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Es war dunkel geworden und die Raben hatten das Schlachtfeld schon wieder verlassen, mit schweren Flügelschlägen und vollgefressen. Die anderen, die menschlichen Aasjäger, waren eben dabei, nach Wertvollem zu suchen. Und wertvoll war für sie alles, jedes gute Stück Leder sowie alles, was aus Metall war oder gewebt. Sie kamen in Schwärmen, ebenso wie die gefiederten Raben, aber sie zankten sich nicht bei ihrer düsteren Arbeit.
Magere Weiber, die in zerlumpte Umhänge gehüllt waren, schlichen schnell von Körper zu Körper und nahmen Kleidungsstücke und kleine Gegenstände wie Schmuckstücke oder Umhangnadeln an sich. Ihnen folgten die Männer, die Waffen und Rüstungsteile wegschafften. Diejenigen, denen der erste Bartflaum das Gesicht veränderte, sammelten Stiefel und Sandalen. Es war durchaus kein zielloses Plündern – jeder wusste, was er zu tun hatte und was er nehmen durfte.
Einige Männer gingen mit Fackeln über das Feld und zischten leise Befehle, schickten Sammler hierhin oder dahin und gaben Acht, dass die wertvollen Waffen und andere metallenen Teile auf den Haufen am Waldrand abgelegt wurden. Nicht, dass sie besser aussahen als die abgerissenen Weiber und Kinder, nur war ihre Stellung eine höhere, weil sie die Gassen kannten in den größeren Ansiedlungen im Umland, in denen niemand genau fragte, wer die Ware brachte und denen das Blut darauf nichts ausmachte.
Kein ehrlicher Händler würde sie auch nur über die Schwelle lassen – sie waren auf die gewissen Viertel angewiesen, in denen man die Abnehmer in unangenehmen Hinterzimmern traf. Was sie dafür bekamen, war ein winziger Teil des wirklichen Wertes, gleich um welche Ware es sich handelte. Es hatte keinen Sinn, mehr zu verlangen, denn es gab keine anderen Abnehmer, aber dafür viele Raben in diesem von Kriegen erschütterten Land.
Mit bedächtiger Langsamkeit bewegte sich eine dünne Gestalt zwischen den Leichen hindurch, mit flinken Augen umhersehend und eifrig Dinge aufsammelnd. Im Mondlicht war unter dem zerschlissenen Kopftuch ein schmales, bleiches und ziemlich schmutziges Gesicht zu erkennen. Das Mädchen mochte vielleicht zwölf oder dreizehn Sommer gesehen haben, aber wahrscheinlich war es älter und nur zu dünn und klein für seine Jahre, wie alle Kinder, die mit den Raben zogen. Die gezischten Befehle der Fackelträger trieben zur Eile, und so raffte das Kind die kleinen Gegenstände noch schneller in den Sack.
Doch als es sich gerade nach einem vielversprechenden kleinen Lederbeutel bückte, verharrte es mitten in der Bewegung, denn die Gestalt auf der Erde hatte sich bewegt. Das Mädchen verstand die mit großer Mühe hervorgepressten Laute nicht, aber sie hörte, dass es eine Frauenstimme war. Eigentlich hätte sie einen der Männer rufen müssen, damit der tat, was die Schwerter beim Kampf versäumt hatten, aber etwas hinderte sie daran. Neugierig schlich sie nahe an die Verletzte heran und sah ihr in das Gesicht. Die Frau trug einen fremdartigen Helm, einen von der Sorte, die dem Mädchen schon einige Male aufgefallen waren bei den Gefallenen. "Söldner" hatte einer der Anführer einmal gesagt und ausgespuckt.
