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Manche Menschen lieben es, Häuser zu betrachten. Beim Spazierengehen kommt man immer wieder an liebgewordenen Fassaden vorbei, die man schon lange kennt. Es kann sein, dass die Anordnungen von Fenstern und Türen die Fassade wie ein Gesicht aussehen lässt. Ein Haus sieht freundlich aus, ein anderes eher abweisend, aber mit der Zeit gewinnen sie Persönlichkeit, die Häuser. Sie scheinen wie Gesichter, die man vom Sehen her schon lange kennt.
Der Wechsel der Jahreszeiten spiegelt sich in den Fenstern. Die Dekorationen wechseln, oder ein Fenster bleibt lange dunkel, bis wieder jemand dahinter Licht macht. Winzige Häuschen behaupten sich wie arme Verwandte zwischen schicken Villen in den Randbezirken, man möchte ihnen applaudieren, weil sie so tapfer sind. Wohnblocks stehen wie Felsen in der Stadtlandschaft, sie sind gewaltige Landmarken, aber sie verwehren den Blick auf das Ganze. Vertraute Gemütlichkeiten säumen die Wege, die man geht – man kennt manche gut und andere weit weniger, weil sie es nicht verstehen, sich in die Blickrichtung zu mogeln.
Dann plötzlich ein Abriss – ein Haus, das man kannte und dessen Fenster lange dunkel waren, in denen verblichene Plakate mit einer Telefonnummer und dem fettgedruckten "Zu verkaufen" hingen, hat völlig seinen Kopf verloren. Man kann in das Haus hineinsehen – es ist, als sähe man einen Grußbekannten nackt an der Straße stehen. Das Haus offenbart sein Innenleben, man möchte wegschauen und tut es doch nicht.
Ein Haus ist etwas, das durch das Leben, das es umschließt und schützt, selber zu etwas Lebendigem wird. Ein Mietshaus, ein Einfamilienhaus oder eine Villa ... sie alle haben eine Geschichte und sie strahlen etwas aus, das wie eine Art Charakter wirkt. Das Haus ist Zuflucht, ist Schutz, ist Heimat und vielleicht sogar Freund in einem.
Vielleicht sind Fotos von Naturkatastrophen oder Kriegen, die halb zusammengestürzte Häuser zeigen, deshalb so schrecklich. Fast gespaltene Häuser, mitten durch den Wohnraum ging das Verhängnis ... man sieht Möbel und Tapeten und Dinge des täglichen Lebens, die einen nichts angehen – so als wäre einem ruhig Schlafenden die Bettdecke weggezogen worden. Das Privateste, das Unantastbare wurde ohne Zögern auseinandergerissen – die Mauern, die Schutz boten, sind weg.
Häuser sind mehr als Wohnmaschinen, vor allem die, welche man wiedererkennt, weil sie etwas Besonderes haben. Vielleicht einen auffälligen Bewuchs von Efeu oder wildem Wein ... besondere Fensterläden oder sonst etwas, das sie in unsere Wahrnehmung rückt. Ob sie die Haltung ihrer Bewohner annehmen? Wer weiß, vielleicht ist das so. Es kann natürlich auch sein, dass wir etwas auf sie übertragen, einfach weil die roten Blumen in den Kästen vor den Fenstern so fröhlich aussehen oder weil das Dreirad im Vorgarten Erinnerungen weckt.
Der kleine Bauplatz mit dem Abrisshäuschen wird wohl nicht lange unbebaut bleiben. Aber ob aus dem, was dann dort stehen wird, einmal ein guter Bekannter werden kann, ist noch nicht absehbar. Mal sehen.
© Text und Fotos zu "Straßenbekanntschaften: Häuser": Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Die Abbildungen zeigen eine Katze am Fenster (oben) sowie ein zerstörtes Haus in einem kroatischen Kriegsgebiet (unten).
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