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Als die 91-jährige Josefine erfährt, dass die Ärzte nichts mehr für sie tun können, ist ihr das recht. Jahrelange Pflegebedürftigkeit hat die einst so tatkräftige Frau an ihre Grenzen gebracht. Überraschend einverstanden und zufrieden schließt sie ihr Leben ab, begleitet von Familie und Freunden.
Ihre Tochter Marianne beschreibt diese letzte Phase mit Humor, viel Liebe und einem zärtlichen, aber auch kritischen Blick auf den gemeinsamen Lebensweg und die nicht immer nur einfache Mutter-Tochter-Beziehung. Und stellt dabei fest: Bis zuletzt ist noch so viel Heilung möglich. Am Ende ist es ein gnädiges, versöhntes Sterben für "Fine", und auch Marianne geht gestärkt aus dieser Erfahrung hervor.
Entstanden ist sehr persönlicher Ratgeber, changierend zwischen Biografie und Sachbuch, gut zu lesen und informativ für alle, die sich für die Themen Palliativversorgung, Sterbeprozess, Bestattung und Trauer interessieren, selbst betroffen sind oder einfach gerne gut gerüstet sein wollen. Die studierte Psychologin Marianne Nolde hat den Mut, für Humor auch am Sterbebett zu plädieren und positive Gefühle neben aller Trauer zuzulassen.
"Elf Tage und ein Jahr" ist ein hoffnungsvolles, ein tröstliches Buch – selbst wenn der Sterbeprozess nicht bei jedem so positiv und ruhig ablaufen kann wie bei Marianne und ihrer Mutter.
Unser Lesetipp: (Werbung) Unter dem Titel "Elf Tage und ein Jahr: Über das Abschiednehmen von meiner Mutter" wurde der biografische Ratgeber von Marianne Nolde im März 2022 im pinguletta Verlag veröffentlicht. Die Taschenbuch-Ausgabe umfasst 232 Seiten (ISBN 978-3948063252). Unter den Genres Erinnerungen, Beziehungen, Tod und Trauer sowie Frauenliteratur ist auch ein E-Book im Handel erhältlich.
Im Altenheim übergab mir eine Pflegerin, die nicht allzu besorgt aussah, die schon fertig gepackte Tasche, die ihre besten Zeiten hinter sich hatte und deren Reißverschluss sich nur noch mittels einer Sicherheitsnadel betätigen ließ. Ein typisches Provisorium meiner Mutter, die sich weigerte, Dinge nur wegen kleiner Schönheitsfehler zu entsorgen. Mittlerweile platzte der zugezogene Reißverschluss stellenweise auf, und ganz sauber war das gute Stück auch nicht mehr, der Farbton der Tasche war früher definitiv mal anders. Da war ich mir sicher, schließlich war ich oft genug mit ihrer Krankenhaustasche hinter einem Notarztwagen her ins Krankenhaus gefahren. Ob ich ihr nicht doch mal eine neue kaufen sollte, auch wenn sie selbst das unnötig fand?
Mit der ramponierten Tasche in der Hand ging ich auf das Krankenhaus zu, das mir von vielen Besuchen bei meiner Mutter vertraut war.
Am Eingang traf ich auf eine alte Bekannte, die mir erzählte, dass sie vor wenigen Tagen auf der Beerdigung von einem meiner Cousins aus der väterlichen Familie gewesen sei.
Ich habe immer bedauert, dass die Familien sich aus den Augen verloren haben, ich wusste nie, warum. Aus meiner Kindheit habe ich schöne Erinnerungen an meine deutlich älteren Cousins und Cousinen, und der Verstorbene hatte zeitweilig im Elternhaus meines Vaters gelebt, das mir aus Kindertagen noch vertraut war. Nun stand ich hier vor dem Krankenhaus, auf dem Weg zu meiner Mutter, und erfuhr ein paar Neuigkeiten aus der Familie meines schon lange verstorbenen Vaters.
In dem verschachtelten Gebäude fand ich mich routiniert zurecht und betrat das Dreibettzimmer, in dem meine Mutter am Fenster lag.
Ich sah sofort, dass diesmal etwas anders war. Schon oft hatte ich sie hier besucht, und schon oft hatte man nicht gewusst, ob es etwas Schwerwiegendes war. Diesmal genügte ein Blick, um das zu wissen.
Das war nicht meine Mutter, wie ich sie kannte. Irgendetwas war geschehen. Ein Schlauch hing aus ihrer Nase, den Blasenkatheter hatte sie vorher schon gehabt. Mit schwacher Stimme fragte sie nach einer Brechschale, ihr war anscheinend übel, eine Schale aber nicht zu finden.
Ich suchte eine Schwester, die mir erklärte, dass meine Mutter keine Brechschale brauche, weil ihr eine Magensonde gelegt worden sei.
"Die Übelkeit wird gleich weg sein. Aber die Ärzte wollen Sie dringend sprechen."
Das hatte ich mir schon gedacht.
"Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ein Arzt da ist."
