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Viele Menschen haben schon mit einem wehmütigen Seufzen gesagt: "Wenn ich doch nur malen könnte." Dabei können sie es, beziehungsweise ihre Erinnerung kann es. Denn die ist ein großartiger Portraitist, Landschaftsmaler und zuweilen auch Comic-Zeichner. Unsere Sprache, die oft sehr treffend Dinge beschreibt, spricht ja nicht umsonst in Bildern. "Er schilderte den Sonnenuntergang in den glühendsten Farben", heißt es da zum Beispiel. Oder auch: "Sie zeichnete ein eher tristes Bild von den Geschehnissen."
Man kennt den Spruch vom Teufel, der an die Wand gemalt wird, und hat sich in einigen Situationen schon so einiges ausgemalt. Immer, wenn es darum geht, die Phantasie zu beschreiben, fließt das "Bildhafte" ein. Durch die eigene Sicht auf eine Situation oder auch einen Menschen sind wir in der Lage, so etwas wie ein Portrait zu schaffen – eines, das andere in gewisser Weise sehen können. Schriftsteller kennen das, sie malen Menschen und Tiere in ihrer Kopfwerkstatt in lebendigen Farben, denn schließlich sollen ihre Leser ja vor dem inneren Auge tatsächlich sehen, um was für Menschen oder auch andere Geschöpfe es da geht. Das sind oft keine tatsächlich existierenden Charaktere, aber sie sind möglich und haben irgendwo in der realen Welt ihre Entsprechung.
Aber es gibt auch Bücher, die tatsächliche Menschen beschreiben, und ihren Lebensweg vielleicht: Biographien. Hier setzt der Autor den Zeichenstift behutsam an und schafft mit der Zeit ein Bild, das dem so dargestellten Menschen so nahe wie möglich kommt – wenn auch jeder Maler sehr viel von sich in einem Bild unterbringt, ob er das nun beabsichtigt oder nicht. Wenn wir uns mit Menschen über die Vergangenheit unterhalten, dann stellen wir oft fest, dass wir ein besonderes Bild von jemandem haben – eines, das ganz aus unserer Sicht gemalt ist.
Das Gegenüber hat denselben Menschen in etwas anderen Farben wahrgenommen, oder hat sogar ein völlig konträres Bild von ihm. Es hängt in hohem Maße davon ab, wie wir zu dem Betreffenden gestanden haben. So mancher, der einen tief sitzenden Groll gegen jemanden hegt, erlebt nach langer Zeit, dass seine Freunde oder Familienangehörigen diese Person weitaus positiver in ihrem Gedächtnisskizzenbuch verewigt haben.
Bringt man die Geduld auf, darüber nachzudenken und sich um eine etwas weniger subjektive Sichtweise zu bemühen, wird man feststellen, dass allein der Abstand der Jahre das Bild anders erscheinen lässt. Vieles hatte vielleicht zu falschem Verständnis geführt – vielleicht mangelnde Erfahrung und ein Gutteil des "Nicht-Wissens". Niemals, wirklich niemals ist ein Mensch genau so, wie wir ihn wahrnehmen. Es gibt immer Faktoren, die wir nicht erkennen können oder wollen. Das gilt auch für Begebenheiten und Situationen, die ebenfalls beliebte Motive unseres internen Ateliers sind. Selten werden sie völlig neutral auf die Leinwand gebracht – wir malen sie in unseren besonderen Farben. So war ein Zwischenfall, über den wir noch Jahre danach sprechen, für die einen ein toller Spaß, über den noch heute gelacht wird – für die anderen jedoch eine durchaus peinliche Sache, die sie lange verfolgte.
Manchmal erinnern wir uns an jemanden, der in irgendeiner Weise wichtig für uns war und den man lange aus den Augen verlor. Einen Vertrauten der Kindheit vielleicht oder einen Menschen, der einen beeindruckte und den man niemals vergaß – gleich, wie viel Zeit verging. Vielleicht ist es eine gute Idee, das alte Bild vom Dachboden der Erinnerung herunterzuholen und zu entstauben – denn wenn wir uns immer wieder erinnern, war etwas daran wichtig für uns. Und außerdem kann es sehr überraschend sein, ein Bild aus einem gewissen Abstand heraus zu betrachten. Vielleicht sollte man es neu malen, aus der Erfahrung der Jahre heraus, um das sichtbar zu machen, was uns gelehrt werden sollte – in Bösem wie in Gutem.
© "Portraits und der Blick in die Vergangenheit": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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