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Mit dem Roman "Die Ordnung der Schmetterlinge", den wir zufällig entdeckten, gelang uns ein Griff in die Wunderkiste. Die außergewöhnliche Geschichte des Autors David Usadel um ein kleines Mädchen, das sich im Himmel glaubt, berührt die Herzen der Leser auf das Äußerste und ist spannend zugleich.
Wer in früheren Zeiten als "überempfindlich" oder "zickig" galt, war vielleicht nur ein Mensch, der intensiver wahrnahm, als die meisten anderen. Wer Kleinigkeiten praktisch sinnfüllend wahrnimmt, Geräusche sehr intensiv hört oder ein überaus detailliertes Wahrnehmungsspektrum für Menschen hat, ist in unserer heutigen Zeit allerdings auch nicht besonders begünstigt. Laut, schrill, schnell, rücksichtslos, überhastet, oberflächlich wirbelt das, was wir soziales Leben nennen, um uns herum.
Für jemanden, der fasziniert einzelne Tropfen auf ihrem Weg auf der Fensterscheibe betrachtet, während viele andere über den Regen schimpfen, scheint unsere Welt nicht geschaffen zu sein.
So ergeht es Coco, dem kleinen Mädchen in dieser unglaublich märchenhaften Geschichte. Coco ist hochsensibel, aber sie weiß nichts darüber. "Warum kannst du nicht normal sein?", brüllt ihr trunksüchtiger und abusiver Vater oft. Von der Mutter verlassen, lebt das Kind allein mit dem Vater in einer verdreckten, winzigen Wohnung. Er hält sie sich als Bedienung, die Bier und Zigaretten heranschaffen muss, weil er seine Couch kaum noch verlassen kann. Früher hat er sie auch angefasst, aber das tut er schon länger nicht mehr. Er schafft kaum noch die Treppen zu der üblen Mansarde, die er seinem Kind zumutet.
Coco kennt nur Geschrei, Schimpfworte und Schläge. Dazu kommen der Hunger und die Kälte. Böse ist Coco nicht deswegen: sie kennt nichts anderes. Freunde hat sie auch keine, denn sie sieht erbarmungswürdig in ihren Kleiderfetzen aus. Arm und sonderbar, so ist ein Kind nicht gerade anziehend für andere Kinder. Ein Mädchen teilt manchmal ihre üppigen Pausenbrote mit ihr, aber Coco lebt in einer völlig anderen Welt. Einer mit netten Eltern und Wärme, reichlichem Essen, sowie Dingen wie Urlaub oder anderen fast unglaublichen Sachen.
So lebt ein kleines Mädchen, bis diese Katze auftaucht und zu Coco ins Fenster sieht. Eine schöne Katze, die das Kind wahrzunehmen scheint. Coco ist fasziniert von diesem Tier und träumt sogar von ihm. Wie wäre es, ihr Fell anzufassen und vielleicht endlich eine Freundin zu haben?
Und so macht sich Coco auf die Suche, die sie weit fort von ihrem traurigen Zuhause führt. Angeschlagen und unterernährt wie sie ist, bricht sie zusammen und kommt an die Schwelle des Todes.
Doch dann erwacht sie im Himmel, wie Coco fast glaubt. Sie findet sich in einem sauberen und hellen Haus wieder, bekommt wunderbares Essen und trifft sehr liebe Menschen. Menschen, die sie gefunden und gepflegt haben, während sie mit dem Tod rang. Es sind Hochsensible wie sie, und endlich, endlich erfährt das Mädchen, was es mit ihrer Andersartigkeit auf sich hat.
Wird sie in diesem Paradies bleiben können, oder brauen sich dunkle Wolken zusammen? Denn es gibt ja das Jugendamt und seine Mitarbeiter, vor allem diese eine Frau, welcher der schlimme Zustand eines kleinen Mädchens nie aufgefallen war. Und die alles täte, um sich selber zu retten, wenn es zu einem Skandal kommen würde. Aber im Hier und Jetzt erlebt Coco Dinge, von denen sie früher höchstens zu träumen gewagt hatte.