Ich ging zurück zu meiner Mutter, setzte mich neben sie und versuchte, sie zu beruhigen, dass sie die Brechschale wirklich nicht brauchen werde. Entweder glaubte sie mir oder war zu entkräftet, um zu widersprechen. Das übliche Lächeln, das sie in jeder Lage noch schaffte, wenn ich kam, blieb diesmal aus. Sie war offensichtlich zu sehr mit dem Überleben beschäftigt. ...
Von Marianne Nolde ist weiterhin erschienen: (Werbung) "Eltern bleiben nach der Trennung" (Knaur Verlag, April 2020, 192 Seiten, ISBN 978-3426214732), ein Ratgeber Lebensführung sowie Scheidung und Trennung.
Seit einem halben Jahr war kein Besuch bei ihr vergangen, ohne dass sie mir gesagt hatte, dass sie endlich umziehen wolle, nach oben.
Ich erinnere mich noch an das verblüffte Gesicht einer Besucherin, die diesen Wunsch mithörte und nicht recht verstehen konnte, warum meine Mutter ihr schönes Parkzimmer im Erdgeschoss aufgeben wollte, um auf eine andere Etage zu wechseln. Meine Mutter wollte aber noch deutlich höher hinaus als nur ins Obergeschoss. Immer wieder gab sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass man ihr die Tür da oben endlich aufmachen werde. Sie wolle jetzt auch mal ihre Schwestern wiedersehen, die sie als Älteste alle überlebt hatte. Mit ihren Schwestern hatte sie sich immer eng verbunden gefühlt, und entsprechend vermisste sie sie sehr. Anscheinend hätten die aber noch keinen Platz für sie da oben, stellte meine Mutter immer wieder mit Bedauern fest. Dankbar nahm sie mein Angebot an, in der Marienkapelle bei uns im Ort eine Kerze für ihr Anliegen anzuzünden. Als glühende Marienverehrerin schien ihr das die bestmögliche Fürsprecherin zu sein.
Solange sie noch irgendetwas Nützliches hatte tun können – mit neunzig strickte sie noch Babysöckchen – war meine Mutter mit ihrem Überleben einverstanden, auch wenn sie sich von ihrem Wunsch hatte verabschieden müssen, ohne vorherigen Pflegebedarf einfach zu sterben. Nichtstun war noch nie ihre Sache gewesen. Ich kenne kaum jemanden, der so unfähig zum Nichtstun ist, wie sie es war. Gar nichts mehr tun zu können, darin sah sie so wenig Sinn, dass sie ihren endgültigen Umzug jetzt ernsthaft ins Auge fasste. Aber bei jedem Besuch kamen wir überein, dass das nicht in ihrer Hand liege und sie sich weiter gedulden müsse. Seufzend nahm sie ihr Schicksal an, da konnte man wohl nichts machen. Sie ging dann meistens dazu über, sich nach Neuigkeiten aus meinem Leben und dem ihres Schwiegersohns und ihrer Enkel zu erkundigen.
Der Tod war bei unseren Gesprächen als erwarteter und von ihr eingeladener Gast in den letzten Monaten regelmäßig dabei, hielt sich aber dezent im Hintergrund. Als sie das Thema immer beharrlicher anschnitt, fasste ich mir schließlich ein Herz und besprach mit ihr ihre Wünsche für die Beerdigung.
Meine Mutter war so erleichtert. Anscheinend hatte sie das Thema nicht von sich aus ansprechen wollen, aber nun war sie wirklich froh. Endlich gab es wieder etwas Sinnvolles und Schönes zu planen. Das Gesprächsthema sagte ihr zu.
Mit Erstaunen erfuhr ich, dass meine sonst so traditionelle Mutter ziemlich flexibel war, was die Modalitäten ihrer Bestattung anging. Ausgesprochen entspannt, manchmal geradezu vergnügt, erklärte sie mir mehrmals, das sei ihr von Herzen egal, wie ich dieses oder jenes regeln würde. Das sei ganz mir überlassen. Aber sie fand doch schön, dass ich auf jeden Fall alle Cousinen und Cousins aus der großen mütterlichen Familie einladen wollte. Sie freute sich darüber, an wen ich selbst alles schon gedacht hatte. Aber bei einigen davon befand sie, dass das jetzt wirklich zu weit ginge. Das sollte ich nicht machen. Meine Mutter blühte noch ein weiteres Mal auf. Sie widmete sich voller Vorfreude der Planung ihrer letzten Reise. ...
Hinweis: Lesen Sie zu den Themen Nahtoderfahrung, Nahtodforschung sowie Sterbebettvisionen auch diesen Beitrag: "Die Kunst des Sterbens", eine Buchbesprechung zum Sachbuch der Autoren Dr. Peter und Elizabeth Fenwick (Westarp Science Fachverlag, Februar 2021, 336 Seiten, ISBN 978-3866171848).
© Textauszüge zur Buchvorstellung "Elf Tage und ein Jahr: Über das Abschiednehmen von meiner Mutter" sowie Abbildung des Buchcovers mit freundlicher Genehmigung des pinguletta Verlages, 03/2022.
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