|
"Die Sonne schien durch die Nabelschnüre hindurch und warf tausend lange Schatten auf das ewige Grasland. Seit ein paar Wochen waren sie dünn und ausgetrocknet, zuckten nur noch ab und zu. Als würde sterbendes Gewebe aus dem Himmel wachsen und nach der Erde greifen."
Sie sind an diesen verlassenen Ort gekommen, weil sie dachten, hier hätten sie genug, um zu überleben. In diesem Niemandsland sind sie allein. Da sind nur tausende Nabelschnüre, die aus dem Himmel wachsen und sie am Leben erhalten.
Doch die guten Zeiten sind vorbei. Die Nabelschnüre trocknen aus, geben keine Milch mehr. Seine Familie wird verhungern, das weiß er. Er muss etwas tun. Die Familie steht über allem.
Als E-Book ist die Erzählung "Nabelschnur" in den Genres Postapokalyptische Science Fiction oder Dark Fantasy zu finden. Die Seitenzahl würde ca. 54 Seiten einer Print-Ausgabe entsprechen. Als Hörbuch ist die Novelle von Devon Wolters auf Spotify oder Audible zu finden. Die New-Weird-Erzählung von Devon Wolters wurde im September 2019 veröffentlicht.
Zusätzlich im Buch enthalten ist die Geschichte "Minderwertige Genetik" von Daniel Spieker.
Ich setzte mich und die Frau wandte sich zum Waschbecken, neben dem einige schwarze Kleider lagen, die genauso aussahen, wie das, was sie trug. Sie nahm sich ein Stück Seife und fing an, eines zu waschen. "Schön, dass du da bist, wirklich schön. Erzähl, wie geht es euch da draußen? Gibt es irgendwas Neues?"
"Ach", sagte ich und winkte ab. "Uns geht's gut, wir kommen klar."
"Ah, das ist schön, freut mich zu hören. Es waren so lange keine Leute hier, da will ich natürlich nicht, dass ihr euch wieder davonmacht. Vor allem seit du mich besuchst."
Sie warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte. Es war das falsche Lächeln, das, das sie aufsetzte, um nicht unglücklich zu wirken. Sie war nicht nur froh, dass ich sie besuchen kam, sie war dankbar. Ich riss mich zusammen und lächelte zurück. Beiläufig überprüfte ich, ob das Messer noch in meiner Tasche war. War es.
"Nein, nein, da mach dir mal keine Sorgen. Wir bleiben."
Ich machte eine Pause. Wie sollte ich anfangen?
"Na ja, es ist nur ...", setzte ich an und brach ab.
Sie wrang das Kleid über dem Waschbecken aus und wartete darauf, dass ich weitersprach.
"Die Nabelschnüre gehen ein. Sie vertrocknen in den letzten Wochen immer mehr, und ..."
Sie seufzte laut und warf das Kleid in einen Korb zu ihren Füßen. Dann nahm sie sich das nächste. "Ja, ich weiß. Ich sehe ja, wie sie da draußen aussehen, ich hatte mir schon Sorgen um euch gemacht. Das tut mir leid."
"Ich frage mich nur", fuhr ich fort, und achtete ganz genau darauf, was ich sagte, "ob es ..." Ich stockte und setzte mich nochmal auf. Wenn ich so zaghaft war, wie sonst auch, würde ich wieder mit leeren Händen nach Hause kommen. "Wir müssen uns nichts vormachen. Wir beide wissen, dass du ..."
Sie hielt in der Bewegung inne. Ahnte sie etwas?
Meine Hand lag auf der Hosentasche, in der sich das Messer befand. Nur für den Notfall, nur für den Notfall. Wer wusste schon, wie sie reagierte, wenn sie rausbekam, was ich vorhatte? Was würde sie wohl mit mir tun?
"Dass ich und diese Dinger irgendwie zusammengehören? Wolltest du das sagen?"
Ich schluckte. Sie klang nicht mehr ansatzweise so herzlich wie zuvor. Zwar auch nicht wütend oder bösartig – aber kalt.
"Ja. Wenn ich dir damit nicht zu nahe trete. Wir haben nie wirklich darüber geredet, aber – "
"Nein", sagte sie und begann wieder, ihr Kleid zu waschen. "Nein, ist schon gut, sprich weiter."
"Ich fragte mich nur ..." Ich wusste, dass ich jetzt ein gefährliches Terrain betrat. "Ich fragte mich nur ... Früher war alles gut. Aber jetzt scheinen sie ... zu sterben. Wir hungern. Hängt das vielleicht irgendwie damit zusammen, dass du ... dass du unglücklich bist?"
Sie schwieg und wrang das Kleid aus. Dann warf sie es zu dem anderen in den Korb und nahm sich das nächste vor. "Unglücklich", murmelte sie. "Soso, bin ich das." Kurz dachte sie nach.
"Vielleicht hast du recht", sagte sie dann. "Vielleicht tut es das." Noch immer klang sie kühl, als würde sie am liebsten das Thema wechseln.
Auch wenn es mir unangenehm war, sprach ich weiter. "Seit ich dich besuche, sehe ich, dass es dir nicht wirklich ... gut geht. Was ist los?"
Sie schnaubte einmal und murmelte: "Was los ist, fragt er ..." Kurz schwieg sie wieder und erhob dann die Stimme. "Weißt du, das Leben hier ist nicht so einfach."
"Also für mich sieht es aus, als hättest du es hier ziemlich gut."
"Jaja, natürlich, ich weiß. Es ist nur ... Es ist eine lange Geschichte."
"Erzähl sie mir."
Sie hielt in der Bewegung inne.
"Nein", sagte sie dann leise.
Ich schluckte. Ich konnte nicht so zaghaft wie sonst vorgehen, aber ich durfte auch nicht zu hartnäckig sein.
"Es ist wirklich keine schöne Geschichte", sagte sie. ...
© Dem Autor Devon Wolters danken wir herzlich für die Texte aus seiner New-Weird-Erzählung "Nabelschnur" und für die Abbildung des Buchcovers, 11/2020.
Archive:
Jahrgänge:
2023 |
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Buch-Rezensionen |
Ratgeber |
Sagen & Legenden |
Fantasy Mythologie |
IT & Technik |
Krimi Thriller |
Fachartikel & Essays |
Jugend- & Kinderbücher |
Bedeutung der Tarotkarten |
Bedeutung der Krafttiere
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed