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Der Lärm schwillt gewaltig an, es ist wie ein Orkan. Er kennt das vom Meer, wenn es anfängt, sich zu regen und zu brüllen. Und jedes Mal hat er Angst, aber er verbirgt es hinter seinem zernarbten, hässlichen Gesicht. Das tun alle hier, aber ihre Körper dampfen vor Furcht, ob sie nun zur gewaltigen Maschinerie des Colosseums gehören oder hinaus in den Sand müssen.
Es ist heiß, sehr heiß in den Eingeweiden der riesigen Arena – hunderte von Sklaven sind damit beschäftigt, die Darbietungen störungsfrei ablaufen zu lassen. Sie hängen an den Seilen der Hydraulik, die ganze Bodenplatten hochfahren kann, um den Morden da draußen einen würdigen Hintergrund zu bieten, und sie schippen tonnenweise sauberen Sand, wenn der blutige entfernt werden muss.
An den ausgeklügelten Wassertransportsystemen drehen die Kurbeln, die Pflanzen brauchen Wasser ebenso wie die gefangenen Menschen und Tiere. Der Gestank von fauligem Fleisch für die Raubtiere hängt ebenso in den Steinen wie der Geruch von Kot und Urin. Draußen ist er nicht zu bemerken, dieser besondere Gestank – aber wehe, man geht die Stufen hinab zu den Eingeweiden des Colosseums. Das tun nicht viele, selbst die Sklavenhändler liefern nicht persönlich ab, sie übersenden ihre Ware durch gemietete Wächter.
Aber meist werden arme Schweine angeliefert, die dazu da sind, durch ihre Muskelkraft das ganze Getriebe in Gang zu halten, die Steine von Blut, Erbrochenem und anderem Dreck zu befreien und Menschen und Tiere zu füttern. Diese Sklaven vergessen das Tageslicht, sobald sie erst einmal hier unten sind. Sie wissen nicht, dass der Rest ihres Lebens begonnen hat im Halbdunkel des Colosseums. Hier kommt keiner mehr heraus in das Sonnenlicht des Tages. Wer hier landet, braucht keinen anderen Herrn mehr.
Weiber sind manchmal da, um die Gladiatoren bei Laune zu halten. Es gibt verschiedene Ränge unter diesen Verfluchten, je höher der Ruhm desto hübscher die Weiber – bei den Berühmten sind es verschleierte Frauen aus den reichsten Familien der Stadt. Die Gladiatoren, wenn sie noch nicht frei sind, dürfen ihre Unterkünfte normalerweise nicht verlassen – aber sie zahlen gut, die hochgestellten Damen Roms, seien es nun gelangweilte Ehefrauen oder übersättigte Patrizier, und so wird ein kleiner Urlaub übersehen.
Heute ist ein langer Tag für die Arena, denn es gab viele Todesurteile in den letzten Wochen – und heute wurden sie vollstreckt. Dem allergnädigsten Herrn gefiel es, beim Arenameister eine Wagenschlacht zu bestellen, und der klatschte in die Hände, verfluchte alle Sklaven und Ingenieure bis in die hundertste Generation, sollten sie diesen Wunsch nicht erfüllen können. Durch die erstaunliche, verborgene Maschinerie der Anlage ist es möglich, die ganze Arena in kurzer Zeit in Wüste, Wald oder fast jede Landschaft zu verwandeln, die es gibt. Die Bodenplatten werden aufgeschüttet oder mit Pflanzen bestückt und hochgefahren. Alles geht reibungslos, die Sklaven kennen jeden Handgriff, sie stemmen sich in die Seile oder bewegen die Räder – wo es nicht mit Sand- oder Wasserkraft geht. Die Peitschen täten ein Übriges, aber das ist meist nicht einmal nötig.
Das wirkliche Problem war, dass die armen Schweine keine Ahnung von Streitwagen hatten, es waren Mörder oder Räuber, Taschendiebe und andere Verurteilte. Und, so argwöhnt der Mann, wohl wie immer einige Unschuldige. Es ist nicht damit getan, einen Wagen zu besteigen und die Zügel in die Hand zu nehmen – Streitwagen sind keine Bauernkarren. Bei der Probe gab es ein heilloses Durcheinander, und zwei der Delinquenten fanden einen vorschnellen Tod unter Hufen und Wagenrädern. Der Arenameister hatte dann die zweifelhafte Idee, mindere Gladiatoren, oder solche, die einige Zeit wegen Verletzungen ausgefallen waren, auf die Wagen zu stellen, um dafür zu sorgen, dass die Kriminellen nicht binnen einiger Atemzüge starben.
Dass sie ebenfalls nicht lebend das Oval verlassen würden, hatte man ihnen nicht gesagt. Außerdem wurde das Gerücht ausgestreut, wer tapfer kämpfte und am Ende noch stand, würde begnadigt. Und heute Morgen hatte diese Schau stattgefunden – dass niemand überlebte, wurde durch die Bogenschützen garantiert, die an den Toren Aufstellung genommen hatten. Eine langweilige Darbietung war etwas, das hier unten mehr gefürchtet wurde als der Zorn der Götter. Die hielten sich sowieso zurück – der Zorn des Kaisers war weitaus schlimmer.
Zweimal war schon Pause gewesen, und nun steht er hier, wie so oft, und lässt sich von dem immer stärker werdenden Tosen in seinen Ohren wieder zurücktragen auf das offene Meer, wo er einen Teil seines Lebens verbracht hat, bis er in die Hände Roms fiel. Zum Ausschuss der Arena hat er einmal gehört, aber dann fiel seine Geschicklichkeit und sein Einfallsreichtum in mechanischen Dingen auf, und so hat er hier eine besondere Stellung. Er hat niemanden seinen wahren Namen genannt, kaum jemand hier könnte ihn aussprechen. Er lässt sich so nennen, wie es den anderen gefällt und sagt nichts dazu.
Heute ist er besonders froh über das gewaltige Toben, denn so hört er nicht die Schreie der Unglücklichen, die gegen die großen Katzen aus den Wäldern der fremden Länder antreten, und auch nicht die Todesschreie der Tiere, die er kennt. Denn seine Heimat sind die Dschungel, in denen gefleckte Jäger lautlos angreifen und ihre Beute schlagen, weil sie hungrig sind. Über seine schwarze Haut geht ein Schauder, wenn er sieht, wie immer neue Verurteilte eintreffen, seien es nun Menschen oder Tiere. Und wenn die Arena leer ist und er die Instandhaltungsarbeiten überwacht, sieht er hinauf in das Blau über ihm und kann kaum glauben, dass dieser Himmel derselbe ist, wie zu der Zeit, als das Colosseum noch nicht erbaut war. Er denkt, dass er rot sein müsste vom Blut der hier gemordeten Leben. Und als die Sonne untergeht über Rom und die Arena flammend rot färbt, scheint es ihm so zu sein.
© "Arena – Die Mechanik des Todes": Eine Geschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Die Abbildung zeigt ein Detail aus dem Gemälde "Das Colosseum in Rom" von Fedor Mikhailovich Matveev (um 1825 entstanden).
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