er bedauerte, dass der Große nicht hier war, denn der kannte fast jedes Wappen im Königreich. Der Junge hatte sich das immer nur schwer merken können, obwohl Vater großen Wert darauf legte, dass er sich damit auskannte. Hier gab es so viele interessante Schilde und Fahnen, mit Ungeheuern und anderen Bildern darauf. Er wünschte sich, dass er besser aufgepasst hätte. Sein Latein war gar nicht übel, meinte der Bruder, der in der Burg unterrichtete. Mit den Fortschritten im Lesen und Schreiben war man auch zufrieden. Sein Bruder war kein großer Freund der Pergamente – das verdross den Vater ein wenig.
"Es reicht nicht aus, mit dem Schwert umgehen zu können – ein Edler muss auch Wissen anhäufen, sonst ist er nichts weiter als ein Söldner, der nicht weiß, wofür er kämpft." Das gefiel dem Frischling, war er doch seinem verehrten Bruder wenigstens in dieser Sache ein wenig voraus. Der erkannte das auch neidlos an, zuckte mit den Achseln – sobald der Lord den Rücken gedreht hatte – und zwinkerte dem Frischling verwegen zu. Bei den Waffenübungen schnitt der Junge lange nicht so gut ab – er übte gewissenhaft, erst mit dem Holzschwert, und dann auch mit Eisen und mit der Lanze.
Es war so langweilig ... immer wieder die gleichen Bewegungen zu den gebrüllten Kommandos des Waffenmeisters der Burg. Drehungen und Ausfallschritte, vor mit dem Schild und die Klinge aus der Hüfte heraus oder umgekehrt ... es war so ermüdend. Der Lord sah oft mit gerunzelten Brauen zu und schüttelte seufzend den Kopf, wenn der Junge wieder einmal über seine eigenen Füße gestolpert war und somit bei einem ernsthaften Kampf ein toter Rotschopf gewesen wäre. Das schon Jahre andauernde Kampftraining – es hatte begonnen, als er zehn Jahre alt war – absolvierte Frischling mehr automatisch. Er machte immer eine recht klägliche Figur dabei, anders als der Große, der den Schwertkampf liebte und sich immer auszeichnete. Er war der geborene Krieger, denn er liebte den Kampf.
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Ein Mal, ein einziges Mal war er aber nicht der Sieger auf dem Kampfplatz gewesen. Das war noch gar nicht lange her, und dem Jungen stieg noch jetzt die Schamröte ins Gesicht, wenn er daran dachte. Einer der Söhne eines befreundeten Adligen hatte an diesem Morgen dem Training beigewohnt und den großen Bruder auf ziemlich anmaßende Weise herausgefordert. Als sie kämpften, war klar, dass Frischlings Bruder dem Großmaul weit überlegen war, aber dieser glich seine mangelnde Kraft und Geschmeidigkeit durch Tücke aus und hakte bei der ersten günstigen Gelegenheit den Fuß des Gegners vom Boden, so dass der fiel.
Dann aber, und der Frischling hatte es genau gesehen, setzte er dem Liegenden noch kräftig den Fuß in die Rippen. Was dann geschah, hätte der Junge gerne vergessen, denn plötzlich hatte er Schwert und Schild gegriffen und war den Feigling angegangen. Der war gut einen Kopf größer als er, außerdem kamen ihm seine bewaffneten Gefolgsleute zu Hilfe. Als man den Frischling wegzerrte, hatte er mit unglaublich wütenden, aber sehr präzisen Schwerthieben drei Mann in eine Ecke gedrängt und entwaffnet.
Es war, als hätte die Wut auf den unfairen Kämpfer etwas in ihm ausgelöst, denn ohne dass er auch nur einen Augenblick nachgedacht hätte, tat sein Körper genau das, was ihm in den Jahren des Drills eingetrichtert worden war. Der Junge hatte sich sehr geschämt, denn natürlich hatte es Ärger gegeben. Außerdem hatte ihm diese Wut Angst gemacht. Doch sein Bruder hatte ihn auf seine breiten Schultern gesetzt und trotz seiner gebrochenen Rippe eine Runde im Waffenhof gedreht. Und am Abend rief ihn der Lord zu sich.
