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Wissen Sie, eigentlich bin ich ein sehr umgänglicher Mensch. Normalerweise bringen mich ein paar schräge Typen nicht aus der Fassung – aber das hier ufert aus. Wir leben hier in einer sehr schönen Wohngegend, das ist auch der Grund, warum wir damals dieses Haus bezogen haben. Gut, es ist ein Vorort, aber man hat gute Möglichkeiten zum Einkaufen und man braucht nicht lange, um in den Betrieb zu kommen.
Meine Frau fand diese Umgebung hier gut für die Kinder, und somit war das entschieden. Bis jetzt hatte ich auch keinen Grund zur Klage, schließlich wohnen wir jetzt schon zwanzig Jahre hier. Die Kinder sind lange aus dem Haus, und ich habe die Gartenarbeit für mich entdeckt. Macht mir richtig Spaß, ein bisschen was anzupflanzen und dann zuzusehen, wie es wächst. Mein Job ist leichter geworden, seitdem ich im Innendienst bin und eigentlich eine ruhige Kugel schieben kann.
Alles wäre optimal, wären da nicht diese Typen von nebenan. Ich habe versucht, über sie wegzusehen, wirklich – aber irgendwann ist es eben zu viel. Da ist diese feiste Madam im Dirndl mit ihrem dümmlichen Grinsen – ich bitte Sie: Dirndl! Wir leben doch nicht mehr im vorigen Jahrhundert, und das Oktoberfest ist weit weg. Gartenarbeit ist auch überm Zaun ein Thema – leider. Ich bekomme mittlerweile Magenkrämpfe, wenn ich den drögen Kerl mit seiner Schubkarre voller Kram sehe, am liebsten würde ich ... aber ich nehme mich zusammen. Die Kleinen sind ebensolche schrillen Typen wie die Großen, sind tatsächlich ein Junge und ein Mädchen. Natürlich Dirndl und diese unsäglichen Hosen, die bis zur Wade reichen, und was die so auf dem Kopf tragen – meine Güte.
Meine Frau versucht immer, mich zu beruhigen – sie faselt von guter Nachbarschaft und Ruhe im Viertel und solche Sachen. Ich lege ebenfalls Wert auf so etwas, aber was zu viel ist, ist zu viel. Dauernd ist dieser Garten bevölkert, man fühlt sich wirklich richtig belästigt, wenn man mal etwas grillen oder einfach die frische Luft genießen möchte. Die Gartenmöbel stehen praktisch unnötig herum, weil ich kaum noch nach draußen will. Und das treibt mir die Galle hoch, denn die Garnitur war ziemlich teuer. "Guck doch einfach nicht hin", meint meine Frau – aber ich kann diese Gesellschaft da auf dem Nachbargrundstück nicht ignorieren.
Da sind ja nicht nur die Alten und die Kinder, da sind noch diese anderen, die man lieber nicht genau ansehen will. "Sei doch froh", sagt dann meine Frau noch, "wenigstens sind sie nicht laut." Ich frage Sie, soll ich dafür auch noch dankbar sein, dass es nur den Augen wehtut, was da so geboten ist bei denen da drüben, und nicht auch noch den Ohren? Schlimm genug, dass die bei ihren häufigen Grillsamstagen fast nur Fisch und solche Sachen auf ihren Rost packen und ich die Verandatür schließen muss, weil es sonst im Haus riecht wie auf Robinsons Insel. Also nach Fisch.
Wenn ich von der Arbeit komme, gehe ich schnurstracks zum Eingang, sehe nicht nach links und nicht nach rechts. Alle Häuser hier haben einen schmalen Vorgarten, und bei denen drüben stehen diese widerlichen Typen auch VOR dem Haus. Man fühlt sich langsam bedroht, auch wenn meine Frau meint, dass ich übertreibe. Ich sage Ihnen, mehr als einmal habe ich schon bedauert, dass wir hier in Deutschland so strenge Waffengesetze haben. Einmal habe ich sogar darüber nachgedacht, eine nette kleine Schleuder zu bauen, so wie damals, als ich noch ein kleiner Junge war. Damit kann man einiges anstellen und niemand hört einen Schuss oder so etwas.
In der Garage habe ich zwei oder drei alte Kugellager liegen, und die netten Stahlkügelchen sind eine optimale Munition – damit könnte man allerdings jemanden töten. Trotzdem wäre es schön, denen da drüben mal so richtig eins vor den Latz zu zwillen. Dürfte mich nur nicht erwischen lassen, das ist klar – wie sähe das denn aus. Meine Frau sieht mich mittlerweile komisch an, wenn ich mich beschwere – am Anfang hat sie es wahrscheinlich für eine vorübergehende Laune gehalten. Aber ich glaube fast, ich mache ihr Angst mit meiner Aversion gegen die da drüben.
Ich habe nicht all die langen Jahre geschuftet, um in meinem eigenen (schuldenfreien) Haus von so einem Verein belästigt zu werden. Da könnte ich ja genauso gut im sozialen Wohnungsbau hausen. Obwohl, dort sieht man sowas wie die da drüben sehr selten. Ich muss mir etwas einfallen lassen – so geht das nicht weiter. Ich träume schon vom Nachbarshaus und diesen widerlichen Kerlen. Aber ich werde einfach nicht richtig ernst genommen, erst heute Morgen hat meine Frau zu mir gesagt: "Dass du dich so über ein paar Gartenzwerge aufregen kannst, das ist doch nicht normal."
© "Die Fremden in Nachbars Garten": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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