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Frankmeister stopfte hektisch einige Bogen bedrucktes Papier in seine Mappe, ein teures und elegantes Stück in Leder mit unauffälligen Initialen in Goldprägung. Ungehalten murmelte er vor sich hin, als ihm der kleine Stapel Papiere fast aus den Händen rutschte. Dabei schaute er immer wieder zur Uhr: "Verflucht, ich bin schon fast zu spät dran." Ein Räuspern ließ ihn aufblicken, direkt in die Augen seiner Sekretärin.
Bevor die schlanke, unauffällig aber geschmackvoll gekleidete Frau in mittleren Jahren den Mund öffnen konnte, fuhr Frankmeister sie unwirsch an: "Ich weiß, dass ich in zwanzig Minuten einen Termin bei der Jobagentur habe, Frau Bradtfisch. Hier, räumen Sie das in meine Tasche, anstatt hier rumzustehen."
Zufrieden, das lästige Herumfuhrwerken delegiert zu haben, stürzte er in den kleinen privaten Waschraum seines Büros und überprüfte noch schnell seine Erscheinung. Seine Klamotten waren tadellos, wie immer. Frankmeister kultivierte den – wie er glaubte – edlen Look, indem er sich per moderner Chemie silberne Schläfen zugelegt hatte. Das Haar trug er kurz, aber großzügig frisiert. Seiner Meinung nach hatte der leicht unordentliche Schopf etwas Unwiderstehliches. Der Schnäuzer tat ein Übriges, gab etwas Desperadohaftes zum Gesamtbild. Frankmeister war sein Aussehen sehr wichtig. Der erste Eindruck, das war eine seiner Maximen, konnte nicht revidiert werden.
Als er den Raum wieder verließ, stand die Sekretärin mit der Mappe parat, ein unsicheres Lächeln im Gesicht. Er konnte die dumme Gans nicht leiden, diese überkorrekte Art mochte er nur, was die Arbeit anbetraf. Aber dafür war Bratfischlein, wie er sie nannte, wenn er guter Stimmung war, absolut vertrauenswürdig. Es würde schwierig sein, eine vergleichsweise gute Kraft zu finden, wenn sie in Rente ging. Herrgott, sie hatte noch bei seinem Vater gearbeitet. Aber sie kannte den Betrieb, und das war Gold wert. Die Gute hatte sich mühelos auf den Computerbetrieb umgestellt seinerzeit, als er hier das Ruder übernahm – es hatte keinen Grund gegeben, sie abzuschießen, wie er es anfangs gerne getan hätte.
Nun wurde es wirklich Zeit und Frankmeister hetzte zum Lift. Der kleinere Fahrstuhl war für die Führungskräfte bestimmt, nicht wie der große Transportlift, den die Beschäftigten benutzten. Der brauchte viel zu lange. "Nun ja", dachte Frankmeister, "drei Etagen mit je hundert Plätzen waren ja auch nicht wenig." Er dachte gern daran, war doch seine Firma die größte im Umland in Sachen Telefonmarketing. Und die Tendenz war steigend, denn hier waren die Arbeitsplätze der Zukunft. Und es würden bald die einzigen Arbeitsplätze sein, die zu haben waren.
Anfangs hatte die Firma um jeden Bewerber regelrecht gebuhlt – damals, als das Ganze noch relativ neu war. Dass der Job an die Nerven ging, mochte ja stimmen – aber schließlich war er ja auch nicht gerade vom Stress verschont. Und er als Chef hatte vor allem Profit zu machen – dafür war die verdammte Kiste schließlich da. Das meiste Geld für denjenigen, der die wichtigste Arbeit machte. Das war fair. Gleichgültig, was andere davon hielten – die hatten schließlich nicht eine so große Firma zu führen.
Was Frankmeister am besten gefiel, war der Einfluss, den einer der größten Betriebe in der ansonsten wirtschaftlich eher flachen Stadt hatte. Man brauchte Kräfte, und man wusste, wo man sie fand. Es war eine seiner besten Ideen gewesen, die "Zusammenarbeit" mit der hiesigen Jobagentur zu forcieren. Man lieferte sozusagen frei Haus. Es gab noch immer den "Praktikums-Dreh", obwohl man da mittlerweile schärfer aufpasste. Aber Frankmeister hatte Zeit und den einen oder anderen Gefallen investiert – er verstand es, sich und die Firma gut zu verkaufen. Er hielt viel auf den engen Kontakt mit der Jobbörse, und das zahlte sich unterm Strich aus. Für ihn bedeutete das, dass die Praktika immer noch großzügig bemessen wurden und seine Kosten gering waren.