Frischling war das alles sehr peinlich, aber der Vater hatte ihn nicht bestraft. "Du bist nicht schlechter als der Beste unter meinen Männern", sagte er. "Du bist ein Krieger, ob dir das nun gefällt oder nicht. Aber du brauchst einen guten Grund zum Kämpfen." Dann hatte er ihm lange in die Augen gesehen und ihn dann hinausgeschickt. Tage danach wurde hinter Frischlings Rücken noch geflüstert, aber es hörte nach einiger Zeit auf. Der Bruder war nach wie vor begeistert und gab mächtig an mit der ganzen Angelegenheit. Und trotz allem liebte Frischling ihn dafür. Natürlich ... er war ja nicht sein wirklicher Bruder, ebenso wenig wie der Lord sein leiblicher Vater war – das hatte man ihm gesagt, als er dreizehn geworden war. Aber der Lord hatte gemeint, dass dies keine Rolle spielen würde, denn durch das Versprechen, das er gegeben hatte, seien sie ebenso eng miteinander verbunden, wie es durch das Blut gewesen wäre.
Nur musste der Junge schwören, dass er das keiner Menschenseele sagen würde, bevor der Lord ihm nicht die Hintergründe, die seine Geburt und seinen wahren Vater betrafen, enthüllt habe. Frischling war einige Zeit sehr traurig gewesen, aber er gewöhnte sich an den Gedanken und verstaute ihn irgendwo in seinem Kopf – meist vergaß er es. Frischling war meist gut aufgelegt, auch wenn er wieder völlig blau gefärbte Schienbeine vom Waffenhof mit in die Halle brachte. Trotzdem hätte kein Hund behaupten können – wäre er der Sprache mächtig – dass er jemals Frischlings Fuß in der Seite gespürt hätte. So etwas kam hier und da vor, wenn einer der Männer übel gelaunt war.
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Die Kinder der Burg verfolgten den Jungen, sobald sie ihn sahen, denn er beherrschte die Kunst des Pfeifchenschnitzens ebenso, wie er spontane Spiele erfinden konnte. Das Gesinde neckte ihn deswegen recht oft, aber der Lord verlor nie ein Wort darüber, obwohl es ihm nicht entging. Der zerzauste dünne Junge war auch bei den Damen beliebt, denn sein keckes sommersprossiges Gesicht mit den verträumt wirkenden Augen war unwiderstehlich. Und natürlich nützte Frischling dies weidlich aus, vor allem in der Küche. Die Mägde und Köchinnen machten sich einen Wettbewerb daraus, ihn "ein wenig herauszufüttern", wie sie sagten.
Heute nun waren alle auf dem großen Treffen hier auf dem Feld bei dem Felsen. Frischling hatte nicht alles mitbekommen, aber er wusste, worum es ging: Es galt, durch Zauberei ein in einen Felsen gebanntes Schwert wieder herauszuziehen. Der glänzend geschliffene schwarze Block war der Anziehungspunkt für unzählige Ritter und Lords, oder solche, die sich dafür hielten – denn es hieß, dass derjenige, der es aus dem Stein ziehen könne, der neue große Drache Britanniens sein würde. Der wahre Pendragon. Derjenige, der die Stämme wieder einen würde.
Und obwohl es ein heiliger Ort war, erfüllten bittere Flüche und hochinteressante Ausdrücke die Luft. Denn viele Hundert hatten sich in den letzten drei Tagen an dem Mirakel versucht, aber alle waren gescheitert. Frischling glaubte, dass sich Vater und Bruder wohl auch der Prüfung unterziehen würden, aber sie hatten nichts dergleichen getan.
Als der Junge gerade den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, fühlte er sich am Arm gepackt. Der Lord zog ihn auf die Füße und nahm ihn – ohne ein Wort zu sagen – mit sich. Sie gingen durch die Menge bis fast zu dem Stein mit dem Schwert, und atemlos betrachtete Frischling die magisch glänzende Waffe, die tatsächlich im Stein stak, als wäre er ein Brotlaib. Ringsumher herrschte angespanntes Schweigen, bis die Stimme des Lords sich erhob. "Gibt es hier noch einen Narren, der versuchen will zu tun, was ihm nicht bestimmt ist?" Niemand antwortete ihm, aber tausend Augen ruhten auf dem Krieger, der einen hochaufgeschossenen und nicht eben sauberen Jungen am Arm führte.
Frischling fühlte sich, als wirble die Welt um ihn her wie in einem Sturm. Dann spürte er einen Stoß in seinem Rücken und hörte Sir Ectorius, seinen geliebten Ziehvater sagen: "Geh jetzt hin, Artus, und ziehe diese Klinge aus dem Stein!"
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© Textbeitrag "Tag der Wahrheit: Das Schwert aus dem Stein": Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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