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Der junge, talentierte Autor Patrick Wunsch, der nach eigenen Angaben "Gegenwartsliteratur zwischen Poesie und Provokation" schreibt, legte Anfang 2020 mit "Zeichen von Herbst" seinen ersten Roman vor. Sein beeindruckendes Debütwerk sammelte schon kurz nach Veröffentlichung ausnahmslos positive Kritiken, so wird der Roman als "bildgewaltiges Werk" bezeichnet, das "kontroverse Themen auf eine tiefsinnige und philosophische Art und Weise" behandelt.
Patrick Wunsch hat mit "Zeichen von Herbst" ein beachtenswertes Stück Literatur verfasst, das dem lesenden Publikum viel Denkstoff liefert: Die Handlung dreht sich um eine Gruppe von Künstlern und Kunstinteressierten, die sich im herbstlichen September halb geplant, halb zufällig in einem abgeschiedenen Anwesen wiederfindet, um ein Leben voll Wonne und künstlerischer Inspiration zu führen. Für die einen ist es eine verzweifelte Flucht, für die anderen nicht viel mehr als ein interessantes Experiment. Für alle jedoch ist es die Gelegenheit, etwas Entscheidendes zu lernen: Warum das Elysium der Tod des Künstlers ist und warum man am besten mit einem Bein in Glück und Ordnung und mit dem anderen in Passion und Chaos stehen bleibt.
Unser Buchtipp: "Zeichen von Herbst" umfasst rund 410 Seiten und wurde via tredition im Januar 2020 als gebundene Ausgabe, Taschenbuch sowie als E-Book veröffentlicht.
Die Bühne war riesig, groß genug für ein Orchester, mit einer beträchtlichen freien Fläche davor, und wenngleich drei Sitzreihen auf jeder Seite beinahe lächerlich wirkten, boten sie mehr Platz, als Fleur es für notwendig hielt: Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Richard plante, Konzertgäste ins Palais einzuladen.
Stellte sich Richard vor, dass Lielle eines Tages ein Konzert spielen würden vor Kaori, Aske und Emilia – und mit ihm hinter dem Schlagzeug?
Bestand nicht, so überlegte Fleur weiter, die Möglichkeit, dass sich unter den Maiden die eine oder andere talentierte Instrumentalistin befand, die ihr Können eines Abends zur Schau stellen sollte? Am Flügel oder an der Harfe konnte man sich die Mädchen gut vorstellen. An der Geige oder am Cello.
Vielleicht aber hatte Richard den Konzertsaal schlicht der Vollständigkeit halber dem Konzept hinzugefügt, mit nicht mehr als einer Ahnung, wie er genutzt werden mochte. Nicht undenkbar, dass es der sture Perfektionist war, nicht der Maestro, der sich zu dieser Narretei hatte hinreißen lassen, und dass es an den Musikern selbst war, dem Saal eine Funktion zu verleihen. Oder existierte der Saal zu Richards eigenem Nutzen, der Saal und das Schlagzeug darin, eine beeindruckende Gerätschaft auf einem stabilen Rack, mit Kesselholz von mattem Anthrazit, schwarzen Fellen, die wie Spiegel glänzten, und einer umfangreichen Ausstattung silberfarbener Becken?
Fleur unterließ eine Nachfrage, und Richard äußerte sich nicht von sich aus zum Zweck des Saals. Er stand da und wartete ab, bis sich alle zur Genüge umgesehen hatten. Dann nickte er zur Tür hinüber. "Auf in den nächsten Raum."
Als sie das Atelier betraten, das im Ostflügel des Erdgeschosses lag, fand sich Fleur von einem mulmigen Gefühl ergriffen. Ateliers waren ihre Welt; natürlich hatten die anderen jedes Recht, sich hier aufzuhalten, die Gemälde zu betrachten, die man hergebracht hatte, über die unfertigen sowie die fertigen zu diskutieren, doch verspürte Fleur, während Richard die Räumlichkeiten erklärte und die Aufmerksamkeit auf das eine oder andere Werk lenkte, die Anspannung einer Kriegerin, bereit, vor jeglicher Kritik zu verteidigen, was ihr teuer war.
"Mir gefällt dieses hier", sagte Aske, als sie vor Die Schwäne im Moor trat. "Es ist von einer Art traurigen Eleganz. Von einer Art zynischen Inspiration. Es erfüllt einen ohne bestimmten Grund mit kühlem Zorn und dem Drang, etwas Unerhörtes zu tun. Die Symbolik ist vage, doch ich glaube, genau zu wissen, was dieses Gemälde zum Ausdruck bringen soll. Ich kann sie nicht in Worte fassen, aber ich erkenne sie klar im Herzen, die Konturen der Bedeutung. Wie schwarze Pinselstriche auf einem Spritzer Aquarell. – Es kommt mir allerdings irgendwie bekannt vor." Sie legte den Finger an die Lippe, kniff die Augen leicht zusammen.
"Die Metapher habe ich gestohlen", räumte Fleur ein. "Weißt du, sie schrie einfach danach, gemalt zu werden."