Die Agentur überprüfte die Bewerber für ihn, legte seine Prüfungsbogen vor und wählte die Praktikanten ganz nach den Maßstäben der Firma Powerbeam aus. Er hatte es verstanden, die Jobagentur quasi zu seinem Checkpoint Nummer 1 zu machen. Was er bekam, waren geeignete Leute – er suchte die Besten aus und schickte den Rest wieder nach Hause – finanziert wurde das von der Agentur. Andere Betriebe machten das nicht anders – aber die kriegten schon lange niemanden mehr geschickt – sie konnten den Deal einfach nicht richtig rüberbringen.
Zehn Minuten später strahlte Frankmeister die leitenden Damen des heutigen Schnuppertages an, mit der Mischung aus Kompetenz und Jungenhaftigkeit, auf die er sich so gut verstand. Ein oder zwei nette Bemerkungen und man fraß ihm aus der Hand. Die wollten, dass man mitfühlend mit dem Kopf nickte, wenn es um die "Problematik der Vermittlung" ging und dabei aussah wie der Heilige Jobverschleuderer persönlich. Frankmeister erzählte dann ein wenig von seinen Problemen mit dem Arbeitsmarkt, und die Damen schmolzen geradezu – sie hätten ihm, der sich so einsetzte für die Arbeitssuchenden, am liebsten kostenlose Kräfte geschickt, wenn sie nur gekonnt hätten.
Frankmeister liebte diese Auftritte. Nun kam seine Show. Nachdem die Leiterin den Bewerbern den Chef der Firma Powerbeam vorgestellt hatte, hielt er seinen Vortrag. Er erzählte von dem kleinen Betrieb, der sich zur größten Firma der Region entwickelt hatte, indem er auf modernste Marketingstrategien setzte. Er beschrieb das Arbeitsklima und die Vorteile, die ein Mitarbeiter der Firma haben würde, verniedlichte die Schichtrotation und hatte für die psychischen Belastungen nur eine wegwerfende Handbewegung übrig.
Er ging den Typen, die da in den Stuhlreihen saßen, richtig um den Bart. Einige davon hatten Erfahrung mit dem Job – und es war eine Herausforderung für Frankmeister, selbst die Bedenken der Profis zu zerstreuen. Es gelang jedes Mal – gerade die Miesmacher waren nicht uninteressant für ihn, denn sie kannten den Job. Dass es bei Powerbeam nicht besser war als in den anderen "Stöpselbuden", merkten sie noch früh genug. Frankmeister konnte aussuchen – denn sie konnten sich praktisch nicht weigern. Kriegten sonst die Bezüge gekürzt. Er mochte es – er konnte den Rahm abschöpfen. Wer durchhielt, konnte recht gut verdienen, das war Tatsache, und vom angeblichen extremen Mobbingklima in der Firma hatte er nie etwas bemerkt. Aber so war das eben – das Leben war kein Ponyhof, nur die Stärksten kamen durch.
Auf Weisung der Agentur hatten viele tatsächlich ihre Bewerbungsunterlagen dabei, er brauchte nur einzusammeln. Dass man nur geeignete Leute zum Schnuppern beordert hatte, war seine Grundbedingung. Und die wurde ihm wirklich gerne erfüllt. Als er dann neben der Leiterin saß und zufrieden beobachtete, wie die Leute ihre Mappen auf den Stapel legten, hatte er kurz ein Bild vor Augen. Er sah, wie er die Typen aufforderte, den Mund so richtig weit aufzureißen, damit er das Gebiss sehen konnte. "Nun ja, vielleicht würde das ja auch noch kommen", dachte Frankmeister und fand es ziemlich lustig. Aber er unterdrückte seine Heiterkeit und lächelte freundlich den beiden Damen von der Jobagentur zu.
© "Schnuppertag – Termin bei der Jobagentur": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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