Sie war sehr schwer verletzt – eine Brustwunde, die immer noch blutete. Der Kriegerin konnte nicht mehr geholfen werden, das erkannte das Kind, denn es hatte schon viele sterben sehen. Die Frau schlug plötzlich die Augen auf, große Augen von dunkler Farbe, die im Mondlicht nicht zu erkennen war, und heftete ihren Blick auf das Mädchen. Etwas wie Verstehen trat in die Augen der Verletzten, dann versuchte sie etwas zu sagen, wobei Blut über ihre Lippen floss und als Rinnsal ihre Wange hinunterlief. Sie versuchte den Kopf zu heben, aber dafür war sie zu schwach. Es war fast ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebte, die fremde Kriegerin.
Das Mädchen war eigentümlich berührt und fühlte so etwas wie eine Scheu gegenüber der Frau, die da im Sterben lag, obwohl es nichts Fremdes für sie war. Ohne auch nur zusammenzuzucken, hatte sie schon oft nach einem der Männer gerufen, die dann getan hatten, was sie immer taten, wenn einer noch am Leben war. Aber sie hatte noch niemals in die Augen der Sterbenden gesehen, nie hatte sie so etwas wie einen Menschen gespürt dabei. Und jetzt fühlte sie die kraftlose Hand der Kriegerin, die an ihrem Umhang zupfte und noch weitere leise fremde Worte hauchte, die jedes Mal von einem kleinen Blutstrom begleitet wurden.
Und da wurde es ein wenig heller, der Mond, der zum Teil von Wolken verborgen gewesen war, schien nun ungehindert auf das Schlachtfeld, und das Mädchen sah etwas aufblitzen wie von Metall. Es war ein Schwert, das neben der Sterbenden gelegen hatte, halb von deren Mantel verborgen. Eine wunderbare Klinge, das erkannte das Kind auf den ersten Blick. Solche Schwerter fand man selten, solche mit langen und verzierten Klingen und am Griff mit Zeichen geschmückt, die eingraviert waren. Wiederum hätte sie einen der Männer rufen müssen und den Fund melden, aber wieder tat sie es nicht. Denn die Kriegerin tastete mit der anderen, vom Blut fast schwarzen Hand mühsam über die Erde ... dabei murmelnd und keuchend.
Ohne dass das Mädchen wusste warum, nahm sie vorsichtig das Schwert und legte den Griff in die Hand der Frau. Deren Augen weiteten sich einen Moment und schlossen sich dann, ein Lächeln entkrampfte ihren schmerzverzerrten Mund, der noch ein einziges Wort flüsterte. Die Hand der Leidenden drückte für einen winzigen Moment schwach die Hand des Mädchens, dann versiegte der Atem und der Kopf der Sterbenden rollte zur Seite, dann war Stille.
"Mach los, wir brechen auf. Hast du noch etwas gefunden oder warum hockst du da herum?" Die raue Stimme des Mannes schreckte sie auf, aber sie antwortete mit ruhiger Stimme: "Nichts mehr, ich komme." Dann bog sie mit raschen Griffen die Finger beider Hände der Gefallenen um den Schwertgriff und zog dann den Mantel so zurecht, dass die Klinge verborgen wurde. Das geschah eben rechtzeitig, denn der Mann mit der Fackel schritt an ihr vorbei und schnauzte über die Schulter: "Es dämmert schon, wir gehen. Nimm die Beine in die Hand."
Mit so viel zusammengeschnürten Bündeln beladen, dass man die Gestalt kaum noch erkennen konnte, schritt sie mit den anderen Frauen, Halbwüchsigen und Kindern mühsam durch den langsam aufkommenden Morgen. Einen Teil der Beute hatte man sorgsam versteckt, aber das meiste schleppten die Raben fort in ihre elenden Zelte. Dort würde man die Beute verteilen und zum Weitergeben an die Händler fertigmachen. Und dann weiterziehen zur nächsten Schlacht.
Aber vielleicht würde es einen Raben weniger geben bei diesem Schwarm, denn das waren die Gedanken des Mädchens, als sie unter ihrer Last einen letzten Blick zurück auf das Leichenfeld warf.
© Textbeitrag "Rabenzeit: Die Kriegerin auf dem Schlachtfeld": Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Rabenvogel, CC0 (Public Domain Lizenz).
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