Aske schüttelte den Kopf, lächelnd. "Aber nein", sagte sie. "Du hast sie keineswegs gestohlen, denn sie ist nicht fort. Im Gegenteil: Es gibt sie jetzt ein weiteres Mal. Man sollte bei der Weiterverwendung fremder Ideen nicht länger von Diebstahl sprechen; das hält die Menschheit auf."
"Ziemlich weise Worte", sagte Fleur. Ein kluges Köpfchen. "Du hast recht: Eigentlich habe ich die Metapher vermehrt."
Richard amüsierte der Gedanke offensichtlich. "Und mit dieser", sagte er heiter, "einfachen Lösung eines Jahrtausende alten Problems: Auf in den nächsten Raum."
Gegenüber befanden sich die sogenannten Arkaden. Die geschlossenen Vorhänge, die spärliche Beleuchtung, dick gepolsterte Sessel mit Bezügen aus Stoff und Sitzkissen, in denen mehrere Personen Platz fanden, Zimmerpflanzen in großen Töpfen sowie der ausgeblichene, staubige Teppich verliehen dem Raum das gemütliche, schummrige Flair eines Kellerraums im Haus der Großeltern. Fleur erinnerte sich deutlich an einen solchen Raum. Es weckte ein Gefühl von Heimlichkeit und Entdeckungslust in ihr.
"Es sind natürlich keine Arkaden im ursprünglichen Sinne des Begriffs", sagte Richard. "Die Bezeichnung schien mir in gewisser Hinsicht dennoch nicht unpassend. Ich gebe zu, nie selbst in einer Spielhalle gewesen zu sein, doch ich hoffe, die Atmosphäre wurde in zufriedenstellendem Maße eingefangen."
Und das war sie, so weit Fleur darüber urteilen konnte, zumindest betrat man eine andere Welt, eine Welt aus Düsternis und Plastik und bunten Lichtern: Spielautomaten reihten sich an den Wänden, die wiederum an den freien Stellen über und über mit Postern beklebt waren, überall verteilt gab es Spielekonsolen, uralte und brandneue, und in den Regalen stapelten sich die Spiele in Pappverpackungen und Plastikhüllen. Entlang der Wände standen tiefe Tische aus Kunststoff und Aluminium, mit Flachbildschirmen sowie einer Auswahl an Peripherie darauf und dem kobaltblauen Flackern der Computergehäuse darunter.
In der Ecke entdeckte Fleur einen Kühlschrank, in dem sich, wie sie vermutete, überwiegend Cola und Limonade befanden. Auf dem Holztisch, um den herum die Sitzgelegenheiten arrangiert waren, lagen Magazine verstreut, die sich im Übrigen, wie Fleur bei näherem Hinsehen feststellte, nicht ausschließlich mit Computer- und Videospielen beschäftigten. Kaori trat in die Mitte des Raums und sah sich um. Das Glitzern in ihren Augen war weit mehr als die Reflexion der farbenfrohen Leuchtdioden; Glückseligkeit in dieser Reinheit zu sehen, ließ auch Fleur nicht ungerührt.
"Offenbar hat es jemandes Geschmack getroffen", sagte Richard mit einem Lächeln. "Du wirst schon bald die Gelegenheit bekommen, die Gerätschaften und Spiele in aller Ruhe unter die Lupe zu nehmen, Kaori. Doch lasst uns zunächst in den Salon zurückkehren, einverstanden?"
"Okay", murmelte Kaori, ohne es zu meinen. Erst als Aske am Saum des Kleides zog, fand sie zu sich, als erwachte sie aus einem entzückenden Traum, die Erinnerung daran noch für einen Moment auf dem Gesicht.
"Ihr habt also gesehen", sagte Richard, während die Gruppe die Treppe zum Salon hinaufstieg, "wie vielfältig ihr hier speisen werdet, wie ihr das Bedürfnis nach Reinlichkeit und Entspannung in einer Atmosphäre befriedigen werdet, die ihresgleichen sucht, und welche Möglichkeiten der künstlerischen Betätigung das Palais zu bieten hat, ob als Schöpfer oder Genießer."
"Es geht bei diesem Projekt um die Essenz des menschlichen Lebens", übernahm Miro die Rede, "das heißt: All das Schöne, das der kultivierte Mensch auf dieser Welt finden kann, ohne den Ballast von Anstrengung und Unmut und Pein. Ohne die Sequenzen zweifelhafter Erlebenswürdigkeit zwischen den Momenten der Wonne."
Richard nickte ihm zu. "Das Konzept", schloss er, "ist lange durchdacht; es wurde in aller Sorgfalt geplant. Sollte es euch dennoch an irgendetwas mangeln, so zögert nicht, an mich heranzutreten. Es gibt einige leere Räume, die nur darauf warten, in den Dienst eines hohen Zwecks zu treten." ...
Leseempfehlung: "Zeichen von Herbst" ist ein philosophisch, poetischer Künstler- und Dekadenzroman über die Vergänglichkeit des Schönen und die Schönheit der Vergänglichkeit.
© "Literatur, die dem lesenden Publikum viel Denkstoff liefert". Dem Autor Patrick Wunsch danken wir herzlich für die Leseprobe aus "Zeichen von Herbst" und die Abbildung des Buchcovers, 03/2020. Stimmen zum Buch sowie Informationen zum Autor und seinen Büchern finden Sie auf seiner Webpräsenz.
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