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Also klar, wegen der da haben ehrliche Männer zehn Jahre lang an der Front gekämpft, oder? Die schöne Helena hat einem Königssohn dermaßen den Kopf verdreht, dass der sie entführt und mit nach Hause genommen hat. Ihr Gatte – ja genau, verheiratet war sie schließlich auch – konnte das nicht auf sich sitzenlassen und schwor blutige Rache. Und da der Vater der Schönen vor langer Zeit alle Bewerber um ihre Hand schwören ließ, dass es keinen Zoff geben würde, wen sie auch wählen sollte, und die leer ausgehenden Freier zur Kumpanei mit ihrem Erwählten verpflichtete, war alsbald eine riesige Flotte unterwegs.
Man stelle sich das einmal vor: hunderte von Schiffen, vollgestopft mit kriegslüsternen Männern schippern nach Troja, der Stadt des Priamos. Der nämlich war zu dieser Zeit König dort und Paris war derjenige welcher.
Die antiken Leute um Kleinasien herum hatten sonderbare Angewohnheiten. So war es gekommen, dass die Griechen – wie immer sie das auch fertiggebracht haben sollen – die Schwester des Königs raubten. Diese sollte einen Griechenfürsten heiraten, um somit als Geisel zu dienen für das Wohlverhalten Priamos. Der nämlich hatte den Verstand besessen, sein Königreich direkt an einer viel befahrenen Meerenge zu platzieren, was sich als sehr lukrativ erwies. Knapp gesagt – er kontrollierte die Schifffahrt und verdiente sich eine goldene Nase dabei. Da schadete es nicht, so dachte man bei den Griechen, sich mit ihm zu verschwägern – ob ihm das nun gefiel oder nicht.
Es fielen also todesmutige griechische Kämpfer im trojanischen Hafen ein, wetzten die auf Terrassen angelegte Stadt hinauf bis zum Königsplatz. Wieso das keiner Wache auffiel, ist nicht überliefert worden. Die Kerle, die üblicherweise vor den Palasttoren standen, waren wohl gerade eine Pinkelpause machen, denn die Entführer kamen ohne Zwischenfälle bis zu den Frauengemächern, wo sie die Schöne aufklaubten und mit ihr zum Hafen und auf ihr Schiff durchkamen. Na gut, es war vielleicht ein heißer Tag gewesen und alle Trojaner ein wenig träge.
Das vergaß der König nie, und so schickte er seinen wiedergefundenen Sohn Paris aus, mit den Griechen über eine Rückgabe der Geraubten zu verhandeln. Wahrscheinlich wollte er das Selbstbewusstsein des Jungen stärken, denn eigentlich hatte der als Baby ausgesetzt werden sollen. Die Mama hatte einen sonderbaren Traum gehabt und danach die fixe Idee gestaltet, dass dieses Kind einmal Troja zerstören würde. Zu der Zeit gab man noch viel auf solche Träume, und so ging man auf Nummer sicher und entledigte sich des Kindes auf die damals allgemein übliche Art. Der Hirte, der die Drecksarbeit machen sollte, kriegte es allerdings nicht hin und zog den Jungen groß – er war wohl ein netter Kerl. Später, nach einem seifenopertauglichen Drama wurde der bis dahin ahnungslose Paris von seiner Familie anerkannt und willkommen geheißen.
Also fuhr er los und kam zu König Menelaos. Dessen Frau sah überwältigend gut aus, und da Paris bei einem etwas seltsamen Wettbewerb, bei dem er eigentlich der Schiedsrichter war, die schönste Frau der Welt gewonnen hatte, nahm er sie gleich mit. Und er nahm sich nicht einmal die Zeit, sie einpacken zu lassen. Dass der trojanische Königssohn mit seiner schönen Beute dann auch gleich ohne nennenswerte Verluste sein Schiff besteigen und Segel setzen konnte, muss nicht erwähnt werden. Vielleicht hatte er auch einen sehr heißen Tag erwischt.
Es heißt, Helena habe sich verliebt in Paris und ihn ermutigt. Wieso sie die Gelegenheit dazu haben sollte, ist nicht so leicht nachzuvollziehen, denn die antiken Griechen hielten ihre Frauen eher unter Verschluss. Weiber hatten den Herd zu hüten und vor allem die Klappe zu halten, nebenbei vielleicht auch noch gut auszusehen. Wieso die Gattin des Menelaos gerade zu diesem Zeitpunkt einen Anfall von Selbstbestimmung haben sollte, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wie auch immer, sie war mit Sicherheit nicht gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Dass der recht unerfahrene Paris sich in die Schönheit verguckte, ist nicht verwunderlich – vom Hirten zum Prinzen ist ein Sprung, der einen schon schwindlig machen kann. Dass er schon vermählt war, störte niemanden. Von Frauen wurde Treue verlangt – von Männern alles mögliche, aber das auf gar keinen Fall.
Vielleicht hatte Menelaos ja den Plan in der Tasche, als er die liebeskranken Kuhaugen des Trojaners bemerkte ... und vielleicht waren die Wachen ja noch ein wenig müder als sonst, als die Schöne aus dem Palast geraubt wurde. Es könnte ja sein, dass man ihnen für diese Stunde einfach befohlen hatte, sich um ihren eigenen Kram zu kümmern, was sie auch erfolgreich taten. Und endlich, endlich hatte man einen Grund, um den in der antiken Welt sehr unbeliebten Priamos so richtig anzumobben und selbst die Kontrolle über die Durchfahrt zu gewinnen.
Es ist anzunehmen, dass die Griechen wie auch die Trojaner selber nicht an diesen fürchterlich ernsten und spaßfeindlichen Kram mit Ehre und Eiden glaubten, aber höflich genug waren, um nicht einfach so einen Krieg anzuzetteln. Der wurde in der damaligen Zeit ja noch mit der Hand bewerkstelligt und nicht etwa mit ferngelenktem Zeug. Wie auch immer, die schöne Helena hatte mit dem Trojanischen Krieg absolut nichts zu tun. Sie musste als Feindbild herhalten, das war alles. Schließlich ist es ja mehr als seltsam, dass Menelaos sich mit ihr versöhnte, nachdem Troja zu Klump gehauen war und mit ihr heimwärts segelte, wo sie noch lange miteinander lebten und herrschten. Wäre eigentlich ehrenrührig, denn sie hatte ihren Gatten ja schließlich nicht schlecht vorgeführt in der gesamten griechischen Welt.
Das könnte man jedenfalls meinen, aber im Falle einer abgekarteten Sache sieht es wieder ganz logisch aus. Die schöne Helena war so eine Art Leihgabe, auch wenn sie das vielleicht nicht wusste. Oder sie wusste es sogar und konnte nichts dagegen tun – es sei denn, sie genoss die Auszeit von der Ehe. Wie auch immer, um sie ging es mit Sicherheit nicht bei diesem Krieg, der im Übrigen auch ausging wie das Hornberger Schießen. Außer vielen Toten und vielen verschwendeten Jahren kam nichts dabei heraus. Wahrscheinlich war das den Beteiligten irgendwann einmal peinlich, und so schoben es alle auf Helena. Könnte ja sein.
© Textbeitrag "Troja, die Weiber und der Krieg": Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Die Abbildung zeigt Troja, ein Holzschnitt aus der Schedel'schen Weltchronik (1493), Lizenz: gemeinfrei.
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