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Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder
Wir befinden uns in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts. Der Pariser Maler Jean Siméon Chardin hatte die Genremalerei aufgegeben und widmete sich seit den 1750er Jahren fast ausschließlich der Stilllebenmalerei. Die häuslichen Szenen verrieten viel über die private Umgebung des Malers; umso geheimnisvoller waren seine innehaltenden Stillleben, die nicht besonders viel über den Künstler aussagten. Und doch scheint es uns erklärlich, einige Eigenschaften des Künstlers auch hier zu entdecken.
Chardin war häuslich und er genoss die Vorzüge, die das Familien- und Eheleben mit sich brachte – das steht fest. Maurice Quentin de La Tour, ein führender Porträtmaler des Rokoko, ehrte Jean Siméon mit einem Pastellporträt. De La Tour besaß ein außergewöhnliches Talent, die persönlichen Charaktereigenschaften von Personen deutlich hervorzuheben. Das Porträt charakterisiert Chardin als einen ruhigen, ausgeglichenen, sich seiner Selbst sicheren Menschen. Persönliche Eigenschaften, die die ruhevolle Stille, Ausgewogenheit und Bescheidenheit seiner Stillleben durchaus erklären.
Das Bild "Der Korb mit Walderdbeeren" nimmt, wie viele seiner Stillleben, eine einzigartige Stellung in seinem Werk ein. Die Motivwahl des Künstlers lässt auch hier einige Möglichkeiten zu. Es ist denkbar, dass der Maler gerne und mit Bevorzugung das malte, was auf den Tisch kam, vielleicht inspirierten ihn auch seine kulinarischen Genüsse zu einem Bildmotiv. Chardin stellt einen, vor schattiger dunkler Wand, auf einer Steinplatte stehenden flachen Korb mit aufgehäuften Walderdbeeren dar. Weiterhin werden ein mit Wasser gefülltes Glas, zwei weiße Nelken als dekoratives Beiwerk, zwei Kirschen und ein Pfirsich dargestellt. Das Bild ist eine schlichte wie einzigartige Komposition und macht deutlich, dass sich der Maler an eine gewisse Bildtradition vorangegangener Werke hält, die sich vom Bildaufbau her gleichen.
Der dunkle Hintergrund, der durch die Lichtreflexe etwas erhellt wird, umschließt die Gegenstände einschließlich der Früchte und ruft eine ausgeglichene und ruhevolle Stille hervor, die sich sanft auf das Gemüt des Betrachters legt. Das Rot der Erdbeeren und die weißen Nelkenblüten erzeugen eine feinsinnige Farbtönung, die eindrucksvoll auf den dunklen Hintergrund abgestimmt ist. Der Erdbeerkorb wird als farbiges Motiv groß in Szene gesetzt: umhüllt von Lichtreflexen, soll der Effekt die Wiedergabe der perfekt dargestellten Formen dem Betrachter nicht verborgen bleiben. Chardins Kunst zielt klar darauf, dass Individuum als solches mittels eines Gegenstandes oder der einfachsten Dinge als Hauptmerkmal herauszustellen.
Gewagt? Chardin will sich dem Kunstinteressierten seiner Werke nicht verschließen, möchte sich offenbaren, inszeniert seine Kunst selbstbewusst und formiert die Gegenstände kunstvoll in der Mitte, wobei die halb über dem Steinsims liegenden Nelken ein Symbol für Schönheit und Eleganz sein könnten.
Erinnern wir uns an ein Zitat des Künstlers: "Es ist die Aufgabe der Kunst, die Formen, in denen das Leben verläuft, mit Schönheit zu verzieren." Und gerade hier erkennen wir den großen Zauberer, der sich in seinem malerischen Vortrag genauso offenbart – durch große Worte gesprochen.
Chardin reduzierte seine Darstellungen auf einfache und vor allem wenige Dinge. Er malte mit Liebe zum Objekt und verstand sich einzigartig auf die sorgfältige Ausführung der Farben und Formen. Dem begnadeten Koloristen, der sich auf die Harmonie der Farben verstand, konnte niemand zu der Zeit gleichkommen, weil die Mischverhältnisse seiner Farbenpalette zwar allgemein diskutiert, aber dennoch nur ihm eigen waren. Hier lag auch das Genie des Malers begründet, dennoch gab es entscheidende Kriterien, die zum Nachdenken anregten und Kritik zuließen. Warum verließ der Maler zum Malen nie das Haus? Seine Stillleben beinhalteten das immergleiche Thema über Häuslichkeit, Essgewohnheiten und persönliche Gegenstände. Jean Siméon fand seine Motive ausschließlich zu Hause, dennoch waren seine Möglichkeiten irgendwann erschöpft und so versackte er in ständigen Wiederholungen, indem er häufig die gleichen Gegenstände malte oder die Früchte so anordnete, wie er es zuvor schon oft getan hatte.
Kritiker warfen ihm schließlich mangelnde Bemühungen um Erweiterung seiner Themenwahl vor, doch das schien den schweigsamen Franzosen nicht sonderlich zu kümmern. Selbstbewusst und eigensinnig malte er weiterhin seine stillen Kompositionen und bewies damit auch eine gewisse Eigenständigkeit, weil er sich von der künstlerischen Norm entfernte. Der große Poet der stummen Objekte langweilt uns nicht, sondern hinterlässt aus seinem Lebenswerk feinsinnige harmonische Momente, die seine eigene Gefühlswelt auf zauberhafte Weise entschleiern.
© "Jean Siméon Chardin: Der Erdbeerkorb": Eine Kunstkritik von Anja Junghans-Demtröder. Die Abbildung zeigt das Gemälde "Der Erdbeerkorb" von Jean Simeon Chardin (1760/61), Quellen: Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, Lizenz: gemeinfrei, sowie Wikipedia, Lizenz: Public domain.
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