"Ich bin eben hochsensibel", sagt heute so mancher, denn es gibt mittlerweile eine ganz andere Akzeptanz als früher. Das klingt interessant und erklärt Gemütsschwankungen, Zornanfälle und egoistisches Verhalten. Ein Etikett, das Rücksichtnahme fordert und widerwillige Bewunderung. Aber Launen haben damit nichts zu tun. Hochsensible machen sich meist sehr klein, suchen Gründe für das Fehlverhalten anderer bei sich selber und sind auf eine Art zurückgezogen, die nicht immer bemerkt wird. Es ist kein schickes Gewand, das einen glänzen lässt in einer Zeit, da Sensibilität nicht gerade zum Rüstzeug für die soziale Interaktion gehört.
Sobald Kinder ihre Umwelt Schritt für Schritt wahrnehmen, sind sie für alles offen. Jeder kennt das, wenn Schulkinder den Blick auf das Fenster gerichtet haben und fasziniert etwas betrachten, das nur sie in diesem Augenblick wahrnehmen. Erwachsene wissen nicht mehr, wie fürchterlich dieser kratzende Pullover das ganze Wesen verunsichern kann über Stunden. Oder wie sehr Geräusche an das Innere dringen können. Irgendwann gibt es dann Filter, die gewisse Dinge nicht mehr durchlassen. Die Blätter, die vor dem Fenster tanzen werden übersehen, kleinere Unbequemlichkeiten werden übergangen und weil man ewig "die Nase voll" hat, reagiert der Körper auch nicht mehr auf Düfte und Gerüche. Außer sie kommen geballt.
Hochsensible verfügen kaum über solche Filter, und das ist nicht unbedingt ein harmonischer Zustand, denn so wie unser Leben aufgebaut ist, ist es ständig fordernd. Kindern verzeiht man das völlige Aufgehen in Eindrücken noch, aber Erwachsene haben ständig Leistung zu erbringen und dürfen sich nicht ablenken lassen. "Hochkonzentriert" ist das, was man zu sein hat. Allerdings auf Dinge, die man sich nicht selber ausgesucht hat.
Zudem reagieren "Schmetterlinge", wie Hochsensible in der Geschichte genannt werden, sehr fein auf die Befindlichkeiten anderer Menschen. Sie nehmen sehr viel wahr und erkennen Gemütszustände sehr genau. Das belastet manchmal sehr, denn es kann zu einer Art Overload kommen, der nicht gerade angenehm ist. Schützen können sie sich, anders als andere Menschen, die sich abschotten können, kaum davor. Das wollen sie auch nicht wirklich, denn es ist auch ein Geschenk. Das Sehen und Fühlen von allem, was sich um uns herum befindet, ist immer eines. Für jeden Menschen. Wenn er es annimmt und wenn man es ihn annehmen lässt.
Die Geschichte von Coco, Zahra, Luc sowie Salome (der Katze) ist atemberaubend schön, poetisch, spannend und märchenhaft, ohne die Realität zu leugnen oder zu beschönigen. Man nimmt so vieles mit aus diesem Buch – auch Dinge, die man einst wusste, weil man sie vergessen hat. Dinge, die man in sich trug und nun geweckt werden. So als hätte uns ein Schmetterling mit den Flügeln berührt.
Das 286-seitige Taschenbuch "Die Ordnung der Schmetterlinge" wurde via BoD im Oktober 2019 veröffentlicht (ISBN 978-3749465828), wobei der Autor als Untertitel "Hochsensibilität. Ein etwas anderer Zugang" gewählt hat. Der beeindruckende Roman von David Usadel ist auch als E-Book erhältlich.
Warum David Usadel, der als ärztlicher Psychotherapeut im Ruhrgebiet arbeitet, kein Sachbuch, sondern einen Roman zum Thema "Hochsensibilität" geschrieben hat, lesen Sie in einem Interview, das buchreport.de mit dem Autor geführt hat: David Usadel: Ein ernstes Thema in Romanform.
© Die Rezension der Woche "Ein brillanter Roman mit Zugang zum Thema Hochsensibilität" schrieben Izabel Comati und Winfried Brumma (Pressenet), 10/2020.
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